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ein toter Karpfen und tatsächlich ein geschlachtetes Huhn.

– Hinaus! rief Doktor Tachecí, als er wieder auf der Schwelle des Wohnzimmers erschien. Aus Haaren, Hemd und Hose tropfte Wasser, ansonsten sah er erstaunlich nüchtern aus. Lízinka saß artig auf dem Stuhl ihrer Mutter, die das Hochzeitskaffeeservice auf den Tisch gestellt hatte und nun den Marmorkuchen anschnitt.

– Um Gottes willen, Emil, sagte Frau Tachecí entsetzt, wieso ... Was hast du da in der Hand?

– Ein Huhn, sagte ihr Mann, schweig! Sie sind Professor? fragte er Wolf.

– Allerdings, Herr Doktor, sagte Wolf.

– Was für ein Professor? fragte Doktor Tachecí.

– Ich bin der Professor der Exekutionswissenschaft Wolf, und dies ist der Dozent der Exekutionswissenschaft Schimssa.

– Ihr seid Henker! sagte Doktor Tachecí zürnend.

– Unsere Diplome, Herr Doktor, sagte Professor Wolf würdevoll, sind ebenso gültig wie das Ihre.

– Ihr seid Henker! rief Doktor Tachecí, und kommt von der Arbeit!

– Emil, besinn dich! rief seine Frau.

– Sei still! schrie ihr Mann. Und Sie wagen mir vorzuschlagen, meine Tochter soll Menschen morden?

Professor Wolf erhob sich. Jetzt ähnelte er weder einem Landarzt noch einem romantischen Dichter. Der Farbe seines Sakkos entströmte Blutgeruch. Er drohte in der nächsten Sekunde zu explodieren, und das Staatswappen verlieh seinem Zorn übermenschliches Format.

Doktor Tachecí erschrak jedoch nicht. Er war im kritischen Moment endlich zum Vater herangereift, und die Verteidigung des eigenen Nachwuchses flößt größere Kräfte ein als das Staatsinteresse. Obwohl er sich noch nie mit jemandem geschlagen hatte, war er bereit, auf den Widersacher mit dem toten Huhn einzudreschen.

Wolf war ein zu guter Psychologe, um dies nicht zu merken. Er besann sich anders und strebte zum Bücherschrank.

– Sie gestatten? fragte er kurz; und ohne eine Antwort abzuwarten, nahm er das zweite von acht Büchern heraus, deren Rücken ein weithin sichtbares Ganzes bildeten.

– Ich könnte eine Reihe von Koryphäen meines Berufes zitieren, sagte er dann, aber ich beschränke mich auf diejenigen, die Sie anerkennen, Herr Doktor. Alexander Dumas würden Sie gewiß nicht beschuldigen, es auf die Seele Ihrer Tochter abgesehen zu haben. Überzeugen wir uns also, was er auf Seite 381 des zweiten Teils der ›Drei Musketiere‹ sagt: »Als sie das Flußufer erreichten, näherte sich der Henker Milady und fesselte sie an Händen und Füßen. Da brach sie das Schweigen, indem sie ausrief: ›Ihr seid niederträchtige, gemeine Mörder, es bedarf eurer zehn, um eine einzige Frau zu überwältigen!‹ – ›Sie sind keine Frau‹, sagte Athos eisig, ›Sie sind nicht einmal ein Mensch, sondern ein Dämon, der Hölle entkommen, den wir der Hölle wieder zurückgeben!‹

– ›Ach, edle Herren‹, sagte Milady, ›bedenkt, daß derjenige von euch, welcher mir ein einziges Haar krümmt, zum Mörder wird!‹ – ›Der Henker kann töten, ohne deshalb ein Mörder zu sein‹, sprach der Mann im roten Mantel, wobei er an sein breites Schwert schlug. ›Das ist der letzte Richter, das ist –

