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VI. Finis Coronat Opus

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Einen Monat nach Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges 1870 zeichnete Wilhelm Scholz für den Kladderadatsch „die wahrhafte Mainbrücke“ (Abb. 1.20). Seine Karikatur zeigt einen bayerischen und einen preußischen Soldaten, die auf verschiedenen Seiten eines Flusses – nämlich des Mains – stehen und sich beide Hände reichen. Germania, die Personifikation der deutschen Nation, schwebt über dieser Verbrüderung und schließt die beiden Soldaten in ihre Arme. Die Botschaft der Zeichnung ist eindeutig. Der gegenwärtige Krieg mit Frankreich führe die deutschen Staaten in einer nationalen Waffenbruderschaft zusammen. Darin seien alle Mitglieder, wie die gleiche Größe des Preußen und des Bayern andeutet, gleichgestellt. Durch diese Schicksalsgemeinschaft überwinde der Krieg die Differenzen zwischen dem von Preußen dominierten Norddeutschen Bund und den Südstaaten und ermögliche so ihre Vereinigung. Die gerade entstehende Nation sei deshalb, wie der Titel betont, „mit Blut getauft“.

Diese Karikatur ist deshalb interessant, weil sie zeigt, dass die deutsche Öffentlichkeit den Krieg beziehungsweise die Waffenbrüderschaft, die er formte, als wichtige Legitimationsquelle des neuen Reiches begriff. Diese Sichtweise ist wenig überraschend, wenn man bedenkt, dass sich Deutschland hauptsächlich auf Basis militärischer Erfolge von einem losen Staatenbund in einen starken Bundesstaat entwickelte. Die Reichsgründung umfasste insgesamt drei Kriege von jeweils ganz eigener Art: einen Bündniskrieg österreichischer und preußischer Truppen gegen Dänemark; einen Bürgerkrieg zwischen zwei Koalitionen aus deutschen Staaten, die jeweils unter preußischem und österreichisch-bayerischem Oberkommando standen; und einen europäischen Großmächtekrieg zwischen der Allianz der deutschen Staaten und Frankreich. 1864 richtete der Konflikt mit Dänemark die Kräfteverhältnisse in den innerdeutschen Beziehungen neu aus. 1866 schloss der preußische Triumph Österreich aus Deutschland aus und machte die Liberalen zu Partnern Bismarcks. 1870 brachen die gemeinsamen Kriegsanstrengungen gegen Frankreich den Widerstand, der im Süden vielerorts gegen eine Vereinigung mit dem preußisch-dominierten, protestantischen Norden geherrscht hatte. Kurz gesagt: Krieg war für jeden wichtigen Schritt auf dem Weg zur Reichsgründung entscheidend. Als der norddeutsche Reichstag dem Einigungsvertrag mit Bayern im Dezember 1870 zustimmte, unterstrich Rudolf von Bennigsen, einer der führenden Köpfe der Nationalliberalen, in einer emotionalen Ansprache die bedeutende Rolle, die Krieg in der Bildung der neuen Nation spielte: „Wir nehmen keine Gegner in den Bund auf, sondern deutsche Genossen, […] bewährt in einem unerhörten glorreichen Kampfe für die unserem Vaterlande gebührende Stellung, welche jetzt ihren Ausdruck finden wird in einer deutschen Gesammtverfassung, die dem mißtrauischen Europa und dem feindlichen Frankreich erst abgewonnen werden mußte.“80

