Читать книгу Haft - Oleg Senzow - Страница 20

Tag 11

Оглавление

Es weht wieder ein heftiger Wind, es sind Plusgrade, und eine grelle Sonne scheint. Verzweifelt versucht sie die Schneehaufen, die nach dem gestrigen Regen noch da sind, zum Schmelzen zu bringen, bislang vergeblich, sie halten sich zäh. Die nördliche Sonne ist keine liebe Sonne.

[…]

In der Nacht habe ich geträumt, dass eine Frau im Gebirge von einer Lawine erfasst wurde und ich mit ihrem Kind, einem fünfjährigen Mädchen, zurückblieb. Es war nicht erschrocken, fragte nicht nach seiner Mutter, wir machten uns auf einen langen Weg ins Tal. Ich erzählte ihr und zeigte ihr etwas, und ständig hob ich große runde Bonbons auf, die sie verlor, weil sie sie nicht festhalten konnte. Ich musste ihr Vater sein, sagte ihr das aber nicht. Sie ähnelte meiner Tochter, als sie klein war, und trug auch denselben Namen. Träume sind nicht logisch. Wir kamen in die Stadt und gingen zu unserem Haus. Ich wollte einem Mädchen, das dort mit seiner Mutter und Großmutter stand, ein Bonbon schenken, aber das Kind wollte es nicht haben.

Erst als sie ins Haus gingen, sah ich, dass das Mädchen behindert war. Das Treppenhaus war breit und hatte auf jeder Seite einen Ausgang, und während ich unter irgendwelchen Rohren hindurchkroch, war meine Tochter schon nach draußen geschlüpft. Ich folgte ihr, aber sie war verschwunden. Die Straße oder besser gesagt die Uferpromenade war belebt und voller Menschen. Ich rief ein Mädchen in einer ähnlichen Jacke, aber das war nicht sie.

[…]

Länger als eine Stunde war der Strom weg. Wegen des Windes vielleicht oder aus irgendeinem anderen Grund. Da ging natürlich auch der Radiator nicht, und mein kleines Refugium kühlte sofort aus, Luftzug, dünne Wände, Ecklage. Ich laufe nicht mehr so viel in der Zelle herum, ich sitze öfter oder liege.

Ich war beim Arzt. Draußen hätte mich der Wind beinahe umgeweht. Heute ist er stärker als vorgestern. Die Sonne hat sich versteckt, die Temperatur liegt gefühlt bei null Grad.

Der Arzt war mit meinem Zustand und meinen Werten gar nicht zufrieden. Er hat mir eine Infusion verordnet. Die ist ein paar Stunden durchgelaufen. Ein Liter Flüssigkeit: Glukose, Vitamine, Salze. Der Doktor ist nicht einfach ein Gefängnisarzt oder Leiter des Krankentraktes, sondern er hat die gesamte Medizin der Einrichtung unter sich, der Krankentrakt ist nur sein Stützpunkt. Vor allem aber ist er ein guter Fachmann und Mensch. Er kümmert sich persönlich um mich. Offenbar auf Anweisung von oben, und ich glaube, er mag mich auch. Als ich am Tropf hing, haben wir über unsere Familien gesprochen, er hat auch zwei Kinder, im selben Alter wie meine. Manchmal gibt es tatsächlich Zufälle. Oder es gibt sie besser gesagt nicht. Mit den unterstützenden Präparaten bin ich langsam wieder zu mir gekommen, er hat seinen Papierkram erledigt und am Computer gesessen. Auf seine Anweisung hin wurde mir die Infusion in seinem Sprechzimmer verabreicht. Ich habe mich auf die kleine Liege gelegt, er hat netterweise einen Stuhl unter meine langen, herabhängenden Beine geschoben und sie zugedeckt. VIP-Behandlung im Gefängnis. Aus den Lautsprechern kam eine entspannende Komposition von Splin. Wir mögen die Gruppe beide. Von der Infusion wurde der Arm angenehm kühl, allmählich habe ich mich besser gefühlt. Und gute Musik gab es auch. Einer der wenigen angenehmen Momente in der letzten Zeit. Der Doktor hört die Songs auf seine eigene Weise. Genauer gesagt hört er immer nur einen einzigen Song, den spielt er rauf und runter. So eine Art Meditation. Liebe bis zum Gehtnichtmehr. Weil er heute einen Gast hatte, ließ er es ausnahmsweise bei zehn Wiederholungen bewenden. Als die Infusion durchgelaufen war, schaute mich der Arzt an und sagte, ich sähe jetzt schon viel besser aus. Und ich fühlte mich auch besser. Wir verabschiedeten uns.

Der Wind hatte nicht nachgelassen, aber ich ließ mich nicht mehr so zausen.

Haft

Подняться наверх