Читать книгу Sternstunde der Mörder - Pavel Kohout - Страница 15

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Die Naturalwohnung bestand aus einer kleinen Küche und einer Stube. Der Hausmeister, anscheinend Witwer, war nach wie vor auf Sauberkeit und Ordnung bedacht. Sie sahen ihn schon vom Gehsteig aus, die geplatzte Fensterscheibe mit einem Klebestreifen reparieren. So wie der Mörder sie benutzte ... dachte Morava. Der Mann öffnete ihnen noch im Dunkeln und tappte dann zum Fenster, um das Verdunkelungsrollo herabzulassen, ehe er Licht machte. Morava amüsierte sich, wie Beran schnupperte. Wittert er die Unterhosen?

Der Hausmeister konnte oder wollte sich immer noch nicht erinnern, wie der Unbekannte im Treppenhaus ausgesehen hatte. Um ihn abzulenken, fragte der Hauptkommissar ihn dann eine geraume Weile über die Baronin aus. Er entlockte ihm nur ein paar oberflächliche Wahrnehmungen, keiner aus der Familie von Pommeren konnte Tschechisch, und der Hausmeister beherrschte höchstens zwei Dutzend der notwendigsten deutschen Ausdrücke. Er wußte nicht viel mehr, als daß der General kurz nach der Besetzung der Tschechoslowakei von Berlin hierher versetzt worden war, er und sein Sohn waren später an der Front gefallen, und die Baronin hatte die Urnen auf dem nahen Vyšehrader Friedhof beisetzen lassen, wo sie die beiden täglich besuchte.

Morava verfolgte gelehrig, wie Beran die Angelschnur der ausgeworfenen Fragen immer mehr verkürzte. Er konnte im voraus sagen, wann jene fallen würde, auf die der Befragte anbeißen sollte.

«Sie haben diesen Mann zuerst gegrüßt, nicht wahr?»

«Jo», sagte der Hausmeister, ohne zu zögern.

«Wie?»

«Na ... Tag ...»

«Und er sagte?»

«Dasselbe. Er hat auch Tag gesagt, ja, genau!»

«Daß Sie sich ausgerechnet daran erinnern?»

«Er hat das irgendwie sonderbar gesagt ...»

«Wie sonderbar?»

«Weiß ich nicht ...»

«Hat er gestottert? Oder war er heiser? Rollte er das R? Hat er mit der Zunge angestoßen? Hat er genäselt? Geknurrt? Hatte er womöglich eine Fistelstimme?»

Morava bewunderte den Chef, wie der immer neue Angebote aus dem Ärmel holte, doch der Hausmeister hörte nicht auf, den Kopf zu schütteln.

«Was war daran so sonderbar?»

«Weiß nicht ... irgendwie hat das nicht gepaßt zu ihm.»

Morava wagte es, sich ins Spiel zu mischen.

«Etwa zu seiner Kleidung?»

«Schon möglich ...»

Beran sprang in die Bresche.

«Na, und wie war er gekleidet?»

«Wenn ich das wüßte. Schaun Sie, mir langt’s heute, hat Ihr junger Mann Ihnen nicht erzählt, was mir passiert ist? Beschissen hab ich mich dabei!»

Es klang beinahe stolz. Der Hauptkommissar gab für diesmal auf und erhob sich. Morava hatte eine Eingebung.

«Und Sie haben bestimmt zu ihm gesagt ... wie war das gleich?»

«Tag ...», wiederholte der Hausmeister unsicher.

«Und er?»

«No, dasselbe ...»

«Und hat er nicht vielleicht guten Tag gesagt? Guten ...»

«Ja! So hat er’s gesagt. Wie Sie. So richtig wie in der Schule, wissen Sie?»

Morava beflügelte die Anerkennung in Berans Blick.

«Und zu der Art, wie er sprach, da hat was nicht zu ihm gepaßt?»

«Kann wohl sein ...»

«Was käme Ihnen dafür passend vor?»

«Na ... so was, was Sie anhaben, der Hut, der Wintermantel ...»

«Und unpassend?»

Es beschwingte Morava, daß der Kommissar ihn machen ließ.

Der Hausmeister blickte flüchtig auf seine abgetragenen Arbeitshosen.

«Was ich anhab ...»

«Er trug also etwas Ähnliches?»

Morava hatte längst die Erfahrung gemacht, daß Menschen von geringerer Intelligenz, die man zu angestrengtem Nachdenken zwingt, beinah körperlich leiden. Das Gesicht des Mannes verriet Schmerz, als er bat.

«Schaun Sie, lassen Sie mich drüber schlafen, jetzt quetsch ich nichts mehr raus aus meinem blöden Schädel.»

Der Hauptkommissar ließ sich von ihm noch die Wohnung der Baronin aufschließen. Eine Hundekälte empfing sie. Sie zogen wenigstens die Brokatvorhänge, die hier als Verdunkelung dienten, vor dem zerborstenen Fenster zusammen, um Licht machen zu können. Beran ging um den Tisch herum, unter seinen Füßen zerbarsten auch weiter Glassplitter; schon wieder witterte er wie ein Hund.

«Hat hier einer die Teppiche ausgewechselt oder was?» fragte er verwundert.

«Wir haben hier nichts von der Stelle gerückt!» beteuerte Morava.

«Nach dem, was Sie mir geschildert haben, habe ich eine gewaltige Blutlache erwartet.»