Professor Wolf klappte das Buch zu und stellte es an seinen Platz zurück,

– alles!‹« Sie sind aber Theoretiker, Herr Doktor, und können einwenden, die Romangestalt bringe lediglich die Meinung des Verfassers zum Ausdruck. Streifen Sie einmal alle Emotionen ab und folgen Sie mir aufs Gebiet der Wissenschaft. Sie haben den Ausdruck ›Henker‹ gebraucht, um Ihrer Verachtung freien Lauf zu lassen. Und doch sollte gerade dieser altüberkommene Ausdruck gerade Ihnen ein Beweis sein, daß der Henker als Sendbote längst vergangener Kulturen in unsere Geschichte eintritt. Die neuzeitliche Genese der Funktion erhellt wohl am besten aus der Schrift ›Zum Ursprung von Richtern und Scharfrichtern‹ von Rudolf Rauscher, Pierwsza drukarnia Lwów, 1930, wo gesagt wird, ich zitiere: »Ihr Ursprung fällt bei uns ins 13. Jahrhundert. Sie waren accusatores publici, von König Przemysl Ottokar II. aus alten Adelsgeschlechtern bestellt, die nach und nach auch zu Richtern und Scharfrichtern wurden.« Gewiß ist es Ihnen nicht entgangen, Herr Doktor, daß sie in dreieiniger Gestalt die gesamte Justiz darstellen, und zwar um hundert Jahre früher, als aus der ersten juristischen Hochschule der erste Doktor der Rechte hervorging. Nichtsdestoweniger bleibt für Sie wie für die verbrecherische Milady der Henker oder amtlich »Scharfrichter« oder neuerdings »Vollstrecker« nichts als ein Mörder. Welch gegenteilige Haltung vertritt dagegen Ihr Kollege Joseph de Maistre, wenn er in seinen ›Soirées de Saint Pétersbourg ou Entretiens sur le gouvernement temporel de la Providence‹ schon 1821 die berühmte Studie über den Henker verfaßt, ich zitiere zumindest ein Bruchstück: »Die Resultante dieses schrecklichen Prärogativs« – ein Prärogativ ist –

erläuterte Professor Wolf, an Lízinka gewandt,

– jedes Vorrecht eines Herrschers, das die Mitentscheidung des Volkes ausschließt, zum Beispiel bei der Bestrafung eines Schuldigen, seine Resultante ist also, ich zitiere weiter: »... die unerläßliche Existenz eines Menschen, dazu bestimmt, ein Verbrechen durch Strafen zu ahnden, welche die menschliche Gerechtigkeit festgesetzt hat; und dieser Mensch tritt tatsächlich überall auf, ohne daß man zu erklären vermöchte, wie; denn der Verstand findet in der Natur des Menschen kein Motiv, das imstande wäre, ihn zur Wahl dieses Berufes zu bewegen. Was ist das für ein unerklärliches Wesen, das jedem angenehmen, einträglichen, ehrbaren, ja ehrlichen Beruf einen solchen vorzieht, der seinesgleichen foltert und zu Tode bringt? Sind dieser Kopf, dieses Herz so beschaffen wie die unserigen? Enthalten sie nicht etwas Eigentümliches und unserer Natur Fremdes? Was mich betrifft, so zweifle ich nicht daran. Es ist äußerlich so beschaffen wie wir; wird so geboren wie wir; aber es ist ein Ausnahmewesen, für das es in der Menschenfamilie eine besondere Bestimmung geben muß. Es ist erschaffen wie –

fuhr Professor Wolf fort,

– die Welt«, Ende des Zitats. Ich entschuldige mich für geringfügige Ungenauigkeiten, die im übrigen höchstens in der Syntax zu finden sein werden, denn das war mein Habilitationsthema, und ich müßte es bald zur Kenntnis Ihrer –

