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IV. Verbündete und Vasallen

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Als die Regierungen der norddeutschen Einzelstaaten am 15. Dezember in Berlin zur Beratung des preußischen Verfassungsentwurfs zusammenkamen, herrschte ziemlich dicke Luft. Von einer entspannten Atmosphäre oder gar Aufbruchsstimmung war nichts zu spüren. Savigny, der die Verhandlungen für die preußische Regierung leitete, saßen die Vertreter von 21 Staaten gegenüber, die entweder zu den Verlierern des vor knapp drei Monaten zu Ende gegangenen deutschen Bürgerkrieges gehörten oder Preußen mehr aus Angst denn aus Überzeugung in den Kampf gegen Österreich gefolgt waren. Die beiden nach Preußen größten Staaten auf der Konferenz, Sachsen und Hessen, waren als Teil des Friedensvertrages mit Preußen dazu gezwungen worden, sich an der Gründung eines norddeutschen Bundes zu beteiligen. Das gleiche galt für Sachsen-Meiningen und Reuß älterer Linie. Die übrigen Kleinstaaten und die drei Hansestädte hatten zwar ihre Loyalität mit den Hohenzollern auf dem Schlachtfeld bewiesen, fürchteten ob der preußischen Annexionen vom Sommer aber nichtsdestotrotz um ihre Existenz. Auch wenn die „Grundzüge“ und das Augustbündnis versprochen hatten, die Einzelstaaten zu erhalten, ging die Angst vor einem Großpreußen um.70

Angesichts dieser Stimmungslage war abzusehen, dass der preußische Entwurf mit seinen hegemonialen Strukturen auf erheblichen Widerstand stoßen würde. Bismarck versuchte deshalb gleich in seiner Eröffnungsrede, die anderen Regierungsvertreter davon zu überzeugen, sich nicht gezwungenermaßen der preußischen Übermacht zu unterwerfen, sondern sich freiwillig zu einem Fürstenbund zusammenzuschließen. Die „Sicherheit“ und „nationale Wohlfahrt“, die der alte Bund den verbündeten Staaten nicht gewährleistet habe, sei allein durch die „Herstellung einer einheitlichen Leitung ihres Kriegswesens und ihrer auswärtigen Politik“ sowie durch „gemeinsame Organe der Gesetzgebung“ zu erreichen. Der Verfassungsentwurf mute den Einzelstaaten daher nur deshalb eine „wesentliche Beschränkung ihrer particularen Unabhängigkeit“ zu, weil er den „wesentlichen Grund der politischen Ohnmacht“ Deutschlands überwinden wolle, nämlich die „Sonderstellung“ der „einzelnen Stämme und dynastischen Gebiete“. Darum müsse jede Regierung bereit sein, die „Opfer“ zu bringen, „welche mit der Herstellung gleicher Pflichten und Rechte aller Teile der Bevölkerung des gemeinsamen Vaterlandes verbunden“ seien. Die preußische Staatsführung habe aber keinen Zweifel, „daß der einmüthige Wille der verbündeten Fürsten und freien Städte, getragen von dem Verlangen des Deutschen Volkes, seine Sicherheit, seine Wohlfahrt, seine Machtstellung unter den Europäischen Nationen durch gemeinsame Institutionen dauernd verbürgt zu sehen, alle entgegenstehenden Hindernisse überwinden“ werde.71

So sehr diese Worte auch den Eindruck zu erwecken suchten, Preußen wolle einen Bund aus gleichberechtigten Partnern errichten, so wenig Glauben schenkten die anderen Bevollmächtigten ihnen. Im Gegenteil: Auf den Verfassungsentwurf reagierten sie ausnahmslos mit einem „Schrei des Entsetzens“, wie der Hamburger Senator und Verhandlungsführer Gustav Heinrich Kirchenpauer schilderte. Weder aus den kleineren noch aus den größeren Staaten gab es Regierungsvertreter, die den Entwurf als einen Fürstenbund verstanden. Alle sahen in ihm den Versuch, die preußische Monarchie auf ganz Norddeutschland auszudehnen. Der sächsische Ministerpräsident Johann Paul von Falkenstein erklärte die Gründe dafür in einer ausführlichen Denkschrift: „Der Entwurf zieht allerdings mit großer Entschiedenheit die aus dem Begriff ‚Bundesstaat‘ hervorgehenden Konsequenzen. Aber die Bundesgewalt umfaßt freilich nicht die Mitwirkung, und zwar die gleichmäßige Mitwirkung aller Bundesglieder, sondern scheint ein angeborenes Attribut des preußischen Staates sein zu sollen. Es liegt daher dem Entwurf viel mehr das Prinzip der Annexion oder der Zusammenknüpfung verschiedener Staaten unter der bleibenden Übermacht eines Staates, als das eines wirklichen Bundesstaates zugrunde, und er organisiert eigentlich nicht diesen, sondern vielmehr einen Unterwerfungsmodus für die einzelnen Staaten.“ Der hessische Ministerpräsident Reinhard von Dalwigk, der seit Jahren für eine großdeutsche Lösung geworben hatte, formulierte diesen Vorwurf in seinen Tagebüchern noch schärfer. Die vorgeschlagene Bundesverfassung war für ihn nichts anderes als eine „Mediatisierung der deutschen Fürsten, und zwar nicht zugunsten des deutschen Vaterlandes, sondern Preußens“.72

