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Stabilisierung durch Völkerrecht
ОглавлениеDie Französische Revolution und die Machtergreifung durch Napoleon führten zu einer mehr als zwanzig Jahre dauernden Periode von Kriegen in Europa. In den Auseinandersetzungen, die als «Koalitionskriege» bezeichnet werden, kämpften verschiedene Allianzen gegen das revolutionäre und später napoleonische Frankreich.28 Nach Frankreichs Niederlage kam es in Wien, wie nach dem Dreissigjährigen Krieg in Westfalen, zu einer Staatenkonferenz. Sie legte die Grundparameter der internationalen Ordnung neu fest. Der Wiener Kongress schuf eine Ordnung, die – nach überwiegender Meinung – in den Grundzügen bis zum Ersten Weltkrieg Bestand hatte und angesichts der gewaltigen ökonomischen und sozialen Veränderungen während dieses Jahrhunderts von bemerkenswerter Dauer war.29
Die neue Ordnung beruhte im Wesentlichen auf drei Elementen: der Rückkehr zum dynastischen Prinzip, bald in Anlehnung an eine Formulierung des Schweizer Staatsrechtlers Karl Ludwig von Haller als «Restauration» bezeichnet; moderner Diplomatie auf der Grundlage des Gleichgewichts der Mächte; schliesslich einer bedeutenderen Rolle des Völkerrechts. Dem Völkerrecht war in der post-napoleonischen Friedensordnung eine wichtigere Rolle zugedacht als in der Ära nach dem Westfälischen Frieden. Man setzte darauf, die internationalen Beziehungen durch Verträge zu stabilisieren. Beispiel ist etwa der Londoner Vertrag von 1839. Die Grossmächte garantierten – im Interesse europäischer Stabilität – die Neutralität Belgiens. Jener Neutralität bemerkenswerterweise, deren Bruch 75 Jahre später durch den Angriff Deutschlands auf Belgien den Beginn des Ersten Weltkriegs markieren sollte.
Merkmal der Ordnung nach 1815 war auch eine stärker hervorgehobene Stellung der Führungsmächte. Grossbritannien, Russland, Österreich, Preussen und bald auch wieder Frankreich übernahmen gemeinsam eine Rolle, die später manchmal als die eines «Sicherheitsrats des 19. Jahrhunderts» bezeichnet wurde. Hervorgehoben waren die Grossmächte allerdings nur politisch, nicht völkerrechtlich. Sie hatten, anders als heute die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates, keinen rechtlichen Sonderstatus. Die als sogenanntes Konzert der Grossmächte oder Pentarchie bezeichneten Führungsmächte unternahmen aber einen ersten Versuch, in Europa ein gemeinsames internationales Konfliktmanagement durch sie selbst zu betreiben. Das System funktionierte in den ersten Jahren nach dem Wiener Kongress einigermassen und spielte mindestens bis zum Krimkrieg (1853–1856) eine Rolle.30 In der Orientkrise von 1839 bis 1841 etwa verhinderten die Grossmächte, die sich als Hüter des Gleichgewichts verstanden, eine Herauslösung Ägyptens aus dem Osmanischen Reich.