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II. Auf dem Boden der Tatsachen

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Was für einen Staat schuf die Vereinigung der deutschen Einzelstaaten eigentlich? Einen Bundesstaat? Einen Staatenbund? Oder eine ganz andere Form der Staatenunion? Diese grundlegendste aller Fragen ließ Bismarcks Verfassungsentwurf offen. Anders als etwa die Wiener Schlussakte enthielt er keine Klausel darüber, zu welcher Staatsform sich die Einzelstaaten zusammenschlossen. Das war keine Definitionslücke, sondern eine bewusste Auslassung. Wie Bismarck in seinen Putbuser Diktaten ausgeführt hatte, wollte er sich zum Schutz des Fürstenbundes größtmögliche Flexibilität bewahren. Je nach Szenario konnte für die Verteidigung der Monarchie und die Eingliederung der süddeutschen Staaten eine Lockerung oder eine Verdichtung des Bundes notwendig sein. Eine Festlegung der Staatsform hätte dem nur im Weg gestanden.43

Auch der Reichstag verzichtete letztlich darauf, die Organisationsform des neuen Bundes eindeutig festzulegen. Es entspann sich darüber zwar ein intensiver Streit, bei dem die Vor- und Nachteile einer föderalen oder unitarischen Gestaltung des Nationalstaates gegeneinander abgewogen wurden. Die lebhafte Debatte führte aber zu nichts. Um eine Mehrheit zu bilden, waren die Gegensätze einfach zu groß. Die meisten Konservativen wollten die Souveränität der einzelstaatlichen Monarchen so weit wie möglich bewahren und zogen deshalb eine staatenbündische Organisation vor. Für die partikularistischen Kleinparteien galt das sowieso. Die Liberalen waren dagegen auf einen Einheitsstaat aus. Sie versprachen sich davon nicht zuletzt ein starkes nationales Parlament, das ohne irgendwelche föderalen Schranken die Regierung würde kontrollieren können. Um wenigstens zu versuchen, die monarchisch gesinnten Verhandlungspartner zu überzeugen, bedurfte es aber einer anderen Begründung. In der Fraktion der Fortschrittspartei argumentierten deshalb einige geschickt mit der Ausdehnung des preußischen Machtstaates. Da Preußen auf dem Schlachtfeld sowieso die Gewalt über ganz Norddeutschland errungen habe, erklärte zum Beispiel Benedikt Waldeck, solle es alle Einzelstaaten einfach annektieren statt die Bevölkerung der Klein- und Mittelstaaten einfach zu Anhängseln des schon zahlenmäßig übermächtigen preußischen „Centrallebens“ zu machen. „Besser freilich ist, wenn man 25 Millionen 5 Millionen gegenüberstellt, der Einheitsstaat.“44

Die Absichten hinter solchen Vorschlägen zur Errichtung eines unitarischen Großpreußens waren leicht zu durchschauen. Bismarck reagierte dementsprechend mit rigoroser Ablehnung. „Die Basis dieses [Bundes-]Verhältnisses soll nicht die Gewalt sein, weder den Fürsten noch dem Volke gegenüber“, erwiderte er auf Waldeck. „Die Basis soll das Vertrauen zu der Vertragstreue Preußens sein, und dieses Vertrauen darf nicht erschüttert werden, so lange man uns die Vertragstreue hält.“ Damit legte er den Einigungsprozess als eine vertragliche Übereinkunft zwischen den einzelstaatlichen Souveränen aus. Mit anderen Worten: Er bestand darauf, dass die Grundlage der Verfassung ein Fürstenbund war. Diese Interpretation erteilte allen einheitsstaatlichen Träumereien eine unmissverständliche Absage und gab der Verfassung – ohne das irgendwo näher definieren zu müssen – einen staatenbündischen Charakter.45

