Читать книгу Sternstunde der Mörder - Pavel Kohout - Страница 9

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Von der kleinen Parkbank auf der Smíchover Seite der Moldau her tat sich ein märchenhaftes Bild vor ihm auf. Ein Blick wie aus der Loge, dachte er bewegt, oder direkt wie von der Empore! Trotz des frühen Nachmittags drang die Februarsonne nicht durch den Panzer der kalten Luft, ihm jedoch war geradezu heiß. Er knöpfte sich die wattierte Bundjacke auf, stellte das Gepäck zwischen seine Füße und breitete die Arme auf der Rücklehne aus. Schlaff hingelagert betrachtete er das Theater gegenüber und fand allmählich wieder zu sich.

Er genoß es, von keinem gestört zu werden. Die sonst so lebhafte Uferpromenade war menschenleer, die Stadt verhielt sich wie ein eingerollter Igel, der immer noch Gefahr wittert. Nur um das zertrümmerte Eckhaus auf der Flußseite gegenüber schwärmten Feuerwehrleute und Sanitäter. Verständlicherweise interessierte ihn vor allem das Haus, das er unlängst verlassen hat, wie lange war das wohl her? Er richtete den Blick auf sein linkes Handgelenk, sah deutlich die Zeiger der Armbanduhr, war aber außerstande, sich zu konzentrieren.

Er muß eine gewisse Zeit gelaufen sein. Erst nachdem er wie im Traum an den brennenden Trümmern vorüberkam und über die mit Scherben und Ziegelsplittern besäte Brücke schlenderte, ja viel später noch, als er schon auf der Bank hier ausruhte, ertönte drüben das Feuerwehrsignal, und das erste Spritzenauto erschien. Dafür langten zwei Personenautos viel früher, als er erwartete, bei Seinem Haus an. Dieser Mensch! fiel ihm ein, dieser Schwachkopf, der mich auf der Treppe grüßte. Den hätte ich Auch ...

Nein! Er konnte nicht einfach so einen Unschuldigen umbringen, schon gar nicht einen Mann. Er ist kein Verbrecher, er ist ein Werkzeug. Er ist auserwählt, um zu Läutern. Darum wurde ihm auch die Art und weise vorgeschrieben. Damals in Brünn hat er gepfuscht, ja schmählich versagt. In den Zeitungen hieß es, wer derartiges tun kann, muß Abartig veranlagt sein. Doch er war nur ungeschickt. Und verschuldete damit, daß man die Botschaft nicht erkannte. Sein Glück, daß er wegen seines Versagens nicht selbst bestraft wurde!

Man brauchte mich noch!

Er lachte laut auf vor Freude, daß es heute so perfekt klappte. Was müssen die dort für Augen machen? Was sagen sie dazu? Diesmal werden sie begreifen! Sie werden ganz anders über ihn schreiben! Vielleicht bringen sie auch ihr Foto, bestimmt, so etwas läßt sich doch nicht mit Worten schildern. Ihn erregte der Gedanke, daß sie ihm so von selbst einen Beweis beschaffen: ein unbestreitbar getreues Abbild seines Werkes, so sehr dem Bild ähnlich, das Sie ihm einst als Vorbild zeigte.

Eigentlich kam ihm erst jetzt zum Bewußtsein, was in der Wohnung alles vor sich ging. Wie er sich erinnerte, war er auf seltsame Art abwesend, während er es tat, als lenkte ihn wirklich ein fremder Wille. Was er machte, sah und hörte, erreichte weder sein Bewußtsein noch sein Gefühl. Es wurde aufgezeichnet. Und begann sich erst jetzt, mit Verspätung, wie ein rückwärts laufender Film abzuspulen.

Die Vergangenheit wurde wieder gegenwärtig, mit der Sonne löschte sie auch den Fluß vor ihm aus, tatsächlich erlebte er erst jetzt jeden seiner Handgriffe im Dämmerlicht des Zimmers nach, nahm jede ihrer Reaktionen wahr. Und er staunte über seine Kaltblütigkeit und Geschicklichkeit, mit der er so rasch und exakt diese schrecklich, schrecklich komplizierte Aufgabe erfüllte. Nein, er war nicht mehr der armselige Stümper aus Brünn; ohne es zu bemerken, reifte er in diesen scheinbar fruchtlosen Jahren zu einem Meister heran, vergleichbar mit jenem unbekannten Maler ...

Auch sie hat das merken müssen! Während das Brünner Flittchen noch bettelte und wie von Sinnen kreischte, sich dabei sogar bemachte, pfui! gerade das stieß ihn am meisten ab, erkannte diese hier augenblicklich sein Recht an. Vielleicht hätte sie auch ohne Knebel nicht geschrien, doch das konnte er nun doch nicht riskieren. Sie hörte auf zu leben, ohne daß er es gleich gewahrte, da sie auch nachher noch fast hündisch die Augen auf ihn richtete. Er tat, was noch zu tun war, und als er zurücktrat, sah er, daß Es gut war.

Damit war der Film zu Ende, das Licht ging an, und wieder war der Fluß da. Er bemerkte, daß die Rast ihn noch mehr ermüdete. Mitleidlos gebot er jedoch seinen erschlafften Muskeln, ihn samt seiner Tasche aufzuheben und durch die wenig vertraute Stadt zu bewegen, auf der Suche nach einem Ort, wo er Ihr, die ihm den Befehl erteilt hat, die Ausführung melden wollte. Am besten in einer Kirche doch!

Sternstunde der Mörder

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