Читать книгу Sternstunde der Mörder - Pavel Kohout - Страница 13

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Hauptkommissar Beran hatte ein hervorragendes Alibi. Bei einem Haus im Vorstadtviertel Pankrác, unter dessen Schuttmassen zumeist Angehörige von Männern verschiedener deutscher Dienststellen begraben lagen, war er auf den Konvoi von Karl Hermann Frank gestoßen, dem ewig zweiten Mann im Protektorat, der dafür alle Ersten gesund und munter überlebte. Der befahl ihm, ihn über die ganze Trasse des Luftangriffs zu begleiten. Als ein Beauftragter von Polizeipräsident Rajner Beran ausfindig gemacht hatte, um ihm Standartenführer Meckerles Befehl zu überbringen, schüttelte Frank nur kurz den Kopf.

Der Bericht der Gestapo, der eine Stunde später eintraf, sorgte jedoch dafür, daß der knochige Mann mit dem steinernen Gesicht zum erstenmal außer sich geriet.

«Ekelhafte Schweinerei!» schrie er den Hauptkommissar an, als habe er in ihm soeben den Schuldigen für den Luftangriff entdeckt, «ich erwarte, daß Sie den Täter unverzüglich dingfest machen lassen! Und ich wünsche Ihren Landsleuten, daß er ein Perverser ist und nicht so ein beschissener Widerständler, der versucht hat, den Prager Deutschen Angst einzujagen. Sonst würde ich rasch dafür sorgen, daß die Tschechen bis zum Jüngsten Tag nicht mehr aus dem Schlottern rauskommen!»

Beran fuhr stracks zum Tatort, fand dort aber nur einen Polizisten vor verschlossenem Haus, der gerade im Aufbruch war. Die Einsatzgruppe habe soeben Schluß gemacht, meldete er, und die Überreste seien in die Pathologie geschafft worden. Was denn für Überreste? Der Wachmann hatte sie selber nicht gesehen, und seine Schilderung aus zweiter Hand mutete wie die Ausgeburt einer kranken Phantasie an. Der Hauptkommissar begab sich also weiter zur Bartolomějská-Gasse und zerbrach sich den Kopf, wen er auf den Fall ansetzen sollte. Seinen besten Mordfachmann hatte man während der Heydrich-Affäre erschossen, Billigung des Attentats! und seine beiden ältesten Experten lagen mit Grippe darnieder. Froh war er, daß gerade der eifrige Morava in der Not eingesprungen war, er hoffte nur, der habe mit seiner mährischen Sturheit kein Malheur heraufbeschworen.

Der Kriminaladjunkt saß ihm dann am Schreibtisch gegenüber und las, da die Fotos noch nicht vorlagen, aus seinem Heft Dinge vor, die den an alles gewöhnten Verstand des Chefs offensichtlich stocken ließen.

«Zu a: Das Opfer, eine Frau, fünfundvierzig Jahre alt, sehr gepflegt und gut erhalten, hat ihrem Mörder offenbar nicht den geringsten Widerstand entgegengesetzt, abgesehen von den weiter unten genannten Verstümmelungen weist sie weder Abschürfungen auf noch unter ihren Fingernägeln Kampfspuren von seiner Haut;

zu b: Der Täter hat ihr mit mehreren breiten Klebestreifen, wie sie jetzt zur Sicherung von Fensterscheiben gegen Druckwellen verwendet werden, nicht nur den Mund, sondern auch die Vagina verklebt; dem ersten ärztlichen Augenschein nach wurde sie nicht vergewaltigt;

zu c: Der Täter, den Hautabschürfungen nach zu schließen, fesselte das Opfer mit Riemen rücklings auf dem Eßtisch, so daß der Kopf über den Rand ragte; unter der Tischplatte schnürte er ihr an den Knöcheln Hände und Füße zusammen;

zu d: Der Täter trennte beide Brüste unmittelbar am Brustkorb ab und legte sie neben dem Opfer auf eine ovale Servierplatte, die er dem verglasten Geschirrschrank entnahm;

