Читать книгу Sternstunde der Mörder - Pavel Kohout - Страница 19

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Meckerle hatte wieder mal seine Tage, wie man es bei der Gestapo flüsternd nannte, wenn er schon die Posten am Eingang anschiß. Bald sprach sich herum, warum das heute so war. Der Feuersturm gestern hatte auch die Villa in Dresden weggeputzt, die der Standartenführer vor Jahren arisiert und mit der er sich als sichtbaren Beweis seiner Bedeutung gebrüstet hatte. In seiner Stabsrunde von Offizieren und Beamten war es nur Buback, der nicht vor Angst zitterte.

Er wußte, daß er unter diesen protektionierten Amateuren, darum meist auch Stümpern, der einzige war, der sich auf sein Handwerk verstand. Und er wußte, daß auch Meckerle sich dessen sehr wohl bewußt war. Dafür erkannte er seinerseits an, daß der Riese von SS-Mann, der an den «Bösen Mann» in den Ringarenen der Vorkriegszeit erinnerte, nicht nur zu allem fähig, sondern tatsächlich auch fähig war, die Schlüsselzentrale der Okkupationsmacht zu leiten, notabene in Zeiten, da schon lange nicht mehr gesiegt wurde.

Er stimmte mit ihm überein, daß der Mord an der Baronin eine einmalige Gelegenheit bot, die Eingeweide der tschechischen Polizei zu durchleuchten, die sich erstaunlicherweise gegen die Gestapo zu behaupten wußte; von der Existenz geheimer Strukturen zeugte, wie rasch die bislang angeworbenen Spitzel von allen interessanten Informationen abgeschnitten wurden. Noch gestern hatte er die Arbeit seiner kleinen Dienststelle so organisiert, daß sein Vertreter Rattinger sie zu leiten vermochte, ein erfahrener Kriminalist, den er sich aus Belgien mitgebracht hatte. Er wußte von dessen Gelüst auf seinen Sessel, vor allem aber von dem Problem, das dieser Karriere im Wege stand. Rattinger trank, und Buback deckte vorausschauend seine Affären, womit er sich ihn verpflichtete und sich seiner versicherte. Auf jeden Fehler von ihnen beiden lauerte hier das fanatische Gehirn unter dem kahlgeschorenen Schädel Kroloffs, vermutlich überzeugt, daß Leute wie sie für Deutschland den Krieg verlieren.

Den Fall der an sich unbedeutenden deutschen Witwe gedachte Buback im Einvernehmen mit Meckerle aufzublasen, indem er ihn von deutscher Seite aus persönlich im Auge behalten würde. Damit nötigte er seinem tschechischen Gegenüber die gleiche Geste ab. Nur würde er es sein, der sich unter dem Dach des anderen niederließ und dort seine Geheimwaffe, die Kenntnis der Sprache, einsetzte. Bei soviel Jahren Erfahrung in ähnlichen Apparaten konnte ihm nichts entgehen, was nach Vorbereitungen der Prager Polizei zu einem Aufstand gegen das Reich gerochen hätte.

Als der Standartenführer die hohen Chargen genügend zusammengestaucht und anschließend mehr hinausgeworfen als entlassen hatte, blieb Buback unaufgefordert zurück. Wie er vorausgesehen hatte, beruhigte sich Meckerle im Handumdrehen und kredenzte ihm ein Gläschen Cognac, der diese Bezeichnung verdiente. Er vertraute ihm sogar völlig ungewohnt seinen jüngsten Kummer an.

«Schweine!» drohte er den fernen Piloten mit der Faust, «ich hoffe, wir machen möglichst bald ihre Städte platt. Aus dem Führerhauptquartier weiß ich, daß es tatsächlich bald soweit ist, die V-eins und die V-zwei sind Kinderspielzeuge gegen die neuen Waffen. Aber ich hoffe stark, die andern bepflastern dieses Nest da vorher noch ordentlich, damit den ausgewichsten Schlawinern die Lust vergeht, uns in den Rücken zu fallen!»