Die anderen Regierungen sahen in Bismarcks Konzept eines Fürstenbundes also reine Augenwischerei. Für sie war die vorgeschlagene Verfassung vor allem eines: ein Werkzeug der preußischen Hegemonie. Im Einzelnen hatte ihr Widerstand teilweise sehr unterschiedliche Gründe, die mit ihrer jeweiligen politischen, wirtschaftlichen und geografischen Lage zu tun hatten. Der Hamburger Senat sorgte sich zum Beispiel um die Folgen, die ein großpreußischer Militärstaat für die Handelsbeziehungen haben würde. Besonders der Verlust der eigenen Handelsflagge, des Konsulatswesens und des Rechts, völkerrechtliche Verträge einzugehen, schmerzten die Hansestadt. In den beiden Mecklenburger Herzogtümern fürchtete die Ritterschaft um den Erhalt der ständischen Strukturen, die ihre politische Vorherrschaft sicherten und dem starken Bundesparlament, das der Entwurf vorsah, sehr wahrscheinlich ein Dorn im Auge sein würden. Die beiden Schwergewichte der Verhandlungen störten sich vor allem an der geplanten Militärorganisation. Da Hessen nur mit seinem nördlichen Teil, dem ehemaligen Kurfürstentum Hessen-Kassel, in den Bund eintreten würde, wollte die Darmstädter Regierung unbedingt verhindern, dass das vorgesehene Kontingentssystem die großherzogliche Armee in zwei Teile reißen würde. König Johann von Sachsen und seine Regierung wehrten sich vor allem gegen den uneingeschränkten Oberbefehl, den der preußische König als Bundesfeldherr über die sächsischen Truppen haben sollte.73

Neben vielen individuellen Motiven für den Widerstand gegen den Entwurf gab es zwei Bedenken, die von fast allen Regierungen und Fürsten geteilt wurden. Allgemeine Erschütterung herrschte über die Regelung des Militärbudgets. Danach sollten die Kosten für die Finanzierung des Heeres und der Marine auf alle Einzelstaaten gleich verteilt werden. Ein Zwergstaat wie das Herzogtum Anhalt sollte pro Soldat in seinen Regimentsreihen genauso viel für die Finanzierung der Bundesverteidigung beitragen wie die Großmacht Preußen. Um diese Last zu schultern, klagten die Regierungen der kleinen Fürstentümer, müssten sie die direkten Steuern um das Zwei- bis Dreifache erhöhen. Christian Bernhard von Watzdorf, der Ministerpräsident Sachsen-Weimar-Eisenachs, informierte seinen königlichen Herrn zum Beispiel, dass das Großherzogtum gemäß dieser Bestimmungen 630 000 statt wie bisher 200 000 Taler für Militärkosten aufzuwenden habe. Dazu würden noch die Kosten für die Bundesverwaltung kommen, deren Höhe noch gar nicht abzusehen sei. Unter diesen Bedingungen empfahl der anhaltinische Minister Carl Friedrich Sintenis, gleich „die Regierungsflinte ins Korn zu werfen“. Tatsächlich wollten einige Fürsten lieber abdanken und ihr Land gegen eine Abfindungszahlung Preußen überschreiben, als sich diesem System zu unterwerfen. „Der Entwurf legt den kleinen Staaten Verpflichtungen auf, welche ihre Fortexistenz unmöglich machen“, erklärte Herzog Ernst von Coburg in einer Denkschrift. „Es wird sicherlich kein einziges der kleinen Länder nicht sofort, wenn diese Verfassung in Ausführung gebracht werden soll, vorziehen, in Preußen einverleibt zu werden, und hierin werden Regierungen und Bevölkerungen einig sein.“74

Der zweite große Aufreger war die Auslöschung der einzelstaatlichen Militärhoheit. Von der Festlegung der Truppenstärke und Garnisonen bis zur Ernennung der Kontingentskommandeure nahm der Entwurf den Fürsten alle wichtigen Befugnisse über ihre Heereseinheiten. Die gesamte Militärgesetzgebung sollte Bundesangelegenheit werden. Besonders umstritten war die Regelung des Fahneneides. In einem Bund, der den regierenden Fürsten den Anschein ihrer Souveränität lassen, ihre Truppen aber dem Oberbefehl eines Bundesfeldherrn unterstellen wollte, konnten die Soldaten nicht auf einen klaren Dienstherrn eingeschworen werden. Ihr Schwur musste zwangsweise ambivalent sein. So sah der Entwurf vor, dass die Regimenter den Fahneneid zwar auf ihren jeweiligen Landesherrn ablegen konnten, gleichzeitig aber dem Bundesfeldherrn unbedingten Gehorsam geloben mussten. Diese Lösung unterstrich, dass die Fürsten im Militär auf eine reine Repräsentationsrolle beschränkt sein sollten. Neben einigen Ehrenrechten ließ ihnen der Entwurf nur die Ernennung von Offizieren unterhalb des Ranges eines Obersts sowie das Inspektions- und Requisitionsrecht.75

Was vielen Regierungen an diesem Verlust militärischer Souveränität besonders missfiel, war die Tatsache, dass die entsprechenden Befugnisse ohne jede weitere Kontrolle – etwa durch ein Fürstenhaus oder ein Bundesgericht – an den Bundesfeldherrn und damit an den preußischen König fallen sollten. Dieses Arrangement verstörte selbst jene wenigen Fürsten, die die Gründung eines kleindeutschen Nationalstaates aufrichtig befürworteten. Großherzog Peter von Oldenburg, der in der Schleswig-Holstein-Krise eng mit Bismarck zusammengewirkt und nach Kriegsausbruch seine Truppen als einer der Ersten dem preußischen Oberbefehl unterstellt hatte, schrieb an den Herzog von Meiningen: „Der preußische Entwurf schafft eine Militärdiktatur. Die Bestimmungen über Bundesexekution und Erklärung des Kriegszustandes im Frieden lassen das Damoklesschwert stets über den Regierungen schweben. Kein Bundesminister, kein Bundesgericht schützt vor Willkür. Das Parlament ist ein leerer Name, denn die wesentlichen Ausgaben, der Militäretat, werden jeder Einwirkung entzogen.“76