Die meisten Liberalen fanden sich letztlich damit ab, dass ein Einheitsstaat nicht durchzusetzen war und der neue Bund auf einer eigentümlichen Mischung aus bundesstaatlichen und staatenbündischen Strukturen beruhen würde. Angesichts der starken Verhandlungsposition der konservativen Kräfte im Reichstag und auf der Regierungsbank ergab es einfach keinen Sinn, einer „Illusion“ nachzuhängen, die die „allgemeine Discussion“ bereits „vernichtet“ hatte. Das betonten selbst einige Fortschrittler wie der Berliner Verleger und spätere Sozialreformer Franz Duncker, dessen Bruder Max in den Reihen der Altliberalen saß und für Bismarck einen der im vorhergehenden Kapitel diskutierten Vorentwürfe der Verfassung ausgearbeitete hatte. Da der Entwurf „nicht einmal das Ideal eines Bundesstaates [erreiche], nicht einmal als bundesstaatliche Verfassung bezeichnet werden [könne], sondern wesentlich nur den Charakter des Bündnisses selbstständiger Regierungen [trage]“, konstatierte er, müsse man diesen „Sieg der Thatsachen“ und „deutschen Eigenthümlichkeit“ eben akzeptieren. Statt vom Einheitsstaat zu träumen, sei es klüger, auf dieser Grundlage zu versuchen, das meiste aus den Verhandlungen herauszuholen.46

Während viele seiner Parteikollegen nicht von ihrer Forderung nach einer unitarischen Ordnung abrückten, teilten die Nationalliberalen seinen Pragmatismus. Sie hielten es letztlich für unnötig, auf der Gründung eines Einheitsstaates zu bestehen und so die Verhandlungen womöglich scheitern zu lassen, weil sie glaubten, dass auf Grundlage der Verfassung sowieso ein solcher in Zukunft entstehen würde. Bei aller staatenbündischen Rhetorik Bismarcks schuf der Entwurf ohne Zweifel einen Bundesstaat. Er definierte ein einheitliches Bundesgebiet, sah eine gemeinsame Staatsbürgerschaft vor und richtete eine Reihe mächtiger Bundesorgane ein. Gleichzeitig gab es keine Vorschrift, die die Existenz der Einzelstaaten garantiert oder irgendwelche Grenzen für eine Neuorganisation des Bundes festgelegt hätte. Angesichts dieser Offenheit der Verfassung sahen viele Nationalliberale in dem merkwürdigen Bund, den sie schuf, nur „einen Uebergang […] zum deutschen Einheitsstaat“. Der Harburger Bürgermeister August Grumbrecht, der schon die Frankfurter Reichsverfassung mitunterzeichnet hatte, erklärte dazu, dass eine „Reichsverfassung, welche einen Bundesstaat von Monarchien unter einem erblichen Reichsoberhaupte, und zwar unter dem Fürsten des alle anderen an Macht überwiegenden Staates“ gründe, gar nicht anders könne, als über kurz oder lang zum Einheitsstaat zu führen. Die Dynamik, die der preußische Sieg auf dem Schlachtfeld erzeugt habe, weise unzweifelhaft in diese Richtung. Stelle man sich „auf den Boden dieser Thatsachen“, erkenne man, „daß der Bundesstaat in Deutschland für die Zukunft eine Unmöglichkeit“ sei und alles nach einer Erweiterung Preußens „zum deutschen Volksstaat“ dränge. In den Verhandlungen müsse man daher nicht alles sofort erreichen, sondern einfach dafür sorgen, dass diese Entwicklung sich so gut wie möglich entfalten könne.47

Die allererste Voraussetzung dafür war, den süddeutschen Staaten einen Beitritt zum Bund möglichst leicht zu machen. So beklagenswert die Begrenzung des Bundesgebietes auf Norddeutschland war, erschien sie den meisten Nationalliberalen schon alleine aus außenpolitischen Gründen als vorübergehende Notwendigkeit. Langfristig musste aus ihrer Sicht der Anschluss des Südens aber das Ziel bleiben. „Die Mainlinie“, erklärte Miquel unter dem Jubel seiner Kollegen, „ist […] gewissermaßen eine Haltestelle für uns, wo wir Wasser und Kohlen einnehmen, Athem schöpfen, um nächstens weiter zu gehen“. Ein Einheitsstaat war für eine Vereinigung der beiden Teile Deutschlands nicht zwingend die beste Ausgangslage, würde er doch die partikularistischen Kräfte im Süden in ihrer Abneigung gegen einen Nationalstaat wahrscheinlich noch bekräftigen. Aber auch Bismarcks Entwurf schien den Nationalliberalen zu kompliziert. Dessen letzter Artikel sah vor, die Beziehungen des Bundes zu den Südstaaten, also auch einen möglichen Beitritt, allein durch völkerrechtliche Verträge unter Zustimmung des Reichstages zu regeln. Aus einer Reihe von Änderungsanträgen, die teilweise einen Beitritt ohne jegliches rechtliche Prozedere ermöglichen wollten, nahm der Reichstag schließlich einen Kompromissvorschlag von Miquel und seinem Parteifreund Eduard Lasker an. Danach sollte der Beitritt einzelner oder aller Südstaaten im Rahmen der Bundesgesetzgebung auf Antrag des Bundespräsidiums erfolgen. Das machte es möglich, spezielle Bestimmungen, die eventuelle Beitrittsverträge treffen würden, einfach per Gesetz in die Verfassung aufzunehmen. Da dieser Prozess vom Bundespräsidium beziehungsweise König von Preußen ausgelöst werden sollte, war gleichzeitig sichergestellt, dass das Parlament ihn nicht erzwingen und womöglich außenpolitische Verwicklungen damit auslösen würde. Deswegen konnte auch Bismarck mit dieser Regelung leben.48

