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Kolonisierung

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Das europäische Völkerrecht war, wie euphemistisch oft formuliert wird, von Anbeginn an «kolonisierungsfreundlich». Deutlicher: Es war bereits seit seinen Anfängen und für lange Zeit ein wichtiges Rechtfertigungsinstrument für koloniale Unterdrückung. Das spätmittelalterlich-christliche Recht hatte diese Rolle vorgespurt. Die «bellum iustum»-Lehre hielt Kriege gegen Ungläubige grundsätzlich für gerechtfertigt. Legitimiert wurde die Gewaltanwendung oft mit der Missionierungspflicht der Christen, dem funktionalen Äquivalent zur muslimischen Pflicht des Dschihads. Das Recht spielte in der Folge auch bei der Rechtfertigung der Grossunternehmung «Kolonisierung» eine strategische Rolle. Eroberungen von fremden Kontinenten wurden nicht situativ, sondern grundsätzlich gerechtfertigt – und vor allem wurden sie rechtlich gerechtfertigt. Eine entscheidende Weichenstellung war, wie der Historiker Jörg Fisch zu Recht herausgehoben hat, in Kategorien von Rechten und Ansprüchen über das Thema zu verhandeln.22 In den meisten Gebieten der Erde kam es zu einer kürzeren oder längeren Kolonialherrschaft. Man bediente sich einer verharmlosenden Sprache, indem Eroberungen in Entdeckungen umgedeutet wurden, und Völkerrechtler diskutierten dann die Frage, wann ein Gebiet als «entdeckt» gelten konnte.

Drei Grundmuster der rechtlichen Rechtfertigung kolonialer Eroberungen lassen sich unterscheiden.23 Das erste war «Expansion als Auftragserfüllung». Es ist im 16. Jahrhundert etwa beim spanischen Theologen Francisco Suarez (1548–1617) zu finden. Suarez behauptete, dass Gott den spanischen Kolonisatoren Vollmacht zur Verkündung des Evangeliums erteilt habe und dass dies die Zulässigkeit von Eroberungen voraussetze. Die Auftragsidee sollte später, insbesondere im 19. und frühen 20. Jahrhundert, in Gestalt der Idee der «civilizing mission», noch einmal eine zentrale Rolle spielen.24 Sie blieb bis in die Völkerbundzeit lebendig, als man bei den auf die Unabhängigkeit vorzubereitenden Völkern verschiedene Entwicklungsgrade unterschied, A-, B- und C-Mandate; die Mandatsmacht – der Beauftragte – sollte das Kolonialvolk an den für die Völkerrechtsfähigkeit erforderlichen Entwicklungsstand heranführen.

Das zweite Rechtfertigungsschema war «Expansion als Verteidigung der natürlichen Ordnung». Es ist im 16. Jahrhundert beim bereits erwähnten Francisco de Vitoria (1483–1546) zu finden. Wer die Verkündung des Evangeliums verhindere, argumentierte er, schaffe einen legitimen Kriegsgrund, genauso wie der, der das Recht auf Handel und Niederlassung verweigere. Das dritte Muster schliesslich war das «Nichtwahrnehmen» von Nichtchristen. Es ist das arroganteste und wirksamste der drei. Viele Anhänger des päpstlichen Universalismus argumentierten, Ungläubige seien prinzipiell nicht rechts- und schon gar nicht eigentumsfähig. Sie begingen wegen ihres falschen Glaubens eine Todsünde gegen Gott und würden dadurch Rechts- und Eigentumsfähigkeit verwirken. Später spielte das Schema bei der rechtlichen Einordnung von Indianerstämmen eine Rolle. Man schloss mit ihnen zwar zivilrechtliche Verträge, kaufte ihnen Handelsgüter und Boden ab, betrachtete ihre Gebiete völkerrechtlich aber als unbewohnte Territorien. Dafür verwendete man teilweise die aus dem römischen Recht geliehene Formel «terra nullius»: das Gebiet, das niemandem gehört.25 Die Eroberung eines von Indianern bewohnten Gebiets war deshalb keine Annexion, sondern blosse Okkupation. Bei der rechtlichen Begründung der gut 500 Jahre dauernden Kolonialisierung der Welt durch die Europäer gab es eine bemerkenswerte Kontinuität der Argumente.

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