Derartige Ängste vor der Unterwerfung unter eine preußische Alleinherrschaft motivierten die Regierungen dazu, zähen Widerstand zu leisten. Die Verhandlungen zogen sich über Weihnachten und Neujahr bis Anfang Februar hin. Das war viel länger, als Bismarck ursprünglich geplant hatte. Aus dem erhofften freiwilligen Zusammenschluss zum Fürstenbund wurde eine komplizierte Hängepartie, bei der sich die einzelstaatlichen Regierungen mit allen Kräften gegen die preußische Vorlage wehrten. Peter von Oldenburg legte gar einen eigenen Verfassungsentwurf vor, der auf die Errichtung einer kaiserlichen Reichsmonarchie zielte. Gemeinsam mit dem preußenfreundlichen Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen und dessen umtriebigen Minister Anton von Krosigk warb Peter bei den anderen Fürsten intensiv dafür, den preußischen König zum Kaiser eines neuen Bundes zu machen. Dafür sprachen aus ihrer Sicht nicht nur strukturelle und taktische Gründe, sondern auch Statusüberlegungen, wie Krosigk in einem Brief an den Coburger Herzog Ernst unterstrich: „Mit dem deutschen Kaiser würde Süddeutschland angezogen werden, würden wir aufhören, unter Preußen gewissermaßen als Vasallen zu stehen, denn der deutsche Kaiser ist etwas anderes als der König von Preußen. Das spezifische Preußentum [würde] nach und nach in den Hintergrund treten. Der allgemeine nebelhafte Ausdruck Präsidium würde in den körperhaften ‚Kaiser‘ verwandelt.“77

Dieser Plan war das genaue Gegenteil des preußischen Entwurfs. Peter und seine Unterstützer waren davon überzeugt, dass eine echte Reichsmonarchie die Rechte der Einzelstaaten und damit die Stellung der Monarchen besser schützen könne als Bismarcks angeblicher Fürstenbund. Warum, erklärte der Großherzog in einer Denkschrift zu seinem Verfassungsentwurf. Sollte der neue Bund so eingerichtet werden, wie von Preußen vorgeschlagen, betonte er, würden die hegemonialen Strukturen unweigerlich über kurz oder lang einen Einheitsstaat hervorbringen, die Kleinstaaten ausradieren und die Südstaaten dauerhaft von einem Beitritt abhalten. Darum sei es besser, die Hoheitsrechte des Bundes sauber von denen Preußens zu trennen. Statt dem preußischen König die wichtigsten exekutiven Befugnisse indirekt über das Amt eines Präsidiums in die Hände zu legen, solle man diesen lieber gleich zu einem echten Bundesoberhaupt beziehungsweise Kaiser machen, der die Regierungsgewalt in bestimmten Feldern unmittelbar ausübe. Dazu könnten die auswärtigen Angelegenheiten, das Militär, die Bundesfinanzen, das Post-, Telegrafen- und Eisenbahnwesen sowie das Zivil- und Strafrecht zählen. Eine derartige Regelung der Verhältnisse weite zwar die direkte Bundesgewalt im Vergleich zu den Bestimmungen des preußischen Entwurfs aus, ließe aber auch fest umrissene Gebiete vollständig in der Hoheitsgewalt der Einzelstaaten, allen voran die innere Verwaltung, die Polizei, die Justiz, das Bildungswesen und die Landesfinanzen. Dadurch könne man die Länder als eigenständige staatliche Einheiten erhalten und so die Souveränität der regierenden Fürsten bewahren.78

Um die Interessen der Einzelstaaten und ihrer Monarchen abzusichern, sahen die Pläne des Großherzogs drei spezielle Institutionen vor: ein Bundesgericht, ein Fürstenhaus und einen Reichsrat. Bismarck hatte in seinem Verfassungsentwurf bewusst auf derartige Organe verzichtet, um die Vorherrschaft Preußens über den künftigen Bund nicht zu schmälern. Der Großherzog wollte genau diese Dominanz brechen. Zu diesem Zweck teilte er die judikativen und legislativen Befugnisse, die der preußische Entwurf dem Bundesrat zusprach, zwischen den drei zusätzlichen Organen auf. Das Bundesgericht sollte für alle Verfassungsstreitigkeiten zuständig sein und versprach den Einzelstaaten so einen wirksamen Rechtsschutz gegen unrechtmäßige Eingriffe in ihre Hoheitsgewalt. Gerade die kleinen Fürstentümer sollten auf diese Weise vor preußischen Übergriffen geschützt werden. Das Fürstenhaus war als Oberhaus des künftigen Reichstages konzipiert. Es sollte als konservatives Gegenstück dem Abgeordnetenhaus in der Gesetzgebung gegenüberstehen und so die Einführung des allgemeinen Wahlrechts abfedern. Außerdem sollten seine Zusammensetzung und seine Abstimmungsregeln das Übergewicht Preußens aufheben. Alle Mitglieder sollten das gleiche Stimmrecht haben. Neben den regierenden Monarchen sollten auch all jene geistlichen und weltlichen Fürsten vertreten sein, die im Zuge der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches mediatisiert worden waren. Der Reichsrat sollte den Kaiser beraten und dabei die Partikularinteressen der Einzelstaaten vertreten. Er sollte neben den vom Kaiser ernannten verantwortlichen Reichsministern, dem Reichskanzler und dem Vizekanzler aus den Gesandten der regierenden Reichsfürsten bestehen und unter der Leitung eines Präsidenten tagen. Die Hauptaufgabe dieses Beratungsgremiums sollte darin liegen, Bundes- und Landespolitik miteinander abzustimmen. Folglich sollte es alle Gesetzesvorschläge, Anträge und Beschwerden der einzelstaatlichen Regierungen verhandeln, bevor diese an die anderen Regierungsorgane überwiesen werden konnten.79