zu e: Der Täter schlitzte dem Opfer den Bauch von der Brust bis zur Scheide auf, holte den kompletten Dünndarm heraus, rollte ihn geschickt zu einem Knäuel und legte ihn in eine Suppenschüssel;

zu f: Der Täter schnitt dem Opfer den Hals bis zum Rückenmark durch, durchtrennte ihn aber nicht ganz, so daß der Kopf unter der Leiche hängenblieb und das Blut in ein Messinggefäß lief, aus dem der Täter zuvor einen Blumentopf samt Gummibaum entfernt hatte;

und schließlich zu g: Auch der Arzt konnte bei der ersten Leichenschau nicht ermitteln, in welcher Phase der Folter das Opfer gestorben war. Dessen aufgerissene Augen», fügte Morava, sein Heft zuklappend, hinzu, «brachten uns jedoch zu der gemeinsamen Vermutung, daß dies leider nicht sofort geschah!»

Der Chef reagierte ähnlich wie Morava am Tatort.

«No servus! Der Traum eines wahnsinnigen Metzgers?»

«Beziehungsweise eines Chirurgen ...»

«Und die Deutschen kamen auf die Idee, das wäre ein Werk des Widerstands?»

«Denen genügte, daß der Täter ein Tscheche war.»

Der Hauptkommissar begann, die stenografischen Notizen durchzugehen, die er sich während des Referats gemacht hatte.

«Wird etwas vermißt?»

«Die wertvollen Schmuckstücke an den Händen und am Hals des Opfers sind alle da. Weitere Wertgegenstände und eine große Summe Bargeld wurden in der Handtasche der Frau und in ihrem Luftschutzgepäck an der Wohnungstür sichergestellt.»

«Wie ist der Mörder in die Wohnung gelangt?»

«Sie muß ihm selbst aufgemacht haben. Die Schlüssel steckten von innen im Schloß, beim Weggehen hat er die Tür einen Spalt offengelassen.»

Gespannt sah Morava zu, wie Beran seine gefürchteten Fragezeichen wegstrich. Alle richtig zu beantworten, das war die ganze lange Zeit in diesem Haus das Ziel seines Ehrgeizes gewesen. Bis jetzt hatte er es nie geschafft, heute fühlte er sich diesem Ziel am nächsten. Er nahm sich vor: Wenn es ihm gelingt, wird er sich heute auch Jitka offenbaren, bevor irgendein anderer mit ihr anbandelt!

«Wird das Haus nicht abgeschlossen?»

«Doch. Jeder Mieter hat seinen eigenen Schlüssel.»

«Wer hat den Täter hereinlassen können?»

«Wie es aussieht, das Opfer selbst.»

«Was spricht dafür?»

«Der Hausmeister hat sie von seiner Wohnung aus gesehen, als sie heimkam, und hat den Lift gehört. Bald darauf gingen die Sirenen los, und er wollte wie immer kontrollieren, ob alle im Luftschutzkeller waren. Da fielen schon die Bomben, in seiner Panik ist er auf das Moldauufer hinausgerannt, ohne Schlüssel, wie er später feststellte. Also hat sie die Haustür nicht abgeschlossen, und das hat sich der Mörder zunutze gemacht.»

«Es sei denn, er hat in der Wohnung auf sie gewartet.»

Morava erschrak.

«Wie hätte er das gekonnt ...?»

«Können wir ausschließen, daß er vor ihr ins Haus gelangt ist? Etwa als Lieferant, Bote oder was weiß ich? Läßt sich ausschließen, daß er die Schlüssel von ihr hatte?»

Morava begriff, daß er seine Zielmarken heute wieder nicht erreichen würde.

«Nein ...»

«So können wir eigentlich nicht bestimmen, wie lange er für sein Schlachten gebraucht hat.»

Schlachten! Der Chef hatte das richtige Wort gefunden. Und gleichzeitig prüfte er ihn.