Punkt acht erschien der Adjutant und meldete, die Tschechen säßen bereits im Warteraum. Meckerle ließ sie dort noch zwei weitere Cognacs lang hocken. Melancholisch zeigte er Buback Fotos seiner Luxusvilla und teilte ihm auf die höfliche Frage, ob sich die Bewohner wenigstens in Sicherheit gebracht hätten, ohne Begeisterung mit, seine Gattin habe sich dank eines puren Zufalls gerade in Prag aufgehalten. Buback wußte wie alle hier von seinem glühenden Verhältnis mit einer kleinen Ballettratte vom inzwischen geschlossenen Prager Deutschen Theater, es herrschte Verwunderung, daß er dieses Fliegengewicht bisher weder zerrissen noch zerquetscht hatte. Sie schwelgten noch eine Weile in Erinnerungen an die Stadt, mit der sie sich beide verbunden wußten, bis der SS-Mensch vor Leid und Wut rot anlief, sich brüsk erhob und die leeren Gläser wegräumte.

«Also, nehmen wir sie uns zur Brust!»

Herein trat eine Dreiergruppe, die dem Auge ein tristes Zeugnis von der Exekutivgewalt des Protektorats ausstellte; der Polizeidirektor, klein und rundlich, an einen Falstaff erinnernd, Hauptkommissar Beran, schlank und rank, ein Don Quijote, und der junge Mann von gestern, breitschultrig und mit roten Wänglein, eine tschechische Märchengestalt, die Buback jetzt um so mehr mißfiel, als er sie in der Kindheit geliebt hatte: der dumme Hans. Von früher her wußte er jedoch, daß bei den Tschechen der Schein trog. Diese unschuldigen und armselig wirkenden Typen hatten im Nu perfide Tücken parat, und die Pfiffigkeit dieser nur scheinbar dummen Hänsel wurde von ihrer Kraft nur noch vervielfacht.

Der Standartenführer hatte auch schon seine Meinung über sie. Er erachtete sie selbst einer lässig erhobenen Rechten nicht für würdig und polterte gleich los, als stünde er vor einer angetretenen Formation. Er wiederholte, was jeder von ihnen einzeln schon gestern von ihm und von Staatssekretär Frank gehört hatte, und legte dann dar.

«Großdeutschland betrachtet den bestialischen Mord an Elisabeth Baronin von Pommeren als ein Signal von Agenten der verräterischen Londoner Regierung für eine Terrorwelle, die sich gegen alle deutschen Bewohner des Protektorats richtet. Wird der Täter nicht ergriffen, um einer angemessenen Strafe zugeführt werden zu können, ist das Reich zu einer noch härteren und umfassenderen Vergeltung entschlossen, die alles in den Schatten stellen wird, was selbst bloßen Befürwortern des Attentats auf Reichsprotektor Heydrich zuteil geworden ist. Ich bin bevollmächtigt, Ihnen verbindlich zu erklären: Großdeutschland steht unmittelbar vor der endgültigen Wende im totalen Krieg gegen die Plutokraten und jüdischen Bolschewiken, die auf ihrem eigenen Territorium ausgerottet werden. Deshalb wird es ohne Erbarmen alle liquidieren, die sich mit der Absicht tragen, ihm das Messer in den Rücken zu stoßen!»

Eher mit dem Messer den Bauch auszuweiden ... dachte Buback.