sagte Professor Wolf, an Frau Tachecí gewandt,

– Lízinka bringen. Eine besonders schöne Passage schildert die Beziehung des Scharfrichters zu seiner Arbeit, ich zitiere: »Er trifft auf einem öffentlichen Platz ein, den eine wimmelnde Menge bedeckt. Man bringt ihm einen Giftmischer, einen Vatermörder oder einen Frevler: Er ergreift ihn, streckt ihn, bindet ihn an ein waagerechtes Kreuz, hebt den Arm: Da entsteht eine entsetzliche Stille, man hört nichts als das Knirschen der Knochen, die unter der Barre splittern, und das Wehklagen des Opfers ... Es ist fertig: Sein Herz hämmert, jedoch vor Freude; er applaudiert sich, er sagt sich insgeheim: Keiner rädert besser als –

fuhr Professor Wolf fort,

– ich.« Nach dieser suggestiven Schilderung komponiert de Maistre die weltbekannte Apotheose, die zum Lebenscredo eines jeden Henkers werden sollte, und die ich deshalb bei jeder Prüfung –

sagte Professor Wolf, an Lízinka gewandt,

– abfragen werde. Ich zitiere: »Alle Größe, alle Macht, aller Gehorsam der Welt beruht auf dem Scharfrichter; er ist der Schrecken und das Band der menschlichen Gesellschaft. Man entferne diesen unbegreiflichen Faktor aus der Welt; im selben Moment verwandelt Ordnung sich in Chaos, Throne stürzen, die Gesellschaft verschwindet. Gott, der Schöpfer der Souveränität, ist auch der Schöpfer der Strafe: Er hat unsere Erde auf diese beiden Pole gegründet und läßt die Welt um sie kreisen.« Sie, Herr Doktor –

sagte Professor Wolf ohne jeden Anflug von Vorwurf oder Hohn, an Doktor Tachecí gewandt,

– sind sicherlich, wie es sich für Sie geziemt, ein Anhänger der These Jean Jacques Rousseaus, daß der Mensch von Natur aus gut ist, aber von der Gesellschaft verdorben wird, auf der der gesamte sogenannte europäische Humanismus fußt. Nicht zufällig erschien bereits 1764, also nur zwei Jahre nach der Erstausgabe des ›Contrat social‹ von Rousseau, in Monaco das berühmt-berüchtigte Pamphlet des Cesare Beccaria, ›Dei delitti e delle pene‹, was soviel heißt wie ›Über Delikte und Strafen‹ – übersetzte Professor Wolf, an Frau Tachecí gewandt,

– das mit Hilfe einer gewaltsam logischen Konstruktion nachweist, daß das menschliche Leben nicht zu den Gütern gehört, über die die Gesellschaft verfügen darf, und als erstes die Abschaffung der Todesstrafe vorschlägt. Jedoch, wie Goethe sagt, »grau, teurer Freund, ist alle Theorie, und grün des Lebens –

zitierte Professor Wolf, an Lízinka gewandt,

– goldner Baum«! La Révolution, die Rousseaus Theorie von einer neuen Gesellschaft verwirklicht hat, kam nach und nach ohne Marat, ohne Danton und Robespierre aus, ja auch ohne Rousseau, nicht jedoch ohne den Mann, der eine jahrhundertealte Gesellschaft in drei Jahren praktisch ausgerottet hat, und das war der Citoyen Charles Sanson, in der Revolutionszeit Henker von Paris. Er ist der Held der bekannten ›Mémoires pour servir à l’histoire de la Révolution Française‹, die er sogar als Autor signierte, obwohl sich später herausgestellt hat, daß er sein Aushängeschild einem literarischen Anfänger mit dem nichtssagenden Namen Honoré –

