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2.3 Die Kirche als Trägerin frühmittelalterlicher Überlieferung 2.3.1 Differenzierung und Integration durch Glauben Fallbeispiel: Die Vita St. Severini und der Abzug der romanischen Bevölkerung aus dem Donauraum
ОглавлениеDie vielen Leben des Heiligen Severin
Wenige frühmittelalterliche Werke über den Betrachtungsraum wurden von der Geschichtsforschung und ihren Nachbardisziplinen (v. a. Archäologie, Philologie, Theologie) so eingehend behandelt wie die schmale Erinnerungs- oder Denkschrift (commemoratorium) des Eugippius über das Leben des Heiligen Severin, die als Vita Sancti Severini in die Forschungsgeschichte Eingang gefunden hat.
Das liegt zunächst einmal maßgeblich an der Quellenlage: Bedingt durch den generellen Rückgang von Schriftlichkeit kommt den wenigen erhaltenen Texten umso mehr Bedeutung zu, besonders wenn es sich um narrative Darstellungen unmittelbar aus dem Betrachtungsraum selbst handelt. Den Text schrieb Eugippius zwar erst nach den wiedergegebenen Ereignissen im Jahr 511 im süditalienischen Kloster Castellum Lucullanum bei Neapel, das heißt etwa eine Generation nach dem Tod des Heiligen 482 in Favianis/Mautern an der Donau im heutigen Niederösterreich. Ob und wie genau er persönlich Severin gekannt hat, ist nicht restlos geklärt. Jedenfalls aber war er Zeuge der maßgeblichen Entwicklungen, denn 488 wurde die von Severin gegründete geistliche Gemeinschaft, der Eugippius angehörte und später vorstand, im Zuge der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen dem Skiren Odoaker, der 476 den letzten weströmischen Kaiser abgesetzt hatte, und den pannonischen Goten unter Mitnahme der sterblichen Überreste des Heiligen nach Italien evakuiert.
Schriftlichkeit und Mündlichkeit
Die dazwischen liegenden drei Jahrzehnte, ebenso wie der etwa gleiche Zeitraum zuvor, in dem Severin in den provinzialrömischen Siedlungen an der mittleren Donau wirkte, sind gekennzeichnet von Entwicklungen, die einen Abschnitt der sogenannten „Völkerwanderung“ mit besonders nachhaltigen Konsequenzen gerade auch für die schriftliche Überlieferung markieren. [<<82]
Zu der Zeit, als der Hunnenkönig Attila starb, herrschten in beiden Teilen Pannoniens und den übrigen an die Donau grenzenden Gebieten unsichere Verhältnisse. […] Damals nun kam der hochheilige Diener Gottes Severinus aus dem Osten in das Grenzgebiet zwischen Ufer-Noricum und Pannonien und hielt sich in einer kleinen Stadt auf, die Asturis heißt. Er lebte nach der Lehre des Evangeliums und der Apostel in aller Frömmigkeit und Sittenreinheit und erfüllte im Bekenntnis des katholischen Glaubens sein ehrwürdiges Gelübde durch heiligmäßige Werke. (c. 1,1)
Eugippius, Vita Sancti Severini. Das Leben des heiligen Severin (lt./dt.), übers. und hrsg. von Theodor Nüsslein (Stuttgart 1999).
Die Schrift bietet die einzige umfassende narrative Darstellung zur Veränderung der Sozial- und Siedlungsstrukturen im ersten Jahrhundert der Transformation des Römischen Reichs in seinen Provinzen Rätien, Noricum und Pannonien im Donauraum auf der Basis von vielfach „vor Ort“ gewonnenen und mündlich weitergegebenen Informationen. Auch für viele der politischen und militärischen Ereignisse ist der Text die einzige Quelle. Dementsprechend wurde er lange Zeit besonders auf seine detaillierten chronologischen, topographischen und prosopographischen Daten hin ausgewertet.