In den Vorstellungen des Großherzogs mischte sich eine gewisse romantische Verklärung des alten Reiches mit der Angst vor einer preußischen Zwangsherrschaft. Viele seiner fürstlichen Brüder teilten diese Gefühlslage. Das führte dazu, dass einige Regierungsvertreter für kurze Zeit sogar getrennt von Preußen tagten. Es bildete sich aber nie eine einheitliche Front gegen den preußischen Entwurf. Dafür gingen die einzelnen Interessen einfach zu weit auseinander. Diese Uneinigkeit wusste Bismarck auszunutzen. Durch geschickte Verhandlungstaktik brach er den Widerstand Stück für Stück. Statt den Entwurf, wie ursprünglich geplant, in Fachkommissionen zu erörtern, die aus der Vollversammlung der Regierungsvertreter gebildet werden sollten, führte er mit jedem Staat geheime Sonderverhandlungen. Dabei bediente er sich einer Mischung aus Druckmitteln und Versprechungen. Trotzdem war es schwierig, die jeweiligen Regierungen auf seine Seite zu ziehen. Am einfachsten war es noch, dem Kaiserplan den Wind aus den Segeln zu nehmen. Da dieser keine speziellen Partikularinteressen berührte, konnte Bismarck einfach auf den größeren Rahmen der Einigungsbestrebungen verweisen. Frankreich würde die Errichtung eines starken monarchischen Zentralstaates nicht akzeptieren. Außerdem sei es äußerst unwahrscheinlich, ja geradezu ausgeschlossen, dass sich die süddeutschen Staaten jemals einer norddeutschen Reichsmonarchie anschließen würden. Besonders „Bayern“, erklärte er gegenüber Krosigk, werde „sich lieber unter den Bund als unter den Kaiser stellen“.80

Die Kleinstaaten gewann Bismarck vor allem durch umfangreiche finanzielle Entlastungen. Man einigte sich darauf, dass die Regierungen der Zwergstaaten im ersten Jahr nach der Gründung des neuen Bundes zunächst nur 162 Taler pro Soldat zahlen sollten. Diese Summe sollte sich dann jährlich um 9 Taler erhöhen und schrittweise den Betrag von 225 Talern erreichen. Das würde auch den kleinsten Fürstentümern ausreichend Zeit geben, so die Überlegung, das nach der Schaffung des Binnenmarktes zu erwartende Wirtschaftswachstum zu nutzen, um Mehreinnahmen zu generieren und auf diesem Weg ihre Beiträge zum Militärhaushalt zu decken. Die weiteren Zugeständnisse, die Bismarck den einzelnen Regierungen machte, orientierten sich eng an deren individuellen Bedürfnissen. Zwei Beispiele müssen genügen. Der Mecklenburger Regierung versprach Bismarck, den Artikel zur Bereinigung von Verfassungsstreitigkeiten in der endgültigen Version des Entwurfes so zu fassen, dass die lokale Ständeordnung vor möglichen Eingriffen des Reichstages geschützt werden würde. Dem Bremer Senat stellte er in Aussicht, die Exklave Bremerhaven durch Abtretung einiger ehemaliger Gebiete des von Preußen gerade annektierten Königreichs Hannover zu erweitern.81

Die Regierungen der beiden größten Staaten, Hessen und Sachsen, machte Bismarck gefügig durch diverse Zugeständnisse in den Militärkonventionen, die zeitgleich zu dem Verfassungsentwurf verhandelt wurden. Diese Spezialabkommen regelten innerhalb des Rahmens der geplanten Wehrordnung die militärischen Befugnisse, die den jeweiligen Landesherrn verbleiben sollten. Dabei konnte der preußische König in seiner Funktion als Bundesfeldherr den einzelnen Fürsten beim Anschluss ihrer Regimenter an die preußischen Truppen mehr oder weniger große Rechte einräumen. Dadurch war es möglich, wie es in der Konvention mit Sachsen hieß, „die Bestimmungen der Verfassung des Norddeutschen Bundes über das Bundeskriegswesen den besonderen Verhältnissen“ der jeweiligen Staaten anzupassen. Das untergrub zwar den Grundsatz, dass in einem Fürstenbund alle einzelstaatlichen Souveräne gleichgestellt waren, erlaubte es Bismarck aber, die Unterstützung der widerspenstigsten Regierungen für seinen Verfassungsentwurf durch militärische Sonderrechte zu erkaufen. Besonders deutlich wurde das in der preußisch-sächsischen Militärkonvention, die am 7. Februar, dem letzten Tag der Verfassungskonferenz, offiziell vorgestellt und unterzeichnet wurde. Der König von Sachsen erhielt durch dieses Abkommen als einziger der künftigen Bundesfürsten das Recht, die Generäle seiner Kontingente im Einverständnis mit dem Bundesfeldherrn selbst zu ernennen und diesem einen „Höchstkommandierenden“ für das ganze sächsischen Armeekorps vorzuschlagen. Der hessischen Regierung sicherte Bismarck wiederum die militärische Einheit des gespaltenen Landes zu. Die Militärkonvention, die erst zwei Monate später formell ratifiziert wurde, garantierte, dass die Truppen der beiden Landesteile als eine „geschlossene Division“ erhalten bleiben und dem preußischen Heer angeschlossen werden sollten, obwohl Südhessen außerhalb des Bundes liegen würde.82