Abb. 1.20: „Mit Blut getauft“, Kladderadatsch (14. August 1870), Wilhelm Scholz

Derartige Aussagen sind in der Entstehungsphase von Nationalstaaten nichts Ungewöhnliches. Egal, in welcher Epoche: Krieg war in vielen Staatsgründungen eine wichtige Legitimationsquelle. Das trifft auch für die USA und die Schweiz zu. Die Bundesstaaten von 1787 und 1848 wurden jeweils aus den Flammen des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges und des Schweizer Sonderbundskrieges geboren. Die Gründung dieser beiden Föderalordnungen ist also genau wie die der deutschen ein Beispiel dafür, dass „die Bildung von Nationalstaaten eine der wichtigsten Kriegsursachen in der modernen Welt“ ist, wie der Soziologe und Politikwissenschaftler Andreas Wimmer formuliert hat. Für den deutschen Fall erscheint die Bedeutung von Krieg besonders wichtig. Der entstehende Nationalstaat war ein schlafender Riese in der Mitte Europas, der das alte Großmachtgefüge komplett durcheinanderbrachte. Geopolitische Fragen waren deshalb absolut zentral in der Phase der Reichsgründung. Es war kein Zufall, dass die Präambel der Reichsverfassung den „Schutz des Bundesgebietes“ zu einem der Hauptziele des neuen Bundes erklärte.81

Krieg war allerdings eine problematische Legitimationsquelle für die gesamtdeutsche Ordnung. Der Enthusiasmus, den die Einigungskriege in weiten Teilen der Bevölkerung hervorriefen, war von Natur aus nur temporär. Außerdem hatte er rein gar nichts mit dem föderalen Charakter des neuen Nationalstaates zu tun. Wenn dieser überhaupt beachtet wurde, war er meist Gegenstand harscher Kritik, ganz besonders vonseiten der Liberalen. Sie sahen im bundesstaatlichen Aufbau des Reiches eine Fortführung des deutschen Partikularismus und ein Hindernis für die Einführung einer parlamentarischen Reichsregierung. So kritisierte der linksliberale Abgeordnete Wilhelm Loewe seine Kollegen im norddeutschen Reichstag scharf dafür, das Reich in der Verfassung nicht ausreichend gegenüber dem Partikularismus gestärkt zu haben. Nach dem Krieg werde die Begeisterung der Stunde abflauen und dann die ganze Problematik der neu eingerichteten Ordnung zutage treten: „Wenn der Moment vorüber ist, meine Herren, dann wird man ja des Blutes immer noch gedenken, aber man wird seiner mit anderen Empfindungen gedenken. Die Kritik dagegen dessen, was hier für die Dauer geschaffen ist, wird dann Ihnen gegenüber wenig Rücksicht darauf nehmen.“82

Diese Warnung ist ein eindrucksvolles Zeugnis dafür, dass man schon vor Abschluss des Vereinigungsprozesses erkennen konnte, wie wacklig die Legitimationsgrundlage des neuen Bundesstaates war. Wenn die Kriegsfanfaren erst einmal verstummt und der politische Alltag mit all seinen technischen Fragen in die Regierungsgeschäfte Einzug halten würde, so viel war klar, würde es schwierig werden, die föderale Organisation des Reiches einfach mit Verweis auf die Kriege zu rechtfertigen, die den Nationalstaat auf den Weg gebracht hatten.

Neben den Einigungskriegen gab es nur einen anderen Faktor, der die entstehende Bundesstaatsordnung zumindest ein Stück weit legitimierte. In dem historischen Fenster zwischen 1864 und 1871 wurde die Bismarcksche Lösung der deutschen Frage zwar niemandem ganz, aber doch allen ein bisschen gerecht. Sie bot die größtmögliche Überschneidung der politischen Interessen aller wichtigen Kräfte, die an der Gründung des Nationalstaates beteiligt waren. Weder für die preußische Regierung noch für die Regierungen der Mittel- und Kleinstaaten oder die nationalen Parlamente entsprach ein föderaler Bundesstaat ihrem Wunschkonzept einer gesamtdeutschen Ordnung. Sie entschieden sich trotzdem für diese Lösung, weil sie die einzige Option war, die der Vielzahl an verschiedenen, oft widersprüchlichen Interessen Rechnung tragen und so die Vereinigung ermöglichen konnte.

Bismarcks ewiger Bund

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