«Wir sind entschlossen, diesen urgermanischen Boden mit Bächen von tschechischem Blut zu tränken, falls wir damit einen einzigen Tropfen deutschen Blutes retten. Es liegt in Ihrer Hand, meine Herren ...», man merkte ihm an, wie wenig er sie für Herren hielt, «ob Sie das Unheil, das eine Handvoll ausländischer Abenteurer zynisch plant, von Ihren Landsleuten abwenden oder nicht. Ich befehle Ihnen, eine Sondergruppe für die Fahndung aufzustellen, für deren Ergebnisse Sie die volle Verantwortung tragen. Ich werde darin durch den hiesigen Verbindungsoffizier des Reichskriminalpolizeiamts, Oberkriminalrat Buback, vertreten sein. Er ist mir für eine ständige und genaue Information über den Stand der Untersuchung verantwortlich, wird Ihnen aber auch gegebenenfalls die Unterstützung durch unsere Dienststellen vermitteln. Das ist alles. Nun will ich von Ihnen hören, wer für die Tätigkeit der Gruppe persönlich haften wird.»

Polizeipräsident Rajner verbeugte sich so ehrfürchtig, wie es sein Bauchspeck zuließ, und wandte den Blick, der bis jetzt auf den Standartenführer gerichtet war, zu seinem hageren Nebenmann.

«Hauptkommissar Beran ...»

Das hatte Buback erwartet. Er war gespannt auf die Zusammenarbeit mit dem Mann, der ihm schon in ferner Vergangenheit ein Begriff gewesen war. Beran erntete damals ein von allen Blättern der ehemaligen Republik unisono gesungenes Lob, als er aus dem Belagerungsring der Gendarmen auf einen verbarrikadierten Eifersuchtstäter, der seine Frau samt ihrem Geliebten umgebracht hatte, losgestiefelt war und gerufen hatte, Wenn du mich nicht totschießt, versprech ich dir, daß ich dich gleich vom Knast auf ein Bier abhole! Selbst Jahre später wirkte er hier auf ihn als ein Mann, der Wort hielt und gegen Angst gefeit war. Es war für Buback ein erregendes Gefühl, daß er einen solchen Rivalen durchschauen und unschädlich machen sollte.

Bude to fuška! würde er als Tscheche sagen, das wird eine Mordsarbeit!

Der Genannte nickte auf zivile Art und setzte in annehmbarem Prager Deutsch so unformell hinzu, als plaudere er über das Wetter.

«Die Personalsituation zwingt mich, nebenher auch weiterhin die ganze Prager Kriminalpolizei zu leiten, die voraussichtlich in immer stärkerem Maße durch den Ansturm der Flüchtlinge aus dem Osten belastet wird. Mein bevollmächtigter Vertreter, der ausschließlich für diesen Fall abgestellt wurde, ist Kriminaladjunkt Morava.»

Buback spürte, daß die Reihe an ihm war, Beran in ebenso legerem Ton zu antworten.

«Das liegt in Ihrer Kompetenz. Ich werde in meiner Vollmacht Maßnahmen von Ihnen verlangen, die zur Erfüllung der Aufgabe in kürzester Zeit führen!»

«Das ist sowieso unsere normale Pflicht», erwiderte der Hauptkommissar höflich und sah ihm fest in die Augen.

Ein Blödsinn, daß wir Feinde sind, bedauerte Buback, wir wären ein ideales Paar. Zugleich bemerkte er, daß Meckerle sich unverkennbar, aber sicher zu langweilen begann. Dem Rausschmiß, der auch ihn betroffen hätte, beugte er vor, indem er Haltung annahm, um die Tschechen daran zu erinnern, daß sie hier nicht im Kaffeehaus waren.

«Standartenführer, gestatten Sie, daß ich die Herren zu mir entführe, um den Bericht über den Stand der Ermittlung entgegenzunehmen.»

Jetzt straffte sich auch Meckerle und führte ihnen zum Abschied vor Augen, welch ein Berg von Körper und Willenskraft hinter seinen Worten stand.

«Hier will ich ihn in Kürze sehen!» herrisch wies er auf den Raum zwischen sich und ihnen, «ich will ihn als erster persönlich fragen, warum er das getan hat. Ich denke, wir sparen uns das Henkersalär.»

Dann endlich schoß er den Arm zum deutschen Gruß hinauf.

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