«Doch, das können wir», Morava gab nicht auf, «schließlich hat er nicht ohne sie anfangen können!»

Beran schmunzelte beifällig, und Moravas Selbstbewußtsein stieg, weil er wenigstens nicht auf die Fangfrage hereingefallen war. Sein Lehrer entzifferte weiter das eigene Krickelkrakel.

«Der Hausmeister behauptet, er hat mit seinem Rundgang eine Viertelstunde nach dem Angriff begonnen.»

«Eine halbe, würde ich sagen.»

«Warum?»

«Ich habe seinen Weg zusammen mit ihm abgeschritten. Unter der Brücke hat er noch eine Zeit auf weitere Bomben gewartet. Er muß dabei ständig in Panik gewesen sein.»

«Auch eine halbe Stunde ist wenig für eine so komplizierte Vivisektion. Daraus lassen sich mancherlei Schlüsse ziehen.»

«Die Sache ist sonnenklar», bot Morava aufgeregt seine Theorie an, «er war von Anfang an darauf vorbereitet, er wußte genau, was er tun wollte und wie. Wie ein fachkundiger Handwerker hatte er alles dabei. Ich denke, wir werden kaum fremde Fingerabdrücke finden. Und erstaunlich geschickt muß er gewesen sein, so daß der Hausmeister ihm nach dieser Metzelei nichts angemerkt hat.»

«Was dachte er, als er ihm begegnete?»

«Draußen herrschte ein Tohuwabohu, die Gas- und die Elektromänner gingen die Häuser ab, um Schäden zu ermitteln.»

«Und Sie schließen aus», Berans Stimme verriet Mißtrauen, «daß es ein Phantom sein könnte?»

Morava war empört.

«Sie meinen, der Hausmeister hat sie selbst ausgeweidet? Herr Kommissar, da müßten Sie ihn kennen! Als er die Tür oben offen fand und die Tat entdeckte, da ging ihm auf, daß er soeben dem Mörder begegnet war. Er war sich sicher, der kommt zurück und bringt auch ihn um, und hat sich vor Angst in die Hosen gemacht.»

«Morava, übertreiben Sie nicht.»

Der schilderte daraufhin das unwahrscheinliche Bild des Zeugen, der sich während der Befragung seine langen Unterhosen wusch.

«Bei dem ist alles total weg. Selbst unser Doktor hat sich vergebens mit ihm abgemüht. Der Mann behauptet, der Volltreffer hätte gleich das Nebenhaus erwischt, und begann sich schon einzureden, sie wäre dabei draufgegangen. Den Täter hat er vor Angst aus seinem Gehirn gebrannt, er weiß von ihm nichts.»

«Überhaupt nichts?»

Morava war auf der Hut, weil Berans Blick erkennen ließ, daß ihm etwas Wichtiges entgangen war. Was wohl??

«Nur, daß es ein Mann war ...»

«Und woher weiß er dann, daß er ein Tscheche war?»

Ach, ich, ach, dachte er mutlos, er hätte doch lieber zur Post gehen sollen!

«Ich weiß nicht ...», hauchte er gedemütigt.

«Wer von den Deutschen ist damit rausgerückt? Der Standartenführer?»

«Nein, ihr Polizeimann. Der hat natürlich bluffen können!»

«Wo ist der Hausmeister?»

«Wahrscheinlich zu Hause ...»

«Sagen Sie Jitka, sie soll uns von Tetera einen Wagen bereitstellen lassen!»

Gott sei für das «Uns» gedankt, tröstete er sich, als er das Büro verließ, er hätte mich gleich zu irgendeiner Speichereinbruchslappalie abschieben können. Das Mädchen lächelte ihn wie immer wehmütig an, und sein Herz begann zu rasen. Hat sie etwa Mitleid mit ihm, fragte er sich, pflegt Beran ihr zu sagen, was ich für ein Trottel bin? Schon wieder wußte er, daß er keine Chance hatte, bei ihm so wenig wie bei ihr.

Sternstunde der Mörder

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