Ein hagiographischer Text
Die besondere Glaubwürdigkeit des Eugippius wurde nicht zuletzt deshalb angenommen, weil der Text nicht im üblichen rhetorisch stilisierten Ton, sondern einfach geschrieben ist ‒ ein Umstand, den der Autor mit entsprechendem Bescheidenheitsgestus in seinem dem Text vorangestellten Brief an den einflussreichen römischen Diakon Paschasius explizit betont. Was aber, wenn es sich gerade dabei um einen bewusst gesetzten „Wahrheitseffekt“ handelt? Denn selbstverständlich ist die „Denkschrift“ des Eugippius vor allem ein hagiographischer Text: Sein Ziel ist die Darstellung eines exemplarischen Heiligenlebens in der damals bereits etablierten Tradition dieses literarischen Genres, in dem biblische, patristische und hagiographische Modelle je nach Kontext adaptiert werden konnten. Er repräsentiert also jedenfalls spezifische Formen der Stilisierung eines vorbildlichen Heiligen, die ihrerseits sowohl in der Welt seines Autors Eugippius und seines Publikums im erst seit Kurzem ostgotischen Italien des frühen 6. Jahrhunderts verortet sind und auf zeitgenössische geistliche Debatten und (kirchen-)politische Parteiungen reagieren, wie sie [<<83] auch die Welt Severins, des Protagonisten der Geschichte der letzten Jahrzehnte der römischen Donauprovinzen, kommentieren. Diese Ebenen hagiographischer und gleichzeitig politischer Stilisierung verbinden komplexe Wechselbezüge, die bei der Lektüre mitbedacht werden müssen.
Neue gentes an der Donau
Doch zurück an den Schauplatz der Erzählung: Attila starb 453, und nur wenig später (454/5) fand sein riesiges Reich mit Schwerpunkt im Karpatenbecken in der Schlacht am Nedao (vielleicht ein Nebenfluss der Save) ein Ende. Alle an den kriegerischen Auseinandersetzungen beteiligten Gruppen ‒ Goten und Gepiden, Rugier und Eruler, Sueben, Skiren und Sarmaten ‒ wurden in ihren teilweise „neuen“ Gebieten im Osten der Donauprovinzen nominell als römische Föderaten angesiedelt: In dieser vertraglichen Form regelten die Römer seit ihrer entscheidenden Niederlage gegen ein hunnisch-gotisches Heer bei Adrianopel (378) ihr Verhältnis zu den nicht dem populus Romanus angehörigen „barbarischen“ gentes. Im Nord-Westen der Donauprovinzen stellten Alamannen und Thüringer eine zunehmende Bedrohung dar. Dazwischen lag Ufer-Noricum, wo Severin vor allem zwischen dem kleinen Ort Quintanis/Küntzing westlich von Passau und der Wachau bzw. dem Wienerwald im Osten tätig war. Nach Süden erstreckte sich sein Einfluss auch auf Binnen-Noricum bis in das heutige Slowenien.
Transformation römischer Staatlichkeit
Viel Präsenz zeigte das Römische Reich zu diesem Zeitpunkt in der Region allerdings nicht mehr: So sind aus diesem Zeitraum gerade zwei Bleisiegel des in Konstantinopel residierenden Kaisers Markianos († 457) und drei Goldmünzen des weströmischen Kaisers Anthemius († 472) erhalten. Wie die sukzessive Aufgabe militärischer und ziviler Verwaltungsstrukturen bis zum Abzug der geistlichen Gemeinschaft Severins sechs Jahre nach seinem Tod († 482) vonstatten ging, davon erzählt unter anderem seine Lebensbeschreibung. Gleichzeitig macht sie aber auch deutlich, dass und wie ein Leben in den Grenzregionen in dieser Umbruchsituation möglich war und worin seine alltäglichen militärischen, sozialen und spirituellen Herausforderungen bestanden. Sie erzählt von „barbarischen“ Übergriffen, der Verschleppung und Versklavung von Angehörigen der provinzialrömischen Bevölkerung ebenso wie von Handelsbeziehungen und dem Besuch rugischer Wochenmärkte (c. 6,4; 9,1; 22,2), aber auch von Verhandlungen und [<<84] Verträgen, die in diesen Jahrzehnten nicht mehr durch das west- bzw. oströmische Kaisertum in Ravenna und Konstantinopel geschlossen wurden, sondern durch seine Vertreter vor Ort, jedoch meist ohne explizites politisches Mandat. Oft handelte es sich dabei um Bischöfe, wie im Fall des Constantius von Lauriacum/Lorch, dem ehemaligen Legionslager und einzigen Bischofsstadt an der Donau. Er gehörte der einheimischen Oberschicht an und war der Onkel des berühmten (Hl.) Antonius von Lérins, der seinerseits in Severins Gemeinschaft erzogen wurde und über den im Jahr 506, also nur kurz vor der Abfassung der Severins-Vita, der hoch gebildete Bischof Ennodius von Pavia eine eigene berühmte Lebensbeschreibung, die Vita S. Antonii, verfasste.