fuhr der Professor fort,

– de Balzac geliehen hatte. Mit ihm beginnt eine prachtvolle Porträtgalerie von Scharfrichtern, die nicht nur der Schotte Walter Scott um Meisterwerke erweitert hat, sondern auch der Tscheche Karel Hynek Mácha, dessen Romanfragment ›Der Henker‹ den Helden sogar als den letzten Sproß des Königsgeschlechts der Przemysliden präsentiert. »Er war groß, schlank«, schreibt Mácha, »das schwarze Kraushaar, von keiner Kappe gebändigt, bedeckte die ganze Stirn bis zu den dichten Brauen, unter denen zwei flammende Augen aus der Tiefe hervorfunkelten; das übrige Gesicht war von schwarzem Barte bewachsen. Über der schwarzen Gewandung wehte ein roter Mantel, und quer über seinen Rücken hing ein breites –

zitierte Professor Wolf, und Frau Tachecí schien es, als beschreibe er seine eigene Fotografie aus der Studentenzeit,

– Schwert mit langem Heft.« Übrigens glaube ich, daß Karel Krejčí in seiner Studie ›Das Symbol von Henker und Verurteiltem in Máchas Werk‹ irrt, wenn er die Zusammenziehung des Typs König mit dem Typ Henker als Zeichen einer zerrütteten Gesellschaftsordnung begreift. Im Gegenteil: Im zweischneidigen Oxymoron ihrer gegenseitigen Anrede »König Henker!« und »Henker König!« klingt abermals die de Maistresche Polarität beider fundamentalen gesellschaftlichen Funktionen an. – Dies ist die Betrachtungsweise verantwortungsbewußter Künstler, die in den genialen Werken von Franz Kafka und Pär Fabian Lagerkvist kulminiert, der völlig zu Recht mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Dies ist das wirkliche Bild des Henkers, und falls es einzelne gegeben haben sollte, die seiner nicht würdig waren, so gibt Ihnen das als Wissenschaftler nicht das Recht, alles geringzuschätzen, was Tausende von ehrlichen Henkern generationenlang für Vaterland und Menschheit geleistet haben. Denn Hand aufs Herz –

fuhr Professor Wolf fort, an Doktor Tachecí gewandt, und in seiner Stimme schwang zum erstenmal feine Ironie mit,

– nicht jeder Absolvent der philosophischen Fakultät wird ein Schopenhauer, nicht wahr, Herr Doktor, und so mancher von ihnen endete rechtens durch die Hand des Henkers, den wiederum jedes halbwegs seriöse Konversationslexikon hervorhebt. Stellvertretend für alle zitiere ich zumindest Meyers Neues Lexikon, Leipzig 1964, Stichwort ›Scharfrichter‹: »Person, die berufsmäßig die vom Gericht ausgesprochene Todesstrafe an dem Delinquenten in der gesetzlich vorgeschriebenen Form vollstreckt.« Das und nichts anderes sollte auch Ihre Tochter tun. Es ging also nicht darum –

fuhr Professor Wolf fort, an Doktor Tachecí gewandt, und in seiner Stimme schwang zum erstenmal ein leichter Vorwurf mit,

– daß sie Menschen mordet, sondern daß sich ihr das wohl ausgefeilteste und unbedingt populärste Gebiet menschlicher Betätigung erschließt, das unermeßlich älter ist als Medizin, Rechtswissenschaft, von der Philosophie ganz zu schweigen. Ich, hier der Kollege –

fuhr Professor Wolf fort, an Dozent Schimssa gewandt,

– und die anderen Pädagogen hatten die Absicht, ihr das reiche Wissen zu übermitteln, das, wie schon meine kleine Improvisation angedeutet hat, zu den Grundlagen der Zivilisation gehört. Wir wollten ihr auch unsere reichen Erfahrungen aus der Praxis übermitteln, damit das ›capital punishment‹, wie die Engländer so treffend sagen, die Haupt-Strafe, nicht zur Erwerbstätigkeit von Dilettanten wird, sondern wieder zur Domäne der besten Söhne und jetzt auch der besten Töchter ihrer Zeit. Falls Sie, Herr Doktor –