Dieses Paket an Bevorzugungen und Vergünstigungen verfehlte seine gewünschte Wirkung nicht. Das lag nicht zuletzt daran, dass Bismarck sein Entgegenkommen mit schweren politischen Drohungen verband. Immer wieder warnte er besonders die sächsische und die hessische Regierung davor, die preußische Vorlage abzulehnen. Für diesen Fall wolle er den Entwurf nichtsdestotrotz in den Reichstag einbringen, dort gemeinsame Sache mit den liberalen Parteien machen, und so den einzelstaatlichen Monarchien eine für ihre Souveränität viel nachteiligere Verfassung aufzwingen. Er verkaufte seinen angeblichen Fürstenbund also als einen Zufluchtsort vor einer Gefahr, die er selbst heraufbeschwor. Schon im preußischen Kronrat vom 14. Dezember hatte er erklärt, wie Kronprinz Friedrich Wilhelm seiner Mutter berichtete, dass er nicht vor dem „Aufwühlen der Revolution“ zurückschrecken werde, um die anderen Regierungen gefügig zu machen. Während diese in Berlin tagten, förderte er denn auch ganz bewusst die Wahl von gemäßigten Liberalen in die bald zusammentretende Verfassungsversammlung, da „ein Reichstag ohne liberalen Zusatz […] keine ausreichende Pression auf die widerstrebenden Regierungen ausüben“ werde, wie er im Januar in einer entsprechenden Anweisung an den preußischen Innenminister Friedrich zu Eulenburg schrieb. Obendrein wiegelte er die großen Zeitungen auf, um besonders hartnäckige Gegner unter den Regierungsvertretern zu bekämpfen. Gegen Dalwigk und Kirchenpauer führte er einen regelrechten Pressefeldzug, der ihnen Verrat an der nationalen Sache vorwarf und den Druck auf sie unaufhörlich erhöhte.83

Unter diesen Bedingungen blieb selbst der mächtigsten Regierung kaum Verhandlungsspielraum gegenüber Preußen. Als der sächsische Außenminister Richard von Friesen Mitte Januar seinen Dienstherrn König Johann dazu drängte, seinen Widerwillen aufzugeben und auf das preußische Angebot einzugehen, betonte er den schmerzhaften, aber nicht zu leugnenden Mangel an Alternativen: „Was soll daraus werden, wenn wir nicht nachgeben? Die Verhandlungen werden hier mit uns abgebrochen, alle Schuld wird auf uns geschoben, in der Presse wird ein Sturm gegen uns organisiert, der Druck im Lande selbst durch Vermehrung der preußischen Truppen und sonstiges Dringen und Quälen wird von neuem beginnen usw. Wie lange werden wir dann widerstehen können? Wenn dann endlich doch nachgegeben werden muß, wird es dann nicht ohne eine Gegenkonzession und unter ungünstigeren Bedingungen geschehen müssen?“ Angesichts dieser Zwangslage der Regierungen war die Union, die sie eingingen, alles andere als ein freiwilliger Zusammenschluss. Bismarcks vorgeblicher Fürstenbund war ein Pakt der Getriebenen, die vor der preußischen Hegemonie mindestens genauso viel Angst hatten wie vor einer Liberalisierung der politischen Ordnung.84

Die Regierungen ergaben sich aber nicht kampflos. Sie nutzten die unter Savigny parallel zu den einzelnen Sonderverhandlungen tagende Vollversammlung der Regierungskonferenz dazu, um zahlreiche Änderungen an dem Entwurf zu beantragen. Den Großteil davon lehnte Savigny entweder direkt oder nach Rücksprache mit Bismarck ab. Insbesondere das Stimmverhältnis im Bundesrat und das allgemeine Wahlrecht des Reichstages wurden trotz aller Beschwerden nicht geändert. Der Chefunterhändler nutzte die überlegene Verhandlungsposition Preußens gnadenlos aus. Man müsse nur Ruhe bewahren und auf Zeit spielen, schrieb Savigny Ende Januar an Bismarck, „so werden wir bald Land sehen, auf welchem die preußische Fahne am Bundesmaste weht“. Die Verhandlungen steuerten demnach zielsicher auf das zu, was Bismarck mit seinem Entwurf bezweckte: die Errichtung einer föderalen Ordnung, die Preußen die Vorherrschaft sicherte, sich aber in das Gewand eines egalitären Bundes der Fürsten hüllte.85

