Читать книгу Völkerrecht - Oliver Diggelmann - Страница 13

Vom Monarchen und Lehensnehmer zum Staat

Оглавление

Wer waren die Teilnehmer dieses frühen Völkerrechts? Das ist keine einfach zu beantwortende Frage. Die Rede vom neuzeitlichen Staatensystem, das man sich als Gesellschaft von Staaten mit eigener (Rechts-)Persönlichkeit vorstellt, vereinfacht übermässig. Im 16. Jahrhundert war das Völkerrecht noch stark von der mittelalterlich-feudalistischen Vorstellung geprägt, Beziehungen zwischen Herrschaftsträgern seien persönlicher Natur. Es handle sich um Beziehungen zwischen zwei Menschen, nicht zwischen Staaten. Das Lehenssystem war eine Ordnung zwischen Individuen und nicht zwischen als verselbstständigt gedachten politischen Einheiten gewesen. Es fusste auf persönlichen Treuebeziehungen.12 In Frankreich, Spanien und England existierten zwar Frühformen des Territorialstaats, was aber nicht bedeutete, dass international bereits «der Staat» als Träger von Rechten und Pflichten auftrat. Die Dauer der rechtlichen Beziehungen zwischen den Herrschaftsträgern begrenzte sich im Regelfall auf die Lebenszeit der beteiligten Monarchen, was einiges über das Grundverständnis dieser Beziehungen aussagt.

Der Abstraktionsprozess zum Völkerrecht als Recht eines «Staatensystems» mit den Staaten als einzigen Teilnehmern vollzog sich in mehreren Schritten. Der erste bestand darin, dass in Verträgen statt des blossen Namens des Herrschers oder der Herrscherin der Titel erwähnt wurde. Die Funktion des Herrschers rückte in den Vorder-, seine Person in den Hintergrund. Das war etwa bei einigen Verträgen des aus mehreren Teilvereinbarungen bestehenden Friedens von Utrecht von 1713 der Fall, der den Spanischen Erbfolgekrieg beendete. Der zweite Schritt war, dass man sich den Staat – wesentlich beeinflusst durch die Schriften von Thomas Hobbes – als Wesen mit spezifischen Eigenschaften vorzustellen begann. Hobbes hatte ihm Eigenschaften eines alttestamentarischen Ungeheuers zugeschrieben, des Leviathan, was die Vorstellung vom Staat als einer Einheit förderte.13

Ein letzter Schritt schliesslich war das formale Aufrücken des Gemeinwesens in die Teilnehmer- und Subjektstellung. Frühe Fälle der Erwähnung von Staaten in Verträgen betrafen stets Republiken. Hier gab es keinen Monarchen, der persönlich verpflichtet sein konnte, die Existenz von Republiken förderte vielmehr die Vorstellung vom Staat statt dem Monarchen als Souverän und Teilnehmer des Völkerrechts.14 Der Friede von Osnabrück nach dem Dreissigjährigen Krieg nannte als Staaten nur die Niederlande und die «Kantone der Schweiz». Die Frage, ob der Staat oder der Monarch Teilnehmer des völkerrechtlichen Verkehrs sei, blieb aber auch nach 1648 in der Schwebe. Noch im 18. Jahrhundert war die Situation nicht eindeutig. Zwar stellte die naturrechtliche Völkerrechtslehre das Völkerrecht mittlerweile als Recht zwischen souveränen, unabhängigen, einander rechtlich gleichgestellten Staaten dar, klassisch im erwähnten Hauptwerk von Emer de Vattel. In der Praxis aber wurden Verträge oft noch von Monarchen als Herrschaftsträgern abgeschlossen. Teilnehmer des Vertrages zwischen Grossbritannien und Frankreich im Rahmen des Friedens von Utrecht etwa waren Prinzessin Anne und Louis XIV. Erst mit der Französischen Revolution und dem Ende des Reiches 1806 sollte sich das neue Denken endgültig durchsetzen.

Völkerrecht

Подняться наверх