Severin sagt einem Paulinus die Wahl zum Bischof des binnen-norischen Teurnia voraus (c. 21), und auch ihm selbst wird die Bischofswürde angetragen, die er jedoch ablehnt (c. 9,4). Einen weiteren Bischof nennt Kapitel 4, das von einem Überfall „barbarischer Räuber“ (praedones barbari) auf Favianis/Mautern, dem Zentrum von Severins Wirkens, erzählt:
Da eilten mehrere Bürger unter Tränen zu dem Manne Gottes und berichteten ihm von dem schrecklichen Unglück, das ihnen widerfuhr; gleichzeitig wiesen sie ihn auf Beweise für die neuerlichen Plünderungen hin. Severin aber fragte Mamertinus, den ehemaligen Stadtkommandanten, der später in das Bischofsamt eingesetzt wurde, ob er einige bewaffnete Männer habe, mit denen er die Straßenräuber verfolgen könne. Dieser antwortete: „Ich habe wohl einige wenige Soldaten, wage aber nicht, mit einer so großen feindlichen Schar den Kampf aufzunehmen. Doch wenn deine Ehrwürden es anordnet, glauben wir, durch dein Gebet Sieger zu werden, auch wenn uns die Hilfe der Waffen fehlt“. (c. 4,1–2)
Aufgaben der Kirche
An diesem wie an zahlreichen anderen Beispielen aus der Vita wird zweierlei deutlich: Zum einen zeigt sich die enge Verflechtung weltlicher und geistlicher Aufgaben in der Praxis, ebenso wie die einzelnen Ämter auch funktional nicht scharf gegen einander abgegrenzt sind. Die politische Ordnung der römischen Provinzialorganisation und jene der bereits gut etablierten kirchlichen Strukturen überlappen einander. Die Vita nennt eine Reihe von Gemeindekirchen (ecclesiae) und Klosterkirchen (basilicae) entlang der Donau. Für Binnennoricum wird dies durch archäologische Funde ergänzt. Als sich die römische Verwaltung schrittweise aus dem Raum zurückzieht, übernehmen [<<85] die Bischöfe ihre Aufgaben. Wie Severin selbst dürften sie jeweils von einer befestigten Siedlung aus (oppidum vel castellum, c. 11,1; 17,1) für das jeweilige Umland Verantwortung übernommen haben. Zum anderen lässt die Vita keinen Zweifel daran, dass der charismatische Heilige durch seine von Gott gegebene Autorität und mittels seiner vielfältigen Kompetenzen politische ebenso wie geistliche Aufgaben übernimmt. Ihre Integration zum Schutz der Bevölkerung ist aber klar dem Kampf mit geistlichen Waffen verpflichtet – Beten, Fasten, Almosen geben sind die wichtigsten unter ihnen. Die asketische Vorbildlichkeit des Heiligen wird dabei ebenso betont wie die Regelmäßigkeit der Gottesdienste. Der Alltag im Grenzgebiet an der Donau ist christlich geprägt. Hier werden deutlich frühere Hinweise auf die Verbreitung des Christentums, wie das Martyrium des Hl. Florian († 304) in der Enns bei Lorch oder der Grabstein der Christin Ursa (um 400 bei Wels), der von ihrem offenkundig noch nicht christlichen Ehemann gesetzt wurde (→ Kap. 2.2.2), auf breiterer Basis bestätigt.
