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VII. Fiktion und Realität

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Die Verfassung des Deutschen Kaiserreiches war keine spontane Eingebung Bismarcks. Einen Heureka-Moment hat es nie gegeben. Die Strukturen des neuen föderalen Regierungssystems waren vielmehr das Ergebnis eines langjährigen Entstehungsprozesses, der von taktischen Überlegungen, persönlichen Ambitionen und komplizierten Verhandlungen zwischen Bismarck, dem Preußischen Staatsministerium, den Regierungen der anderen Einzelstaaten und dem Reichstag geprägt war. Der Bund entsprang weniger der Revolution, die sich 1866 und 1870 auf dem Schlachtfeld vollzog, als der Evolution, die die Ideen über die organisatorische Gestaltung Deutschlands vor diesem Hintergrund durchmachten. Bei diesem geistigen und politischen Ringen um die Neuordnung der innerdeutschen Beziehungen zählte der staatenbündische Anschein genauso viel wie die hegemoniale Wirklichkeit. Die Legende vom Fürstenbund spielte bei der Entstehung der Verfassung eine maßgebliche Rolle. Sie war ein Beruhigungsmittel, das den Fürsten beim Eintritt in den Nationalstaat die Furcht vor dem Verlust ihrer Souveränität und der Unterordnung unter die preußische Monarchie zu nehmen suchte; ein Präventionsmittel, das den Reichstag bei der Gründung der neuen Ordnung in einer passiven Rolle halten und die Einrichtung von Strukturen gewährleisten sollte, die die Entstehung eines parlamentarischen Regierungssystems dauerhaft verhinderten; und ein Druckmittel, das die Fürsten dazu drängte, sich zum Schutz ihrer Souveränität zusammenzuschließen und in die Obhut der preußischen Hegemonialmacht zu begeben.145

Weder die Regierungen noch die Monarchen der Einzelstaaten glaubten daran, dass der neue Gesamtstaat wirklich ein Fürstenbund war. Angesichts der Gefahren, die von der Übermacht Preußens und dem Vordringen des Parlamentarismus für den Fortbestand ihrer jeweiligen Souveränität auszugehen schienen, trugen sie aber letztlich alle diese Legende mit. Auch die Verfassungsberatungen des Reichstages, die im Mittelpunkt des nächsten Kapitels stehen werden, rissen die Fassade des Fürstenbundes nicht ein. Die große Mehrheit der Abgeordneten akzeptierte sie wohl oder übel als Teil des realpolitischen Kompromisses, den sie mit den monarchischen Kräften zur Gründung des Reiches schlossen. Diese Bereitschaft der Fürsten, Minister und Parlamentarier, die Legende, die Bismarck in die Welt gesetzt hatte, aufrecht zu erhalten, machte den Fürstenbund zum eigentlichen Gründungsmythos des Nationalstaates. Wie wir im Verlauf dieses Buches sehen werden, bediente sich Bismarck jener Ursprungserzählung auch in den Jahrzehnten nach der Reichsgründung immer wieder, um einer Liberalisierung des Verfassungssystems entgegenzuwirken, aufmüpfige Landesregierungen wieder in die Spur zu bringen und die schützende Front der verbündeten Regierungen geschlossen zu halten. Dadurch machte er die Fiktion des Fürstenbundes zum festen Bestandteil der Realität des Kaiserreiches. Die allmähliche Ausformung einer Reichsmonarchie nahm dieser Legende aber Stück für Stück ihre Wirkungskraft. Mit dem Abgang ihres Urhebers löste sie sich endgültig auf.

Bismarcks ewiger Bund

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