Allerdings gab es rund zwanzig Änderungsanträge, die die preußische Regierung akzeptierte. Diese Amendements verschoben die Grundstruktur des Entwurfs zumindest in zwei Bereichen ein gewisses Stück weit. So einigte man sich nach langer Diskussion darauf, die Gesetzgebungskompetenz des Bundes zu erweitern. Sie sollte jetzt auch das Versicherungswesen, die für Bundeszwecke zu erhebenden indirekten Steuern, gemeinsame Wasserstraßen, die wechselseitige Vollstreckung von Zivilsachen und die Regulierung der Beglaubigung öffentlicher Urkunden umfassen. Dahinter stand der Gedanke, die Einzelstaaten finanziell zu entlasten sowie die verschiedenen Gesetzgebungsebenen so voneinander zu trennen, wie der sächsische Kompromissvorschlag formulierte, dass man „eine unmittelbare Einmischung des Bundes in die innere Landesverwaltung“, vor allem in die „Justizpflege“, vermeiden könnte. Die eigenwillige Konstruktion der Verfassung machte es aus Sicht der Regierungsvertreter also paradoxerweise nötig, den Bund zu stärken, um die Einzelstaaten zu schützen.86

Die zweite größere Änderung, die die Regierungen durchsetzen konnten, betraf die Stellung des Bundeskanzlers. Anders als im Preußischen Staatsministerium rief dieses nur in seinen Umrissen definierte Amt große Skepsis im Kreis der einzelstaatlichen Gesandten hervor. Gerade die Verfassungsexperten unter ihnen waren misstrauisch, da sie in der Position des Bundeskanzlers ein weiteres verstecktes Instrument der preußischen Hegemonie vermuteten. Besonders kritisch war Camillo von Seebach. Der Vertreter Sachsen-Coburg-Gothas wusste, wovon er sprach, hatte er doch nach der 1848er-Revolution selbst die Verfassung des Doppelherzogtums ausgearbeitet. Unmissverständlich forderte er Bismarck auf, klarzustellen, „ob die Absicht der preußischen Regierung dahin gehe, daß [die] Angelegenheiten [des Bundes] dem Ressort der betreffenden [preußischen] Minister entzogen und vom Bundesrat unter dem Präsidium des Bundeskanzlers, dem dann eine große Anzahl von Beamten zur Verfügung gestellt werden müßte, geschäftlich erledigt werden sollten, oder ob es die Absicht sei, daß auch künftig die einzelnen [preußischen] Ministerien […] die eigentlichen Verwaltungsstellen für die gemeinsamen Angelegenheiten bilden sollen“. Einfacher formuliert: Die Unterhändler wollten wissen, ob der Bundeskanzler Chef einer von den Einzelstaaten unabhängigen Bundesregierung oder ein verlängerter Arm des Preußischen Staatministeriums sein sollte.87

Bismarck gab ihnen auf diese Frage weder persönlich noch über Savigny eine klare Antwort. Er war offensichtlich bemüht, die Stellung des Bundeskanzlers weiter in der Schwebe und so alle Möglichkeiten offenzuhalten. Die Vertreter der anderen Regierungen mussten das letztlich akzeptieren, weil sie keinen konstruktiven Gegenvorschlag für die Gestaltung der Bundesverwaltung zustande brachten. Alle Vorschläge zur Einführung von echten Bundesministerien, die einzelne Gesandte machten, wurden von der Mehrheit der Konferenzteilnehmer verworfen. Offensichtlich war die Angst, die Bismarck vor einer möglichen Parlamentarisierung einer solchen Regierung beharrlich schürte, einfach zu groß. Die Logik, mit der er den anderen Regierungen seine eigenwillige Fürstenbundskonstruktion verkaufte, verfing also langsam.88

Immerhin fand sich auf dem Gipfel aber eine Mehrheit dafür, die jeweiligen Sphären der preußischen und der bundeseigenen Exekutive klarer voneinander zu trennen. Dafür war es notwendig, wie ein Bericht eines Mecklenburger Ministers erklärte, „die Erlasse, welche der König in seiner Eigenschaft als Bundespräsidium oder als Oberfeldherr erlasse, als solche erkennbar“ zu machen. Das konnte auf verschiedene Art und Weise erreicht werden. Am einfachsten wäre es gewesen, den preußischen König in seinen föderalen Funktionen verfassungsrechtlich direkt zu binden, das heißt, ihn zum Beispiel gegenüber dem Bundesrat verantwortlich zu machen. Diese Idee wurde aber wegen des zu erwartenden Widerstands König Wilhelms, der sich insbesondere jede Einmischung in seine Befehlsgewalt verbat, schnell wieder fallen gelassen. Stattdessen entschied man sich dafür, den Bundeskanzler alle Präsidialakte gegenzeichnen zu lassen. Das entsprechende Amendement des hessischen Verhandlungsführers Karl von Hofmann, der nach der Reichsgründung bis zum Leiter des Reichsinnenamtes aufstieg, wurde von Bismarck wortwörtlich in den Entwurf eingepflegt. Die vom „Präsidium ausgehenden Anordnungen“ zur Ausfertigung und Verkündung der Bundesgesetze und zur Überwachung der Ausführung derselbigen sollten nun „im Namen des Bundes erlassen und von dem Bundeskanzler mitunterzeichnet“ werden.89