Severins Wirken
Severin selbst zieht sich regelmäßig in eine kleine Zelle „an den Weinbergen“ (ad Vineas, c. 4,6) zurück, eine abgeschiedene Behausung […], die von den Anwohnern Burgus genannt wurde und von Favianis eine Meile entfernt war, um den vielen Menschen, die ständig kamen, auszuweichen und in unablässigem Gebet enger mit Gott verbunden zu sein. (c. 4,7) Regelmäßig sucht etwa der Rugierkönig Flaccitheus seinen Rat und seine Gabe, in die Zukunft zu sehen (c. 5). Dessen Sohn Feletheus und seine „böse“ gotische Gattin Giso, die als Arianerin sogar katholische Christen wiedertaufen will, werden ermahnt bzw. von Gott bestraft (c. 8). Beide respektieren die Autorität Severins, ebenso wie der Alemannen-König Gibuld in seiner Anwesenheit vor Furcht zu zittern beginnt (c. 9,2). Und dem damals noch ärmlich gekleideten Odoaker sagt er bei einem Besuch seine große Zukunft in Italien voraus (c. 7). Immer wieder wird der Heilige als Vermittler tätig, schließt Verträge, kümmert sich um den Schutz der Provinzialen nicht nur gegen feindliche Übergriffe, sondern auch vor Überschwemmungen und Nahrungsknappheit, organisiert ihre Versorgung, Kleidung und Hilfsgüter und hebt den Zehnt ein (c. 17, 2–4; 18, 1). Er wirkt zahlreiche Wunder, die zum überwiegenden Teil im Vorhersehen zukünftiger Ereignisse (und der dadurch möglichen Abwendung von Gefahren) bestehen, aber auch in der häufigen Heilung von Kranken [<<86] oder in der Vermehrung des knappen Öls (c. 28). Zwischen 467 und seinem Tod 482 lässt sich Severins Wirken an der Donau konkret rekonstruieren; wenige Ereignisse, und keines mit Sicherheit, lassen sich in das Jahrzehnt davor datieren.
Die Person Severin
Wer aber war Severin? Seine Lebensbeschreibung nennt ihn in verschiedenen Varianten einen Heiligen und Diener des Herrn, er handelt im Auftrag Gottes und in der Nachfolge Christi. Wenn er auch Mönche (monachi, c. 9,4) bzw. Geistliche (spiritales, c. 13,2) um sich schart, so ist er selbst weder Mönch noch Priester, kein Abt und Bischof, aber auch kein römischer Beamter oder Träger eines offiziellen Mandats. Auch über seine Herkunft ist wenig bekannt. Eugippius lässt den Heiligen in seinem Schreiben an Paschasius beredt schweigen:
Was nützt dem Knecht Gottes die Angabe seines Geburtsortes oder seiner Familie, wenn er dadurch, daß er darüber lieber schweigt, leichter der Prahlsucht, die etwas Widerwärtiges ist, entgeht? (Ep. 9)
Daraus wurde auf eine hohe Herkunft des Heiligen geschlossen. Bischof Ennodius erwähnt ihn in seiner Antonius-Vita als vir illustrissimus, was sowohl im Sinn eines Angehörigen des römischen Senatorenstandes, aber ‒ wohl plausibler ‒ im Sinn der besonderen Ehrerbietung für den Heiligen interpretiert worden ist. Eine römische Ämterlaufbahn des homo omnino Latinus (Ep. 10) lässt sich jedenfalls auf Basis der vorhandenen Quellen nicht rekonstruieren. Vor seiner Tätigkeit in Ufernorikum sei Severin, so Eugippius in seinem Brief an Paschasius weiter, auf der Suche nach einem eremitischen Leben in einer Wüste im Osten gewesen und dann durch göttliche Offenbarung in die bedrängten Städte von Noricum in der Nachbarschaft Pannoniens gekommen (ebd.).