«Wie ich Ihnen gesagt habe, muß er unheimlich geschickt sein. Er hat es fertiggebracht, das Blut vollständig in den kleinen Messingbehälter von dem Gummibaum laufen zu lassen. Ich habe alles in die Pathologie geschickt.»

«Auch die Brüste und die ... Därme?»

Morava erlebte zum erstenmal, daß sich Beran vor Ekel schüttelte.

«Die sind auch in der Gerichtsmedizin. Selbst die dort waren entgeistert, haben zugesagt, die Ergebnisse eiligst zu liefern.»

«Entschuldigen Sie», meldete sich der Hausmeister vom Gang her, «mir ist wieder kotzübel, können Sie hinterher abschließen?»

«Wir kommen mit», entschied der Hauptkommissar.

Unten hatte der Mann wieder Farbe, war aber nicht minder aufgeregt.

«Wie soll ich hier schlafen heute?»

«Sie sind doch nicht allein im Haus.»

«Aber doch. Der Zahnarzt vom ersten Stock hat sich gleich aufs Land abgesetzt, und drunter ist die Praxis.»

«Und auf den übrigen Etagen?»

«Da ha’m Juden gewohnt. Jetzt sind das irgendwelche Amtsräume von die Deutschen.»

Morava machte den Mund auf und schloß ihn wieder, als er Berans warnenden Blick gewahrte. Der Hausmeister öffnete die Haustür. Im Dunkeln draußen roch es nach Verbranntem. Die Feuerwehrleute waren abgerückt, ein Stück weiter, vor den Trümmern, drückten sich ein paar Gaffer herum.

«Gute Nacht», sagte der Kommissar, «hier der Herr Adjunkt kommt morgen früh vorbei, um Sie zu fragen, ob Ihnen noch etwas im Traum eingefallen ist. Litera», das galt dem Fahrer, «zischen Sie los!»

Der Alleingelassene schlotterte und schien Anstalten zu machen, sich zu ihnen ins Auto zu zwängen. Sie fuhren zurück in die Bartolomějská-Gasse vier, zum «Vierer», ihrer Zentrale, und Beran machte ein finsteres Gesicht.

«Den können wir vergessen. Selbst wenn wir ihm den Täter vor die Nase schieben, erkennt er ihn vor lauter Angst nicht wieder.»

«Was der Mörder leider nicht weiß», fiel dem Adjunkten ein.

«Was wollen Sie damit sagen?»

«Ich wundere mich, daß er von ihm abgelassen hat. Seinem Augenzeugen eigentlich. Er muß doch selber tüchtig mitgenommen gewesen sein.»

«Gut, Morava!» wann immer der Hauptkommissar das sagte, erinnerte er ihn an den gestrengen Klassenlehrer, nach dessen Lob er einst ähnlich gelechzt hatte, «aber das hieße auch ...»

«Daß er seinetwegen wiederkommen wird.»

Beran nickte.

«Veranlassen Sie die Bewachung lieber gleich. Und kommen Sie anschließend zu mir.»

Morava ging zur Bereitschaft und verdolmetschte dort die Anweisung Berans. Im Vorzimmer hatte er zu dieser Zeit dann nicht mehr Jitka vermutet und brachte nur ein törichtes Lächeln zustande.

«Jee, was haben Sie hier noch zu ...»

«Ich dachte, Sie brauchen vielleicht noch etwas ...»

Ja, ja, nur, was er brauchte, war, sie in die Arme zu nehmen und ihr zu gestehen, daß er die ganzen zwei Jahre, seit sie hier war, vor allem an sie gedacht hatte, allein deshalb war er nicht weggelaufen, als ihm klarwurde, daß er es bis zu seiner Pensionierung mit verunstalteten Leichen zu tun haben würde. Wie gewöhnlich faßte er sich auch nach dem jüngsten Erfolg bei Beran kein Herz und fragte nur linkisch.

«Was denn so?»

«Ich habe von daheim ein bißchen Suppe mitgebracht, für den Herrn Hauptkommissar mache ich sie schon warm, möchten Sie auch was davon?»

Erst jetzt vertrieb ihm ein lieblicher Duft aus der Kindheit den Gestank von Blut und Ruß aus der Nase.

«Leberwurstsuppe!»

«Die Unseren ...», sie senkte ihre Stimme zu einem kaum vernehmbaren Flüstern herab, während sie hier, im Hauptquartier der tschechischen Polizei, das schwere Vergehen gegen die Kriegswirtschaft beichtete, «haben geschlachtet!»

«Gern», sagte er schwach, «ich ... danke. Danke sehr ...»

Er ließ seinen zärtlichen Blick nicht von ihr und trat deshalb rückwärts beim Chef ein. Der legte gerade den Hörer auf.

«Ich habe mit der Pathologie gesprochen. Das Obduktionsprotokoll entspricht Ihrem Bericht. Er hat sie bei lebendigem Leibe fast ganz ausgeweidet. Neu ist, daß er sich etwas zum Andenken mitgenommen hat.»

«Was?»

«Ihr Herz.»

«O nein!»

«Und dazu noch ...?»

«Was?»

«Doch, die Riemen, mit denen er sie gefesselt hat. Was folgert daraus?»

Der Schüler Morava wußte es.

«Daß er es wieder tun wird.»

«So ist es. Ich gebe Alarm.»

Sternstunde der Mörder

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