Читать книгу Sternstunde der Mörder - Pavel Kohout - Страница 20

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Sein Lampenfieber verlor Morava wie gewöhnlich schnell, nach ein paar Worten beruhigte ihn das Bewußtsein, gute Arbeit zu liefern. Daß von Beran Zutrauen zu ihm funkte, spornte ihn an.

Die umwälzenden Ereignisse des gestrigen Abends schienen sein Gehirn, das der Kommissar mehr als einmal als «Schrottmühle» bezeichnet hatte, noch mehr geschärft zu haben. Er war, wie er es sich vorgenommen hatte, sogar nach seiner ersten Liebesnacht um fünf aufgewacht. Eine Weile hatte er in ungläubiger Verzückung das Mädchen neben sich betrachtet, das selbst im Schlaf seine liebreizende Miene nicht verlor. Nachdem er sich vergewissert hatte, daß er nicht träumte, fand er in der ihm unbekannten Küche im Erdgeschoß Zichorie und bereitete sich einen einigermaßen annehmbaren Kaffee. Beim Trinken schrieb er in nicht nachlassender Glückseligkeit in Schönschrift nieder, was bereits auf seine Weisung hin geschehen war, was gerade unternommen wurde und was alles in nächster Zukunft zu geschehen hatte.

Abhaken konnte er die Besichtigung des Tatorts und die Obduktion. Einen detaillierten Bericht, aus dem unter anderem hervorging, daß der Mörder konsequent Handschuhe benutzte und keine Spuren hinterließ, hatte er Jitka noch gestern abend im Büro diktiert, zur alten Zeitrechnung! dachte er lächelnd, bevor das große Licht sich über sie beide herabgesenkt hatte ... der Kommissar hatte ihn noch in der Nacht ins Deutsche übersetzen lassen, so daß der Gestapomann jetzt nur staunen konnte.

Die Verbreitung einer genauen Information lief auf vollen Touren, der Telegraf tickerte sie an alle Polizeireviere im Protektorat, oder Kuriere leiteten sie weiter. Sie schloß mit der Anweisung, sämtliche Dienstjournale sorgfältig durchzusehen und alle gleichgearteten Fälle, selbst wenn sie nur entfernt ähnlich waren, nach Prag durchzugeben. Bei diesem Punkt verstummte Morava und blickte seinen Chef an.

«Ich ersuche um Ihre Zustimmung», sagte der Hauptkommissar zu dem Deutschen, «daß die Erlaubnis erteilt wird, zu diesem Behuf auch die Journale aus der Zeit der ehemaligen Republik zu öffnen.»

Der antwortete, ohne zu zögern.

«Ich gestatte es unter dem Vorbehalt, daß ein Mitarbeiter der zuständigen Reichssicherheitsbehörde anwesend ist und anschließend die sofortige Wiederversiegelung vorgenommen wird.»

Er versteht zu denken und hat Vollmachten! benotete ihn Morava. Dann fuhr er in der namentlichen Aufzählung der Ermittlungsbeamten und Techniker fort, die für die das ganze Land erfassende Auswertung der eingegangenen Informationen vorgesehen waren, und schloß mit der Frage, ob der Herr Oberkriminalrat einen ergänzenden Vorschlag habe.

«Untersagen Sie der Presse, selbst die geringste Nachricht über den Fall zu bringen!»

Morava war erfreut, daß dieser offenbar erfahrene Fachmann keine andere Lücke in seinem Konzept gefunden hatte und daß er auch diese sofort zu füllen vermochte.

«Die Zensurbehörde ist bereits im Bilde, sie darf aber nur die tschechischen Publikationen kontrollieren.»

«Um die deutschen werde ich mich kümmern!» beschied ihm der Mann hinter dem Schreibtisch höchst unwirsch.

Warum ist der denn so aufgebracht? wunderte sich Morava, er kann froh sein, daß wir keine Dorftrottel sind; wenn wir diesen Irren nicht schnappen, kriegt er doch auch Ärger, weil er uns nicht im Griff gehabt hat.

Geräuschlos öffnete sich die Polstertür. Ein junger Mann mit rasiertem Schädel, dem nur die gekreuzten Knochen unterm Kinn fehlten, brachte ein Blatt herein und verschwand. Der Deutsche überflog die Nachricht und wandte sich wieder Beran zu; Morava nahm sich als erstes seiner Ziele vor, daß dieser Mensch es verlernte, über ihn hinwegzusehen.

«Wieso sind Ihre Leute immer noch in dem Haus an der Moldau?»

«Ich habe Anweisung erteilt, den Hausmeister zu bewachen», nahm Beran die Verantwortung auf sich, «der Täter könnte versuchen, den Kronzeugen zu beseitigen.»

«Ziehen Sie sie ab! Dort befinden sich Büros deutscher Organisationen, darum kümmern wir uns selber!»

Wieder nickte Beran freundlich. Morava ahnte, was er dachte. Wir sparen Überstunden und wissen obendrein, wo ihre Abwehr sitzt.

Ihr Gegenüber stand auf. Auch er hielt sich nicht mit Höflichkeiten auf.

«Ich erwarte Ihre Informationen täglich um acht, um vierzehn und zwanzig Uhr. Im geeigneten Moment werde ich mich der Untersuchung anschließen. Richten Sie mir bei sich ein Büro mit zwei Telefonanschlüssen ein.»

Er grüßte nicht, hob aber auch nicht den Arm. Im schrägen Winkel erkannte Morava auf dem Schreibtisch zwei Frauengesichter in einem kleinen Rahmen. Unglaublich! dachte er. Was immer er heute getan und gesagt hatte, immer war Jitka gegenwärtig. Können auch diese Deutschen nach allem, was sie begangen haben, noch Liebe empfinden?

Als sie drei, dreimal kontrolliert, im Erdgeschoß der Gestapofestung anlangten, mischten sich diesem Gedanken weitere widersprüchliche Überlegungen bei. Ihn fröstelte bei der Vorstellung, daß ihn nur ein paar Stufen von jenem berüchtigten Keller trennten, der auch einige seiner Kollegen verschlungen hatte, darunter Berans frühere rechte Hand; von dort führte der Weg nur ins KZ oder zum Militärschießplatz der Vorstadt Kobylisy.

Morava glaubte gern, daß der Hüne und Eisenfresser, der das alles hier befehligte, nicht im mindesten gescherzt hatte. Liefern sie ihm nicht den Kopf des Mörders, dann nimmt er sich einen der ihren, und Morava hatte keine Zweifel, welchen der drei anwesenden Köpfe man am ehesten entbehren und am besten zur allgemeinen Abschreckung verwenden konnte.

Es hatte Zeiten gegeben, da ihn die Schmach der Nation so sehr kränkte, daß er fähig gewesen wäre, für ihre Freiheit sogar zu sterben. Bis jetzt war er jedoch noch keinem begegnet, der ihm Gelegenheit dazu geboten hätte. In der vergangenen Nacht wurde seine irdische Existenz mehr als von den grellen Magnesiumlichtern zum erstenmal von der Liebe erhellt, und ihn überkam plötzlich eine unheimliche Lust zu leben.

Ist das Glück womöglich eine Falle, in der die ihres Mutes beraubte Seele ängstlich zappelt?

O nein! Im Namen dieses Glücks schwöre ich dir, mein Liebes: Ich kriege ihn!

Sternstunde der Mörder

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