fuhr Professor Wolf fort, an Doktor Tachecí gewandt,

– ein echter Humanist sind, dürfen Sie nicht die Augen vor der Tatsache verschließen, daß bei jeder größeren Aktion, sei es nun eine lokale Revolution oder ein Weltkrieg, eine Menge Leute von Personen hingerichtet werden, für die Hängen einfach Hängen bedeutet. Es ist jedoch, glauben Sie mir, ein ziemlich großer Unterschied, ob der Strang Ihnen perfekt das Genick bricht oder Sie eine Viertelstunde langsam erwürgt, bis Sie sich zu Tode zappeln. Heute zum Beispiel hat Kollege Schimssa so geschickt gearbeitet, daß der Amtsarzt den Tod des ihm Anvertrauten schon nach achtundzwanzig Sekunden feststellen konnte.

– Sie waren um drei Sekunden besser! sagte Dozent Schimssa bewundernd.

– Übrigens steht nirgends –

fuhr Professor Wolf rasch und mit der Noblesse eines von Eitelkeit freien Mannes fort,

– geschrieben, daß sie hinrichten muß. Vielleicht widmet sie sich nach dem Abitur der Theorie. Doch selbst wenn sie aktive Henkerin werden sollte, kann niemand von ihr verlangen, daß sie jemanden etwa mit Zangen reißt oder aufs Rad flicht. Sie wird ausschließlich Strafen vollstrecken, die heute in der zivilisierten Welt gesetzlich verankert sind. Läßt man das Erschießen außer acht, das aus alter Tradition den Soldaten vorbehalten ist, so sind dies in Europa alles in allem die Garrotte, die Guillotine und der Strang. Amerika ist etwaigen Henkerinnen schon entgegengekommen, als es begann, durch Elektrizität und Gas hinzurichten, denn beides ist den Frauen –

fuhr Professor Wolf fort, an Frau Tachecí gewandt,

– aus jeder modernen Küche vertraut. Es kann behauptet werden, daß der Scharfrichter heutzutage seine Arbeitskleidung viel seltener in die Reinigung gibt als ein Arbeiter den Overall. Und das ist alles –

fuhr Professor Wolf fort, an Doktor Tachecí gewandt,

– was ich zu Ihrer Bemerkung anmerken wollte, und nun –

sagte er, an Dozent Schimssa gewandt und mit einem Blick auf die Uhr, die fünf Minuten vor fünf anzeigte,

– gehen wir. Nein, nein, gnädige Frau –

fügte er noch hinzu, als er sah, wie Lízinkas Mutter Atem holte, um ihn vielleicht weniger fundiert, aber um so temperamentvoller zu unterstützen,

– der Herr Gemahl hat unbestritten das Recht, meine Argumente in Ruhe zu überdenken und sie entweder so leicht zu finden, daß eine wissenschaftliche Kontroverse sich erübrigt, oder aber so gewichtig, daß er um die Aufnahme Ihres Töchterchens schriftlich ansucht. Denn wir, Herr Doktor, haben wiederum unbestritten das Recht, aus der Flut von Bewerbern diejenigen auszuwählen, denen es auch an gutem Hinterland nicht mangelt. Zahlreiche verdiente Scharfrichter würden wer weiß was dafür geben, damit wir ihre Sprößlinge aufnehmen. Wenn wir jedoch dem überholten Brauch des Familienbetriebs ein Ende bereiten und auch den Kindern von Sprachwissenschaftlern eine Chance geben wollen, dann müssen wir die Gewißheit haben, daß wir dieser Konzeption zu einem vollen Erfolg verhelfen können. Wir dürfen nicht riskieren, daß ausgerechnet die erste Henkerin der Welt unter dem Unverständnis des eigenen Vaters leidet. Wenn sie auch noch von solchen Problemen belastet sein sollte, müßte sich ja jeder Delinquent bestens bei ihr bedanken. Gestatten Sie also, daß wir uns jetzt –

Professor Wolf küßte Frau Tachecí die Hand und lächelte Lízinka aufmunternd zu,

– verabschieden.

