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Herauswachsen aus mittelalterlichen Strukturen

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Viele Darstellungen des Völkerrechts lassen seine Geschichte 1648 mit den Westfälischen Friedensverträgen von Münster und Osnabrück beginnen. Diese beendeten den Dreissigjährigen Krieg, einen militärischen Flächenbrand, der wegen seiner Dimensionen in der damaligen Zeit manchmal mit den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts verglichen wird. 1648 hatte sich eine Reihe moderner Territorialstaaten ausgebildet und etabliert, sodass man etwas grosszügig von einem «modernen Staatensystem» sprechen konnte, das oft als Westfälisches Staatensystem bezeichnet wird.5 Die bereits entstandenen Staaten hatten begonnen, sich als souverän zu charakterisieren. Viele Gemeinwesen waren allerdings erst auf dem Weg zu Souveränität oder scheiterten unterwegs. Man wollte als souverän anerkannt sein. Die Etikette galt als Ausdruck dafür, dass man sich in der sich neu formierenden internationalen Ordnung etabliert hatte.

Das militärische Patt nach den Konfessionskriegen des 16. und frühen 17. Jahrhunderts hatte zur Folge, dass man ein konfessionell neutrales Recht für rechtliche Beziehungen zwischen europäischen Herrschaftsträgern brauchte. Die christliche Ordnung – es gab nun in der Westchristenheit zwei: die katholische und die protestantische – konnte nicht mehr die Klammer bilden. So entstand, vereinfacht gesagt, das moderne säkulare Völkerrecht. In den Friedensverträgen von Münster und Osnabrück schrieb man das Prinzip der religiösen Toleranz zwischen den Konfessionen fest. Das war ein wichtiger und kaum zu überschätzender Schritt in Richtung säkulare zwischenstaatliche Rechtsordnung. Die Vorstellung allerdings, dass das Völkerrecht am Ende des Dreissigjährigen Kriegs «geboren» wurde, ist verzerrend oder gar irreführend. Es gab keinen scharfen Bruch mit dem Dagewesenen, obschon dies im völkerrechtlichen Schrifttum manchmal so dargestellt wird. Passender ist das Bild des Herauswachsens des säkularen Völkerrechts aus langsam immer schwächer werdenden spätmittelalterlichen Strukturen des christlichen Universalreichs.6

Das Herauswachsen erfolgte in manchmal kleineren und manchmal grösseren Schritten und wurde durch den Dreissigjährigen Krieg zweifellos beschleunigt. Auch nach 1648 waren aber nur ein Teil der internationalen Akteure moderne Staaten, ein anderer leitete seinen Status weiterhin aus dem Lehenssystem ab. Der Friedensvertrag von Osnabrück nennt als Parteien verschiedene Könige und Königinnen, «Häuser» wie etwa Österreich, Kurfürsten und Fürsten, Reichsstände unter Einschluss der Reichsritterschaft und schliesslich Territorialstaaten wie die Hansestädte, die Niederlande sowie die «Kantone der Schweiz». Es war ein vielfältiges Neben- und teilweise auch Übereinander von Herrschaftsträgern. Auch im späten 17. und selbst im 18. Jahrhundert überlagerten sich neue säkular-völkerrechtliche und alte reichs-, thronfolge- und lehensrechtliche Strukturen. Das Alte wich dem Neuen, aber nur langsam, und das Herauswachsen des Völkerrechts aus den mittelalterlichen Strukturen dauerte mehrere Jahrhunderte. Im Grunde begann der Prozess spätestens im 15. Jahrhundert und endete erst mit dem Untergang des Heiligen Reiches Deutscher Nation im Jahr 1806. In diesem Jahr wurde die Kaiserkrone des christlichen Universalreichs endgültig niedergelegt.7

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