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III. Clio versus Minerva

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Die neue Verfassung musste Ordnung in eine komplizierte Gemengelage aus preußischer Hegemonie und bündischer Mitsprache, Partikularismus und Nationalismus, monarchischer Souveränität und parlamentarischen Machtansprüchen bringen. Nach einer Lösung für diese Quadratur des Kreises suchte Bismarck fernab des hektischen Berliner Politikbetriebes. Nach den anstrengenden Sommermonaten, in denen die Auflösung des Deutschen Bundes, der Krieg mit Österreich und die anschließenden Friedensverhandlungen stark an seinen Kräften gezehrt hatten, zog er sich im Oktober und November 1866 für einige Wochen ins beschauliche Ostseebad Putbus auf der Insel Rügen zurück. Dort blieb er über seinen Sekretär Robert von Keudell in ständigem Kontakt mit den Berliner Schaltstellen. Zu aufgewühlt waren die Zeiten, um die Ruhe auf dem idyllischen Anwesen des Fürsten zu Putbus in Muße zu genießen. Es galt, eine Frist einzuhalten. Die strukturelle Neuordnung Deutschlands musste vor Ablauf der Bündnisverträge abgeschlossen sein. Andernfalls waren die Bündnispartner nicht länger verpflichtet, einen neuen Bund zu gründen. Es musste also möglichst rasch ein offizieller Verfassungsentwurf her, der in den nächsten Monaten dem Preußischen Staatsministerium, den Regierungen der anderen Einzelstaaten und dem Reichstag zur Verhandlung vorgelegt werden könnte.45

Kurz vor Bismarcks Abreise hatte der preußische König Karl Friedrich von Savigny damit beauftragt, einen solchen Entwurf auszuarbeiten. Der Sohn des berühmten preußischen Rechtsgelehrten Friedrich Carl von Savigny war ein erfahrener Diplomat, der Preußen in den letzten zwei Jahren beim Frankfurter Bundestag vertreten hatte. Als Experte für deutsche Angelegenheiten arbeitete er mit Bismarck bei der Auflösung und Umgestaltung des Bundesverhältnisses eng zusammen. Die beiden Männer verband seit Savignys Eintritt in den preußischen Staatsdienst in den 1840er-Jahren eine persönliche Freundschaft. Die zunehmende Nähe Savignys zum König und seine offenen Ambitionen auf einen hohen Posten im neuen Bund sah Bismarck allerdings skeptisch. Um sicherzustellen, dass Savignys Verfassungsentwurf mit seinen eigenen Vorstellungen übereinstimmen würde, schickte er ihm aus Putbus zwei ausführliche Aktenvermerke, in denen er viele der Hauptgedanken der späteren Verfassung entwickelte. Bei diesen Putbuser Diktaten handelte es sich also um mehr als nur eine mehrteilige Denkschrift. Sie waren vorsichtig formulierte diplomatische Anweisungen, die Bismarck dem innenpolitisch unerfahrenen Savigny gab, damit dieser in seinem persönlichen Ehrgeiz keinen vollkommen überambitionierten Entwurf verfassen, den König und die Minister dadurch vor den Kopf stoßen und so womöglich unüberbrückbaren Widerstand gegen das Bundesprojekt hervorrufen würde. „Wir Fachleute, die dabei mitreden“, appellierte er an Savigny, „müssen unter uns einig sein, bevor die Sache zur Entscheidung gestellt wird, sonst verliert sich nachher der Meinungsstreit ins Bodenlose, und die Sache mißlingt.“46

In den beiden Diktaten vom 30. Oktober und 19. November stellte Bismarck auf Basis seiner bisherigen Überlegungen drei Leitgedanken darüber zusammen, wie das politische System des neuen Bundes zu gestalten sei. Erstens solle die Verfassung flexibel sein. Die bislang gesammelten Entwürfe von Duncker und Co. seien alle zu „zentralistisch bundesstaatlich“. Gerade um den „dereinstigen Beitritt der Süddeutschen“ zu ermöglichen, müsse man ein gemischtes System schaffen, das sich je nach Bedarf zu einem engeren oder lockereren Zusammenschluss der Einzelstaaten entwickeln könnte: „Man wird sich in der Form mehr an den Staatenbund halten müssen, diesem aber praktisch die Natur des Bundesstaates geben mit elastischen, unscheinbaren, aber weitgreifenden Ausdrücken.“ Lediglich gewisse kriegsrelevante „Attributionen der Exekutivgewalt“ müssten die einzelstaatlichen Souveräne sofort und definitiv dem preußischen König als ihrem „Oberfeldherrn“ übergeben.47

Bismarcks ewiger Bund

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