Diese Bestimmung grenzte zwar die bundeseigene Exekutive erkennbar von der preußischen ab, war aber in anderer Hinsicht alles andere als eindeutig. Vor allem war unklar, ob der Kanzler mit der Gegenzeichnung auch die politische Verantwortung für die Handlungen des Bundespräsidiums übernehmen sollte. Im konstituierenden Reichstag entwickelte sich diese Frage zu einem der zentralen Streitpunkte zwischen den liberalen Parteien und dem Regierungslager und führte schließlich zu einer der wichtigsten Änderungen am Verfassungsentwurf, wie wir im nächsten Kapitel sehen werden. Darüber, warum Bismarck in das unscharfe Amendement Hofmanns einwilligte, lässt sich nur spekulieren. Wahrscheinlich spielte für seine Entscheidung eine wichtige Rolle, dass der bloße Anschein einer eigenständigen Verantwortlichkeit den Bundeskanzler gegenüber dem Preußischen Staatsministerium weiter stärken würde, ohne ihm zusätzliche Fesseln anzulegen. Außerdem ließ die Formulierung des Artikels offen, ob der Kanzler alleine oder nur neben einem anderen, womöglich preußischen Amtsträger, etwa dem Außenminister, „mitunterzeichnen“ würde. Die ursprüngliche Fassung von Hofmanns Änderungsantrag hatte noch von der „Kontrasignatur des Bundeskanzlers“ gesprochen. Danach wäre eine gemeinsame Gegenzeichnung ausgeschlossen gewesen. Wohl genau deshalb hatte Bismarck darauf bestanden, die Formulierung abzuschwächen. Die vage Alternative hatte aus seiner Sicht einen großen Vorteil. Würde er das Amt des Bundeskanzlers aus welchen Gründen auch immer doch Savigny überlassen, konnte er als preußischer Außenminister trotzdem weiterhin die Fäden in der Hand behalten. Diese Option war für ihn ein wichtiger Rückfallplan, da er Savigny während der Regierungskonferenz nur bei Laune halten konnte, indem er ihm immer wieder versprach, ihn auf den Posten des Bundeskanzlers zu berufen und mit angemessener Dienstwohnung und einem entsprechenden Gehalt auszustatten.90

Für das preußische Staatsministerium war das Amendement Hofmanns eine Offenbarung. Im Licht der Diskussion um die Gegenzeichnungspflicht zeigte sich erstmals deutlich, dass im Amt des Bundeskanzlers das Potenzial eines von Preußen mehr oder weniger unabhängigen Regierungschefs des Bundes steckte. Die Folge war ein schwerer Streit zwischen Bismarck und den preußischen Ministern, die sich von ihrem Vorsitzenden überrumpelt fühlten. Der Coburger Verhandlungsführer Seebach berichtete nicht ohne Süffisanz, dass „erst durch die bisherigen Konferenzverhandlungen die Aufmerksamkeit der Fachminister auf diese wichtige organisatorische Frage gelenkt und dadurch Veranlassung zu Differenzen in dem Staatsministerium gegeben worden“ sei. Auch wenn viel Geschirr zerbrach, billigte das Staatsministerium die Änderung im Endeffekt. Den Ministern blieb gar nichts anderes übrig. Eine Verweigerung hätte den Kompromiss, der in den letzten Monaten mühsam zwischen Bismarck, ihnen und den anderen Regierungen ausgehandelt worden war, wieder aufgeschnürt. Dafür war vor der Eröffnung des konstituierenden Reichstages, die für den 24. Februar angesetzt war, einfach keine Zeit mehr.91

Auf der abschließenden Sitzung der Konferenz am 7. Februar beschlossen die einzelstaatlichen Gesandten, dass der Entwurf von den „Hohen verbündeten Regierungen definitiv festgestellt ist und solcher Gestalt dem […] Reichstage [von der preußischen Regierung] vorgelegt werden soll“, wie es im Protokoll hieß. Diese sperrige Formulierung war vielsagend. Der ursprüngliche Entwurf der entsprechenden Passage hatte vorgesehen, dass die Regierungen ihr „Einverständnis“ mit dem Entwurf erklärten. Dagegen protestierten die versammelten Bevollmächtigten heftig. Sie sahen sich zwar ob der gegebenen Umstände dazu genötigt, den Entwurf mitzutragen, waren aber nicht bereit, ihn von sich aus zu billigen. So mussten laut Otto Becker „alle Schnörkel und geheimen Künste des Aktenstils herhalten, um einen Dissens auszusprechen und doch zugleich den Eindruck der Einigkeit zu machen“. Mit der schließlich gefundenen Kompromissformel erklärten die Regierungen denn auch nicht ihre Zustimmung zum Entwurf, sondern nur dazu, diesen dem Reichstag als ein „gemeinsames Verfassungsangebot“ vorzulegen, wie Ernst Rudolf Huber argumentiert hat.92

Die Regierungen weigerten sich, den ausgehandelten Entwurf mehr als „festzustellen“, weil ihre Vorbehalte nach wie vor groß waren. Fünfzehn von ihnen bestanden darauf, in einem zusätzlichen Schlussprotokoll gesonderte Erklärungen festzuhalten. Darin listeten sie ihre Bedenken detailliert auf. Die Beschwerden reichten dabei von Punkten, die von fast allen Regierungen kritisiert wurden, wie der Höhe der zu erwartenden finanziellen Lasten, dem Fehlen eines Fürsten- beziehungsweise Oberhauses oder der vorgesehenen Eidesformel für Offiziere bis hin zu partikularistischen Sonderinteressen, etwa der Mecklenburgischen Forderung nach einer Entschädigung für den Wegfall der Elbzölle. Gleichzeitig betonten alle Erklärungen, dass der in ihnen zum Ausdruck gebrachte Protest den weiteren Verhandlungen des Entwurfs nicht im Weg stehen solle. Der hessische Bevollmächtigte Hofmann gab zum Beispiel zu Protokoll, dass die großherzogliche Regierung „zwar nicht mit allen Bestimmungen der fraglichen Abschnitte des Entwurfs einverstanden [sei], sie wolle aber, um ihrerseits zur Förderung des Verfassungswerks möglichst beizutragen, nichts dagegen einwenden, daß der Entwurf in der jetzt festgestellten Fassung dem Reichstag vorgelegt werde“.93

