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Seitenblick: Alte Eidgenossenschaft

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Das Herauswachsen der Alten Eidgenossenschaft aus mittelalterlichen Strukturen war Teil der Entstehung des modernen Staatensystems. Sie blieb bis zum Dreissigjährigen Krieg ein Bündnissystem innerhalb des Heiligen Römischen Reichs, ab dem 15. und insbesondere 16. Jahrhundert mit verstärkter relativer Autonomie der reichsunmittelbaren, das heisst direkt dem Kaiser unterstellten alteidgenössischen Orte. Die Konfessionsspaltung hatte auch hier bedeutende Folgen. Zum einen ergaben sich bis ins 18. und 19. Jahrhundert heftige Konflikte zwischen den Konfessionen, die teilweise mittels Kriegen ausgetragen wurden. Erwähnt sei etwa der Erste Villmergerkrieg von 1656, in dem die protestantischen Orte vergeblich versuchten, die starke Stellung der Katholiken zu schwächen. Zum anderen büsste die Alte Eidgenossenschaft ihre aussenpolitische Handlungsfähigkeit unter dem Vorzeichen der Bikonfessionalität zu einem grossen Teil ein. Sie war wegen ihrer eigenen Gespaltenheit gezwungen, sich aus Streitigkeiten anderer tendenziell herauszuhalten. Als souverän anerkannt wurden die Alten Orte am Ende des Dreissigjährigen Kriegs. Sie schieden damals aus dem Reich aus.26 Wer aber war nun souverän – die dreizehn Alten Orte für sich oder das Bündnissystem? Die Frage ist nicht leicht zu beantworten. Der Friede von Osnabrück von 1648 nannte zwar die «Kantone der Schweiz» als Parteien, aussenpolitisch handelten die Kantone aber nicht jeder für sich. Seit dem Eintritt Basels in das eidgenössische Bündnissystem 1501 galt vielmehr die Regel, dass äussere Kriege nicht ohne Zustimmung der Tagsatzungsmehrheit geführt werden durften. Zudem verlangten die Mächtigen verschiedentlich, etwa Ludwig XIV. und später Napoleon, dass die Eidgenossen mit einer Stimme sprechen sollten. Die Frage der Souveränität blieb in der Schwebe.

Folgenreich war für die Eidgenossenschaft auf lange Sicht, dass Säkularisierung und Gleichgewichtsdenken in Europa ihre Möglichkeiten verbesserte, sich aus den Konflikten herauszuhalten. Anders als bei einem Denken in den religiösen Kategorien «gut» und «böse», konnte Unparteilichkeit unter den Vorzeichen säkularen Denkens bei Interessengegensätzen eine Pufferfunktion für das Gesamtsystem übernehmen. Stiess eine unparteiliche Haltung während des Dreissigjährigen Kriegs noch auf grosse Skepsis, wurde es nach dem Ende des Dreissigjährigen Kriegs für Nichtkriegführende einfacher, ihre Stellung durch Abmachungen mit den Konfliktparteien abzusichern. 1674 erklärte sich die Tagsatzung erstmals offiziell für neutral, wobei Neutralität noch kein rechtliches und auf Dauer angelegtes Konzept war. Viele Staaten erklärten sich in der frühen Neuzeit punktuell für neutral. Es handelte sich keineswegs nur um kleinere Staaten, sondern durchaus auch um Grossmächte wie etwa Preussen. Zu einem dauerhaften Element der Positionierung im Staatensystem wurde Neutralität allerdings nur bei ganz wenigen, und ein eigentliches Neutralitätsrecht aus einem Bündel von Rechten und Pflichten entwickelte sich erst ab Mitte des 18. Jahrhunderts.27 Der aus Neuenburg stammende Emer de Vattel (1714–1767), zeitweise in kursächsischen Diensten, hatte an der Verrechtlichung grossen Anteil. Neutralität war in seiner naturrechtlichen Völkerrechtslehre bereits ein Rechtsstatus, der auf einseitige Erklärung des Betroffenen hin zustande kommt. Ab etwa 1780 kann man von einem rechtlich grundierten Neutralitätsstatus sprechen. In diesem Jahr hatten verschiedene bedeutende Staaten – darunter Russland, Preussen und Frankreich – erklärt, im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg neutral zu bleiben und diese Neutralität gegebenenfalls bewaffnet zu verteidigen.

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