Читать книгу Sternstunde der Mörder - Pavel Kohout - Страница 7

Оглавление

Donnert es? fragte sich Oberkriminalrat Buback verwundert, jetzt im Februar? Doch noch ehe er zu Ende denken konnte, schlug es ein. Da wußte er, daß eine schwere Fliegerbombe verdammt nahe niedergegangen war.

Das Gebäude der Prager Gestapo, in dem er als Verbindungsmann des Reichskriminalpolizeiamts tätig war, schwankte eine ganze Ewigkeit wie wild, stürzte dann aber doch nicht ein. Es folgte die übliche Stille nach dem Schock, die angehaltene Zeit. Bis mit Verspätung die Sirenen aufheulten und die Referenten und die Sekretärinnen auf der Treppe draußen in den Schutzraum hinunterpolterten.

Unbewegt starrte er in die beiden Gesichter.

Der Keller der ehemaligen Petschek-Bank war ihm zuwider. Einige der Tresore waren zu Zellen umgebaut worden; wie es hieß, half man dort den Politischen ziemlich rigoros beim Erinnern nach. Diesmal blieb er jedoch vor Staunen hier oben: Es war, als hätten das Krachen und das Gerüttel Hilde und Heidi wiedererweckt.

Das gerahmte kleine Bild war mit ihm gemeinsam durch den Krieg gezogen. Seine Arbeitsstätten wechselten wie die Städte und Länder, doch überall lächelten ihm diese beiden gedankenvoll zu, das ältere und das jüngere Abbild einer still leuchtenden Anmut, in der er seinen Frieden fand. Über ihre Gesichter hinweg, die er im letzten Vorkriegssommer auf Sylt so lebensecht festgehalten hatte, erledigte er seine Beratungen und Verhöre, zumeist nahm er sie dabei überhaupt nicht wahr. Doch nicht eine Stunde gab es, da er sich nicht in einer Aufwallung von Freude bewußt war, daß sie beide irgendwo anwesend waren, in der Ferne, aber lebendig und die Seinen.

Im vorigen Jahr in Antwerpen hatte er sie auch vor Augen gehabt, als vor dem Rückzug die Männer aus anderen Abteilungen auf dem Hof Akten verbrannten. Er nieste gerade, denn der beißende Rauch reizte seine Schleimhäute, und eine Weile verstand er die fremde Stimme am Telefon nicht, die ihm zur Kenntnis gab, daß die beiden tot seien. Das Lächeln auf dem Foto, damals noch warm von ihrer Gegenwart in ihm, die zwischen Lebenden Entfernungen aufhebt, schloß das, was er hörte, aus. Der Offizier von der Berliner Zentrale las ihm darum den Polizeibericht vor.

In dem fränkischen, von mittelalterlichen Wehranlagen umgebenen Dorf, in das man zu seiner Erleichterung Hilde vorletztes Jahr aus dem bedrohten Dresden versetzt hatte, um Kriegswaisen zu unterrichten, wurde seit Menschengedenken nur Wein angebaut, es konnte auf keiner Zielliste der Alliierten stehen! Hilde und Heidi wurden als einzige von der verirrten Bombe getötet, die ohne Vorwarnung genau mittags auf das Haus mit der Lehrerwohnung fiel.

Als er das endlich begriffen hatte, erstarrten die lebhaften Gesichter auf dem Bild zu leblosen Grimassen. Er stellte dann das Foto noch auf weitere Schreibtische, doch es verströmte Grabeskälte, rief nichts in ihm wach. Nicht einmal Trauer. Bis zu dem Augenblick, als eine andere Bombe dicht neben ihm einschlug.

Ja! wußte er plötzlich, genau so muß es geschehen sein, wie jetzt in dieser Prager Mittagsstunde. Bestimmt haben sie einander gegenübergesessen, mit dem Stuhl und dem Teller für ihn am Tischende, woran sie seit seinem einzigen Besuch hartnäckig Tag für Tag festhielten. So war er auch in jenem Augenblick bei ihnen, als Luftdruck und Gluthitze sie ohne Angst und ohne Schmerz in Rauch und Asche aufgehen ließen!

Mit der unerwarteten Sprengbombe in unmittelbarer Nachbarschaft schien jetzt auch in ihm die befreiende Erkenntnis explodiert zu sein, daß der Engel eines gnädigen Todes seine Lieben hinaufgeholt hatte. Nun hatte er sie ihm wiedergegeben. Die erstarrten Züge auf dem glänzenden Papier wurden weich, die frühere Wärme kehrte in sie zurück, erneut waren sie beide mit ihm vereint, Hilde und Heidi, so wie er sie damals aufgenommen hatte und solange sie lebten. Dadurch tief bewegt, verstand er zunächst nur halbwegs die Nachricht, mit der Kroloff etwas später bei ihm eintrat.

Sein Adjutant und vielleicht auch Aufpasser, weil von der Gestapo zugeteilt, der sich täglich den hohen schmalen Schädel rasierte, um sein schütter werdendes Haar für die Friedenszeit zu kräftigen, meldete, ein Volltreffer habe das Eckhaus ihres Blocks weggerissen. Genau gegenüber dem Nationalmuseum, bedauerte er, ein paar Meter weiter, und den Tschechen wäre die Lust vergangen, sich über die noch rauchenden Trümmer des Zwingers zu freuen!

Ein paar Meter weiter, dachte Buback, und ich wäre ohne Schmerz und Angst mit ihnen vereint gewesen ... Zerstreut hörte er weiter zu und mußte sich die zweite Nachricht wiederholen lassen. Seit langem war er überzeugt, ihn könnte nichts mehr überraschen. Kroloffs Meldung beraubte ihn jedoch einer weiteren Illusion. Er entschied, über eine derartige Perversität müsse er selbst Standartenführer Meckerle Meldung machen.

Sternstunde der Mörder

Подняться наверх