Viele nationalliberale Abgeordnete betonten allerdings, dass die politische Ordnung bei Hinzukommen der Südstaaten noch einmal angepasst werden müsse. Lasker, der Anführer des linken Flügels der Nationalliberalen, hielt es „für unmöglich, auf Grundlage des jetzigen Verfassungs-Entwurfs den Beitritt aller Süddeutschen Staaten oder auch nur der erheblichen in’s Auge zu fassen“. Bevor das geschehen könne, müsse die preußische Hegemonie weiter abgesichert werden. Bei einer Vereinigung gelte es, zum Schutz gegenüber dem Ausland „eine Verbindung her[zu]stellen, welche die Preußische Macht kräftigt und nicht lähmt“. Hinter solchen Bedenken steckte die Sorge, dass ein Anschluss des Südens die partikularistischen Strukturen des Bundes stärken und die unitarischen schwächen könnte. Um die Grundlagen einer einheitsstaatlichen Entwicklung zu schützen, wollten die Nationalliberalen im Fall einer Vereinigung deshalb die preußische Hegemonie weiter ausbauen. „Wenn das Gewicht der Süddeutschen Staaten dem Bundesrath hinzugefügt wird“, führte Heinrich von Sybel dazu aus, „wird es unerläßlich sein, die Stellung der Krone Preußens sowohl im Bundesrathe als in der Verfassung überhaupt zu stärken; denn nur mit einer solchen Stärkung würde dann die Krone Preußens im Stande sein, die ihr auferlegten großen Rechte und schweren Pflichten dieser Verfassung wirksam und segensreich durchzuführen“.49

Bismarck sah solche Überlegungen zum Ausbau der preußischen Hegemonie wegen ihrer einheitsstaatlichen Motivation mit gemischten Gefühlen und betonte immer wieder die bündischen Grundlagen der Verfassung. Noch viel weniger willkommen waren ihm außenpolitische Gedankenspiele, mit denen vereinzelte Abgeordnete Zweifel an der offenen Form des Bundes und ihrer Eignung für ein gesundes Verhältnis zum Süden streuten. So zeichnete zum Beispiel der ehemalige sächsische Justizminister Albert von Carlowitz, ein gemäßigter Liberaler, der 1849 die preußische Regierung bei der Erfurter Union vertreten und sich jetzt im Reichstag der Freien Vereinigung angeschlossen hatte, das „Schreckbild […] eines Bündnisses zwischen den süddeutschen Staaten und dem Auslande gegen Preußen“ an die Wand, wie sich Bismarck beklagte. Darauf reagierte er, indem er die bis dahin geheim gehaltenen Schutz- und Trutzbündnisse, die er zwischen Nord und Süd in den letzten Monaten ausgehandelt hatte, im Reichstag bekannt gab. Er versuchte also, den Boden der Tatsachen, auf dem die Nationalliberalen den Bund bauen wollten, zu festigen und ihnen so den Weg zur Zustimmung zu ebnen. Und er hatte damit Erfolg: Die Nationalliberalen ließen sich auf den Gang ins Blaue ein und verzichteten auf die Festlegung einer bestimmten Staatsform.50

Bismarcks ewiger Bund

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