Die Gemeinschaft des Eugippius in Süditalien
Diese Schilderung ist selbstverständlich genauso topisch wie die Lebensbeschreibung Severins selbst. Der „historische“ und der hagiographisch wie politisch stilisierte Heilige lassen sich ebenso wenig voneinander trennen wie die geistlichen und politischen Herausforderungen der Zeit. Auf sie verweisen Vita und Brief, der Antwortbrief des Paschasius an Eugippius, aber auch dessen übrige Werke, darunter eine Klosterregel für seine Gemeinschaft und eine Zusammenstellung von Werken des Hl. Augustinus. Als Vorsteher seines Klosters bei Neapel war Eugippius Teil eines sozialen Beziehungsgeflechts, in dem politische und geistliche Faktoren aufs engste miteinander verwoben [<<87] waren. Dies wird am Beispiel jener illustris femina Barbaria deutlich, die vielleicht die Witwe des von Odoaker ermordeten Orestes und Mutter des abgesetzten letzten Kaisers Romulus Augustus war und im letzten Kapitel der Severins-Vita eine Grablege für den Heiligen zur Verfügung stellt (c. 46). Auch das ist ein zeittypisches Modell frommen Handelns, das mit der Möglichkeit für Eugippius korrespondiert, „einen Heiligen aus einer Grenzregion als Begründer einer frommen Gemeinde in Italien darzustellen und sein Vorbild in der kirchenpolitischen Diskussion seiner Zeit wirksam werden zu lassen“.
Kate Cooper, The Widow as Impressario: Gender, Legendary Afterlives, and Documentary Evidence in Eugippius’ Vita Severini, in: Maximilian Diesenberger, Walter Pohl (Hg.), Eugippius und Severin. Der Autor, der Text und der Heilige (Wien 2001), S. 53–63, hier S. 63.
Denn das „richtige“ geistliche Leben, auch das monastische, war in den politisch-geistlichen Parteiungen im Süditalien des 6. Jahrhunderts ebenso umstritten wie dreißig Jahre vorher in Ufernoricum. Die Schwierigkeiten Severins, angesichts der Verantwortung für die ihm Anvertrauten eine Balance zwischen den geistlichen Modellen der vita contemplativa und der vita activa zu finden, sind ein wichtiger Hinweis darauf. Bezieht man die beiden Handlungskontexte aufeinander, lässt sich das commemoratorium des Eugippius als Dokument einer komplexen Praxis des Umgangs sowohl mit zeitgenössischen Grenzerfahrungen als auch mit Gemeinschaftsvorstellungen lesen.
Ré-écriture
Auf vergleichbare Herausforderungen verweist die geistliche Überlieferung durch das gesamte Mittelalter trotz zunehmend etablierter Ordensstrukturen. Immer wieder neue Reformbewegungen und Auslegungen bestehender Regeln geben davon ebenso beredtes Zeugnis wie die Rezeption von exemplarischen Heiligenleben. Der bei weitem größte Teil dieses zentralen Bestandteils erzählender mittelalterlicher Überlieferung ist in meist Jahrhunderte später entstandenen Handschriften überliefert. So ist die Vita des Heiligen Severin seit dem 11. Jahrhundert in über 50 Handschriften v. a. in Italien, Bayern und Österreich überliefert. Das hat einerseits mit Überlieferungsverlusten älterer Textträger zu tun. Andererseits dienten die vielfachen und dabei oft auch modifizierten Abschriften – Textteile wurden weggelassen oder ergänzt und ausgeschmückt –, ihre ré-écriture jeweils unterschiedlichen Zwecken. Im Fall der Lebensbeschreibung Severins [<<88] etwa wurde im hochmittelalterlichen Bistum Passau die Kontinuität zum spätantiken Bistum Lauriacum/Lorch vor allem zur Begründung von weitreichenden kirchenpolitischen Ansprüchen herangezogen, ohne dass dabei der Heilige selbst oder sein Hagiograph eine besondere Rolle gespielt hätten (→ Kap. 3.2.2).