Читать книгу Sternstunde der Mörder - Pavel Kohout - Страница 16

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Erwin Buback schlug sich die Tote vorerst aus dem Kopf. Es war nicht sein Fall. Er entdeckte, daß die versöhnliche Stimmung von heute mittag in seinem Innern bis in die Nacht angehalten hatte. Sie wurde selbst durch die scheußliche Mörderei nicht verdrängt, der er in dieser Ausführung während seiner langen Praxis noch nie begegnet war. Er hatte sie pragmatisch in ein System bloßer, emotionsferner Fakten übertragen, im Grunde nicht anders, so gestand er sich ein, als heute dieser junge Tscheche.

Allein wie immer, hinter einer Palisade betonten Desinteresses an jeglichem Kontakt verschanzt, saß er schon die zweite Stunde in der Ecke des Bartresens im Deutschen Haus Am Graben, nippte an einem mäßigen Cognac verdächtiger Herkunft, ach, wo ist es hin, das süße Frankreich? und hatte zum erstenmal seit dem Augenblick, da er seine beiden verlor, das Bedürfnis, sich Gedanken darüber zu machen, was er später, was er dann tun würde ...

Das unbekannte Dann. Ein unheilverkündendes Dann oder ein Dann der guten Hoffnung? Wann tritt es endlich ein? Welche Gestalt wird es annehmen? Und wie soll er sich darauf einstellen? Soll er mit Gewalt die innere Schranke niederreißen, die ihn seit gewisser Zeit daran hinderte, an eine grundsätzliche Wende des Krieges zugunsten der Achse Berlin–Tokio zu glauben, wie es der Herr Reichsminister für Aufklärung und Propaganda dem Volk in jeder seiner Reden fanatisch einhämmert? Ein Kriminalist pflegt ein Elefantengedächtnis zu haben, wie hätten ihm da all die Goebbelschen Versprechensversprechen der letzten zwei Jahre entfallen können?

Doch übertreibt er seine Skepsis nicht? Ist er nicht womöglich durch seinen Beruf gefährlich deformiert, der ihn zwingt, keiner Behauptung zu trauen?

Warum sollte man nicht probehalber, einfach so ins Unreine, dem Gedanken stattgeben, daß der Führer, der doch die einst glorreichen europäischen Armeen aufs Haupt geschlagen hatte, den Alliierten eine gigantische Falle stellte, zu der auch der vorgetäuschte Rückzug an allen Fronten gehörte? Warum sollte man es sich nicht vorstellen können, daß die Gegner von einer zusammengepreßten Spirale am kritischen Punkt zurückgeschleudert und gleich darauf von einem riesigen Hammer oder Blitz dezimiert werden würden, so daß das Dritte Reich im Bunde mit Japan die Welt am Ende doch beherrschen könnte? Was würde ein Sieg, der die bisherigen Gesellschaftsordnungen zugunsten einer neuen Geschichtsepoche niederreißt, für Oberkriminalrat Buback mit sich bringen?

Sollte das schicksalsträchtige Dann in naher Zukunft eintreten, worauf die schlichte Tatsache hindeutete, daß bald kein weiterer Rückzug mehr möglich sein würde, dann könnte er in die kommende Zeit als Mittvierziger eintreten, der über einen hohen Polizeidienstgrad und ein Spitzengehalt verfügte, doch mutterseelenallein dastand.

Seit jenem Tag, da ihm die fremde Stimme, die durch das Ausrichten ähnlicher Botschaften längst abgestumpft war, mehr der Ordnung halber erklärte, daß die beiden Stützen seines Lebens gleichzeitig zu existieren aufgehört hatten, war auch der wichtigste Teil seines Wesens abgestorben, der zuvor ihnen gehört hatte. Frauen, die ihn noch in Belgien hatten trösten wollen, wie auch alle, die sich später für ihn entflammten, stießen schon beim ersten Versuch auf eine Wand aus Eis. Einige von ihnen verbreiteten rachsüchtig, er sei kein echter Mann. Er ahnte es, widersprach aber nicht. Es war der krampfhafte Versuch, dem Schicksal eine Korrektur abzutrotzen, als ob seine Treue dazu angetan gewesen wäre, die beiden wie durch ein Wunder aus der Asche auferstehen zu lassen, in die sie sich verwandelt hatten.

Die Bombe von heute mittag hatte ihm den Frieden zurückgegeben. Als das Haus zu beben aufhörte, war auch die vielmonatige Erschütterung in ihm zu Ende, und er wurde gewahr, daß Hilde und Heidi inzwischen unmerklich zu einem Teil seines lebenden Ichs geworden waren. Die unterbrochenen Kontakte hatten sich wiedergefunden wie Nerven, bei einer Operation durchtrennt. Er begann wieder zu empfinden.

Falls das Reich wirklich den Krieg gewinnt und er dabei nicht draufgeht, dann wird er den Rest seiner Jahre doch nicht in Trauer verbringen. Die Toten müssen ersetzt werden! Hätte Hilde ihn überlebt, wußte er jetzt, hätte sie wohl genauso empfunden und auch gehandelt ...!

Die Bar füllte sich rasch, der Lärm schwoll an, und vor allem drohte die Gefahr, daß sich einer von Meckerles Schlagetots zu ihm setzte. Diese Kerle hatten den Tick, ihre Angst mit Tiraden vom Endsieg zu betäuben, im Nu würden sie das in Zweifel ziehen, woran er von neuem zu glauben versuchte. Und das, was er von morgen an entschieden vorantreiben wollte.

Sternstunde der Mörder

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