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Vorwort

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In den vergangenen fünf Jahren, in denen wir an diesem Buch arbeiteten, wurde die Frage „Was ist Europa?“ in unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen neu gestellt. In diesem Zeitraum wurden Jahrestage des Endes der Teilung Europas (1989) und der darauf folgenden fundamentalen Veränderungen der europäischen politischen Landschaft gefeiert, Fragen nach der Zugehörigkeit zu diesem Europa, nach Begründungen von Ein- und Ausschlüssen gestellt; die räumlichen Begriffe „Mittel“-, „Zentral“- und „Südost“-Europa wurden und werden neu und oft kontrovers definiert, und nicht zuletzt historisch argumentiert. Diese Kontexte lassen sich beim Verfassen einer „Kulturgeschichte der Überlieferung“ Mittel- und Südosteuropas nicht ausblenden, auch wenn sie dem Mittelalter gewidmet ist. Denn damals wurden – weder linear noch ungebrochen, sondern in unterschiedlichen Rhythmen und komplexen Verfechtungen – allmählich die Eigenschaften geformt, welche dieses Europa in seiner Vielfalt ausmachen.

Vor diesem Hintergrund entstand das Buch auf mehreren Ebenen der Auseinandersetzung: jener der aktuellen gesellschaftspolitischen Diskussionen; jener des wissenschaftlichen Diskurses, mit Kolleginnen und Kollegen unterschiedlicher Fachdisziplinen und geographischer Verortung, die sich im weitesten Sinn mit den überlieferungsgeschichtlichen Grundlagen unseres Wissens über das, was wir heute „Europa“ nennen, auseinandersetzen, ebenso wie mit jenen, die sich in einer transkontinentalen Perspektive mit größeren Zusammenhängen befassen, in denen Aspekte einer europäischen Geschichte differenziert und konturiert werden können; und schließlich der Ebene der Auseinandersetzung mit unseren Studierenden, die sich dafür interessieren, warum die Beschäftigung mit den Quellen mittelalterlicher Geschichte und den Methoden ihrer Untersuchung für die Fragen, die uns heute bewegen, wichtig und bedeutsam ist.

Dieses Buch ist daher einer vergleichenden Perspektive verpflichtet. Sie hat uns auch dazu bewogen, gewohnte Gestaltungsprinzipien solcher Einführungsbücher abzuwandeln: Wir haben diesen Band gemeinsam verfasst und zusätzlich dort Forscherinnen und Forscher um Gastbeiträge gebeten, wo unsere eigene Expertise an ihre Grenzen stieß. Ihnen sei an erster Stelle mit besonderem Nachdruck gedankt, sich auf dieses „Experiment“ der überfachlichen Zusammenarbeit eingelassen zu haben. Angesichts der räumlichen und zeitlichen Dimensionen, die das Buch umfasst, haben wir zudem eine Reihe von Fachleuten unterschiedlicher Fachkulturen eingeladen, den [<<9] Seitenzahl der gedruckten Ausgabe Text vorab zu lesen und mit uns in einem Intensiv-Workshop zu erörtern: Unser großer Dank für diese detaillierte Auseinandersetzung und die wertvollen Kommentare, Ergänzungen und Korrekturen gilt Gábor Klaniczay, Jonathan Lyon, Judit Majorossy, Claudia Märtl, Ferdinand Opll, Konrad Petrovsky, Walter Pohl, Bernd Schneidmüller, Katalin Szende und Petr Štih, die hier stellvertretend für die zahlreichen Kolleginnen und Kollegen genannt werden sollen, durch deren Wissen, Kritik und Anregungen dieses Buch erst ermöglicht wurde. Der vom österreichischen Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) geförderte Spezialforschungsbereich VISCOM (SFB 42) Visions of Community: Comparative Approaches to Ethnicity, Region and Empire in Christianity, Islam and Buddhism (400–1600 CE) bot einen hervorragenden Rahmen, die skizzierten Fragestellungen aus einer Vielzahl von Perspektiven zu diskutieren – gerade weil dort Europa nicht im Zentrum steht.

Der Breite der hier behandelten Themen ist auch unsere Entscheidung geschuldet, die notwendigerweise detaillierte und damit sehr umfangreiche Bibliographie vollständig online und nicht in Form eines bibliographischen Anhangs zugänglich zu machen und damit der quellenbezogenen Kontextualisierung im gedruckten Buch mehr Raum zu geben. Direkte Nachweise von Quellen und Literatur werden dafür unmittelbar im Textzusammenhang gegeben, ebenso wie solche zum Bildmaterial, das integraler Bestandteil der diskutierten Überlieferungsformen ist. Wir danken dem UTB-Verlagskonsortium, besonders dem Böhlau Verlag, namentlich Julia Beenken und Ursula Huber, für professionelle Betreuung und Lektorat, und nicht zuletzt für das Entgegenkommen bei diesen editorischen Entscheidungen ebenso wie dafür, dass in diesem Einführungsformat Bild- und Kartenmaterial großzügig berücksichtigt werden konnte. Für die gemeinsame Erstellung eines eigenen Kartensatzes für dieses Buch gilt unser Dank Joachim Zwick, für die Unterstützung bei der Erarbeitung der Bibliographie Daniel Frey und Birgit Aubrunner, für die kontinuierliche Begleitung der Konzeptentwicklung Karl Brunner und für ihre mehrfache kritische Lektüre Stefan Erdei, Herwig Weigl und Horst Wenzel.

Eine vergleichende Kulturgeschichte der Überlieferung liegt in mancherlei Hinsicht quer zu den gewohnten Kategorien der Einordnung mittelalterlicher Quellen und der Methoden ihrer Bearbeitung. Das beginnt bei der Auswahl des Materials, der Frage nach dessen Repräsentativität, und führt bis hin zu den vielfach verflochtenen Wissenschaftsgeschichten seiner Auffindung, Ordnung und Bearbeitung. Eine mittel- und südosteuropäische Perspektive auf Überlieferungsformen, die uns Auskunft über Aspekte des Werdens des mittelalterlichen Europa geben, macht Heterogenität und Ungleichzeitigkeit von historischen Entwicklungen, die den Kontinent auch heute prägen, besonders deutlich. Manche der Wege, die wir dabei erkundet haben, waren [<<10] noch wenig beschritten, manche Frage konnte nur skizziert werden, manche Unübersichtlichkeit bleibt bestehen, oft fehlen Quellen, während in anderen Fällen aus der Fülle des Materials eine Auswahl getroffen werden musste. Unser Anliegen ist es zu zeigen, dass Überlieferungsgeschichte mehr bieten kann als Quellenkenntnis allein, dass eine kulturwissenschaftliche Verortung der Überlieferung robustere Brücken zwischen den Gegenständen der Forschung und den Möglichkeiten ihrer Interpretation bauen hilft. Damit hoffen wir einen Beitrag zu einer Verflechtungsgeschichte historischer Räume zu leisten, deren Uneindeutigkeit und je zeitgebundene Neuerfindung für jede Generation von Historikerinnen und Historikern wieder eine neue Herausforderung ist.

Wien, im Mai 2016 [<<11]

Kulturgeschichte der Überlieferung im Mittelalter

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