Diese „Ja, aber“-Haltung ließ den Regierungen die Hintertür offen, nach eventuellen Änderungen durch den Reichstag ihrerseits noch einmal auf Anpassungen an dem Entwurf zu bestehen. Gleichzeitig machte der Protest aber auch deutlich, dass sie keinesfalls voll und ganz hinter dem Fürstenbund standen, zu dem sie sich angeblich zusammenschlossen. Davon, dass sie den Entwurf mit Überzeugung mittrugen, konnte keine Rede sein. Sie verstanden ihn vielmehr für den Moment als das kleinere Übel, wie Hofmann wenige Tage nach der Schlusssitzung bilanzierte: „Man mußte sich sagen, daß es besser sei, Preußen an diesem Entwurf, der den übrigen Staaten durch ihre Stellung im Bundesrat einen verfassungsmäßigen Einfluß auf die Entstehung der Bundesgesetze sicherte, durch Annahme des Entwurfs zu binden, als durch Ablehnung des Entwurfs die Gefahr herbeizuführen, daß Preußen in eine noch mehr zentralistische Richtung vorschreiten werde“. Anders gesagt: Die Regierungen sahen keine andere Wahl, als den Entwurf freizugeben und so die Illusion vom Fürstenbund mitzutragen.94

Genau diese Fassade drohten die Sondererklärungen aber einzureißen, noch bevor die Errichtung des gemeinsamen Hauses abgeschlossen war. Bismarck bemühte sich deshalb nach Kräften, die Risse, die sein Bundesbau bekommen hatte, wieder zu kitten. Er versäumte keine Gelegenheit, die verbündeten Regierungen zur Einheit zu mahnen. So erschien er zum Beispiel – obgleich er den meisten anderen offiziellen Zusammenkünften der Regierungskonferenz ferngeblieben war – zu dem „Henkersmahl“, zu dem Savigny die Vertreter der anderen Staaten nach eigener Aussage am Abend der Schlusssitzung eingeladen hatte. Dort brachte er „unsern deutschen Fürsten und Städten, den Grundpfeilern der deutschen Einheit, welche sich nicht brechen lassen, sondern zum Heile und Gedeihen des ganzen Volkes fest zusammenstehen sollten“, ein Hoch aus.95

Zudem arbeitete er gewissenhaft an der ramponierten Außenwirkung seines Bundesprojektes. Der Fürstenbund sollte auch als solcher auftreten. Zu diesem Zweck bestand er darauf, dass neben ihm selbst und einigen weiteren preußischen Ministern auch die Bevollmächtigten der anderen Regierungen als sogenannte „Bundeskommissarien“ fungieren und den Entwurf im konstituierenden Reichstag vertreten sollten. Das war notwendig, wie er in dem Schreiben betonte, mit dem er die leitenden Minister der anderen Staaten um die entsprechenden Ernennungen bat, um eine „gemeinschaftliche Vertretung der verbündeten Regierungen gegenüber dem Reichstage“ sicherzustellen und „den Verfassungsentwurf nach allen Seiten hin zu verteidigen“. Außerdem regten er und einige andere Minister die Idee einer Fürstenzusammenkunft an, die den Abschluss des Fürstenbundes symbolisch unterstreichen sollte. Daraus wurde zwar wegen des Widerwillens vieler Monarchen nichts, aber immerhin reisten der preußische König und sein ältester Sohn Mitte Februar für drei Tage nach Dresden. Nachdem die beiden Königreiche sich wenige Monate zuvor noch auf dem Schlachtfeld gegenübergestanden hatten und Preußen Sachsen zeitweise mit Annexion gedroht hatte, setzte dieser Besuch ein klares Zeichen der neuen Verbrüderung.96

Und trotzdem: Das Schlussprotokoll der Regierungskonferenz, das Bismarck dem Reichstag gemeinsam mit der Verfassung vorlegen musste, zog die Glaubwürdigkeit des angeblichen Fürstenbundes in arge Zweifel. Das schränkte seine Verhandlungsposition gegenüber dem Parlament ein Stück weit ein. Er musste darum fürchten, dass je nach Mehrheitsverhältnissen weitgreifende Änderungen an den antiparlamentarischen Strukturen des Bundes vorgenommen werden würden. Deshalb wandte er sich noch vor Eröffnung des Reichstages an die Regierungen der größeren Staaten in Dresden, Darmstadt, Oldenburg, Weimar und Hamburg und schlug ihnen vor, „im Interesse der Ruhe und Sicherheit Deutschlands“ den Entwurf bei Misslingen der Verhandlungen mit dem Reichstag einfach durch den „Abschluß eines definitiven unanfechtbaren Staatsvertrages“ in Kraft zu setzen. Daraus resultierte sechs Wochen später der im vorhergehenden Kapitel bereits erwähnte Geheimvertrag zwischen Preußen, Sachsen, Hessen und Sachsen-Weimar. Darin verpflichteten sich die Vertragspartner, den Entwurf gemeinsam für verbindlich zu erachten, „wenn und insoweit [dieser] nicht durch eine Vereinigung der […] Regierungen mit dem Reichstage modifiziert“ werden würde. Bismarcks Notfallplan für ein Scheitern seiner Verfassungsvereinbarung mit dem Volk war also eine Oktroyierung der Verfassung durch die Monarchen. Zumindest diese Vorgehensweise entsprach nicht nur dem Anschein, sondern auch der Substanz eines Fürstenbundes.97

Bismarcks ewiger Bund

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