Dann bot er Doktor Tachecí freundschaftlich die Hand.

– Oh, Verzeihung, sagte er, nahm ihm das tote Huhn aus der Rechten und reichte es Frau Tachecí.

– Nach so viel Spannung, sagte er, wird die Familie ein ausgiebiges Abendessen sicher nicht verschmähen. Die Vorspeise finden Sie in der Badewanne.

– Sie werden sich doch, sagte Frau Tachecí mit belegter Stimme, nach alledem unseretwegen nicht in Unkosten stürzen!

– Aber was für Unkosten denn, gnädige Frau! sagte Professor Wolf, es gibt da den schönen alten Brauch, daß Todeskandidaten ihr letztes Essen, die sogenannte Henkersmahlzeit, beim Scharfrichter bestellen. Der hat dann Anspruch auf alles, was übrigbleibt.

– Und ihre Augen sind immer größer als der Magen, sagte Dozent Schimssa fröhlich, weil es gratis ist, lassen sie ganze Berge auffahren, und dann vergeht ihnen der Appetit. Darf ich unsere Sachen aus dem Bad holen?

Doktor Tachecí schaute entkräftet zu, wie seine Frau Professor Wolf in den Raglanmantel half. Dozent Schimssa zog sich dankend allein an. Beide Gäste gingen über die Taktlosigkeit des Gastgebers mit einem verständnisvollen Lächeln hinweg. Der Professor verbeugte sich formvollendet.

– Wir sind nicht gewöhnt, auf Wiedersehen zu sagen, sagte er, aber in diesem Falle können wir nicht umhin, wenigstens ›auf gute Zusammenarbeit‹ zu sagen.

– Entschuldigen Sie, sagte Frau Tachecí, mein Mann hat es nicht so gemeint.

Lízinka knickste artig.

– Ach, sagte Dozent Schimssa, das Gepäck in der Hand, einen Moment!

Er setzte die Milchkanne ab, kniete sich vor den Koffer und öffnete ihn. Zwischen Haken, Hämmern und Riemen lag ein eingerolltes Hanfseil. Er schnitt mit seinem Mehrzweckmesser etwa dreißig Zentimeter ab und überreichte sie dem Mädchen wie eine Blume.

– Als Glücksbringer, Fräulein, sagte er galant, es ist noch warm!

Seine Geste war so suggestiv, daß Lízinka fast daran geschnuppert hätte.

Dann legten die Gäste den weißen Handschuh an den schwarzen Hut und gingen.

Bevor ihre Schritte im Treppenhaus verhallten, so daß sie noch Geräusche aus der Wohnung hören mußten, begab Frau Tachecí sich mitsamt dem Huhn ins Schlafzimmer, schlug die Tür zu und drehte den Schlüssel herum. Doktor Tachecí blieb mit der Tochter allein.

Nun hatte er sie völlig in der Sphäre seines intellektuellen Einflusses, aber die Kraft, die ihn vor kurzem noch befähigt hatte, zum erstenmal im Leben eventuell auch physisch zu kämpfen, hatte sich restlos verflüchtigt. Er raffte sich nur zu einem auf: Er faßte Lízinka am Kinn, und ihre Kinderaugen blickten zu ihm empor.

– Lízinka, flüsterte er innig, wir zwei waren immer Verbündete und haben einander nie belogen. Sag mir jetzt, aber aufrichtig, könntest du wirklich Menschen hinrichten?

Lízinka zog aufrichtig die schmächtigen Schultern hoch.

– Lízinka, sagte Doktor Tachecí bestürzt, möchtest denn du, meine Tochter, wirklich lieber Henkerin werden als, sagen wir eine anständige Bäckerin oder Gärtnerin?

Lízinka senkte aufrichtig

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