Читать книгу Sternstunde der Mörder - Pavel Kohout - Страница 10

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Durch das Fenster, das unter der Druckwelle zerborsten war, zog der frostklare Tag herein. Die scharfe Luft korkte den Magen zu. Kriminaladjunkt Morava mobilisierte dabei seinen ganzen Geist, so wie er es zu Beginn seiner Laufbahn getan hatte, diesmal, um in den Augen der Deutschen nicht als grüner Junge dazustehen. Ihrer waren hier sechs, alle bis auf einen in langen Ledermänteln, welche auch im Protektorat Böhmen und Mähren zur Ziviluniform der Geheimpolizei geworden waren. Ihr Häuptling schien der Riese zu sein, dessen Brustkasten das dicke Leder zu sprengen drohte.

Morava stellte sich lieber allen zugleich vor, und da sie nur abwartend nickten, nahm er das als Aufforderung, mit der gewohnten Amtshandlung zu beginnen. Ohne weitere Worte zog er sein zusammengeknifftes Heft aus der Tasche und trug auf einer leeren Seite seine Bemerkungen für den späteren Bericht ein. Berans Schule: Der Polizeifeldscher, Morava, würde sich schieflachen, doch unsereins verschafft sich auf diese Weise ein menschliches Bild, bevor es vom Fachrotwelsch verwischt wird!

Tatsächlich ließen sie ihn bei seiner Arbeit in Ruhe, unterhielten sich sogar nur halblaut, als wollten sie ihn nicht stören. Der geübte Blick von der Seite erlaubte ihm, auch sie zu beobachten, um zu erraten, was sie wohl von ihm haben wollten. Zumindest mußte er sich nicht mit seinem ganzen Kopf diesem ekelerregenden Bild widmen.

Allein der Zivilist im beigefarbenen Raglanmantel verhielt sich wie ein Kriminalist: Schweigend sah er Morava zu, wie er durch den Schnee aus feinen Scherben rund um den Tisch mit dem Frauentorso watete und die linierten Seiten mit winzigen Schriftzügen füllte. Doch als er fertig war, sprach ihn der Vierschrötige an. Ein hoher SS-Dienstgrad stand ihm auf die Stirn geschrieben, er trat sogar breitbeinig vor ihn hin und stemmte, getreu dem Vorbild seines Führers, die Arme in die Seiten.

«Ihre Meinung?»

In aller Knappheit, so wie man es ihm beigebracht hatte, antwortete er.

«Ein sadistischer Mord.»

Der Deutsche herrschte ihn an.

«Das haben sogar auch wir schon erkannt. Mehr wissen Sie nicht?»

Von jeher hatte Morava sein Problem mit Leuten, die ihre Stimme steigerten. Sein polternder Vater hatte ihn bis zu seinem Tod für einen Angsthasen gehalten, und dieser Ruf hing Morava noch in Prag an. Erst Hauptkommissar Beran erkannte, daß dies ein angeborener Abscheu gegen jede Kraftmeierei war, mit der sich Denkschwäche tarnte, und heilte ihn mit Vertrauen. Morava mußte sich jetzt räuspern, erwiderte dann aber fest.

«Im Augenblick weiß ich nicht mehr, als ich gerade sehe. Ich müßte eine Untersuchung einleiten, in diesem Fall jedoch ...»

Der Mann, den er für einen Kriminalisten hielt, fiel ihm ins Wort.

«Der Herr Standartenführer wollte wissen, ob Sie darin irgend jemandes Handschrift erkennen?»

Morava blickte wieder auf die Leiche. Die Übung hatte gesiegt, er war in der Lage, in ihr das bloße Objekt einer Amtshandlung zu sehen. Die bizarre Art, in der der Mörder mit ihr umgegangen war, erinnerte ihn an nichts, was er in seinen wenigen Lehrjahren gelesen oder erfahren hatte. Er schüttelte den Kopf. Der Mann fragte weiter.

«Hat es hier eine Sekte gegeben, die zu so einer Tat fähig wäre?»

Zu dumm, daß er darauf nicht gekommen war. Ja, dahinter konnte sich ein Ritus verbergen, aber welcher? Aus der nationalen Geschichte war ihm nichts Derartiges bekannt.

«Ist mir nicht bewußt.»

«Wo steckt Ihr Chef überhaupt?» tobte der Vierschrot ungeduldig los.

Früher, als Morava noch unter Brüllen litt, hatte er immer versucht, sich die Schreiaffen ohne Kleider vorzustellen. Das klappte auch jetzt. Vor ihm stand ein gemästetes Schwein, das ihm keine Angst einflößte.

«Mit allen anderen Kollegen auf Besichtigung», erklärte er ihm, «die Stadt ist zum erstenmal bombardiert worden.»

«Ach nein!» der SS-Mann wurde wieder giftig, «das haben wir kaum bemerkt! Wissen Sie, was Bombardieren heißt, Mensch? Schauen Sie sich Dresden an!»

Er wirkte plötzlich fast beleidigt. Morava vergegenwärtigte sich die Waschbecken und Klosettschüsseln, die aus der Wand des Eckhauses ragten und kurz zuvor noch von den Bewohnern benutzt worden waren. Die haben es bestimmt bemerkt! Die wächserne Leiche auf dem Tisch, dieser ganze panoptikumähnliche Altar holte ihn in die Gegenwart zurück.

«Der Herr Polizeipräsident hat Weisung erteilt, nach dem Hauptkommissar suchen zu lassen, er wird bestimmt bald zur Stelle sein.»

Wiederum schaltete sich der Sachliche ein. Schlank, mittleren Alters und schon mit ergrauten Schläfen, sah er am besten von allen aus und unterschied sich von ihnen nachdrücklich in Benehmen und Tonfall.

«Werden Sie ihn abwarten oder die Fahndung selbst einleiten? Wie schnell werden Sie eine Gruppe beisammenhaben?»

Klar, ein Kollege! Noch einmal versuchte Morava, ihm die Sachlage zu erläutern.

«Laut Instruktionen ist unsere Polizei nur berechtigt, die Straftaten von Tschechen zu untersuchen ...»

«Die hier wird sie übernehmen.»

«Aber das Opfer», wandte er ein, «ist doch eine Deutsche!»

«Leider. Nur ist der Mörder ein Tscheche. Der Hausmeister ist ihm begegnet.»

Morava stand sprachlos da. Instinktiv hatte er auf einen deutschen Flüchtling oder Deserteur getippt, der seiner Landsmännin durch Folter Geld und Schmuck hatte abpressen wollen. Eine derartige Fleischhackerei hatte hierzulande keine Wurzeln.

«No nazdar!» seufzte er.

Sternstunde der Mörder

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