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er!

– Schon möglich, ja sogar sehr wahrscheinlich, sagte trocken der Vorsitzende der Berufsberatungskommission, und es war vielleicht sogar jenes Hausboot, weswegen mein Vorgänger dieses Amt fristlos aufgeben mußte.

Für Frau Tachecí war dies der letzte Beweis, daß Lízinkas Sache unter keinem guten Stern stand. Schon am Dienstag nach Ostern war sie von der Benachrichtigung erschüttert worden, daß sie ordnungshalber erst am Donnerstag vorsprechen konnten. Oskar sumpfte in den Bergen herum, ihrem Mann konnte sie mit so etwas nicht kommen, sie hatte sich also aufs Bett gelegt und Erschöpfung vorgetäuscht. Dies hatte bei ihrem Temperament so viel Beherrschung erfordert, daß sie am Mittwoch einem Zusammenbruch nahe war. Nur die Liebe zu Lízinka und das Wissen, daß Doktor Tachecí sich im Amtsverkehr wie ein überführter Verbrecher benahm, hatten sie am Donnerstag abermals in den tristen Korridor vor den Raum getrieben, aus dem gedämpft das Weinen erfolgloser Schüler und das Geschrei gekränkter Väter drangen.

Erfahrung und Gewohnheit hatten sie gezwungen, sorgsam zu überlegen, wie sie und Lízinka sich am passendsten kleiden sollten. Das gesteckte Ziel riet zur Kaschierung sämtlicher Vorzüge, wie stets, wenn man sich mehr aufs Bitten denn aufs Fordern verlegen muß, und unbedingt immer dann, wenn man es mit einer Frau zu tun bekommt. Partner sollte jedoch ein Mann sein, überdies der Freund eines Mannes, der, wie sie wußte, weibliche Schönheit krankhaft vergötterte. Deshalb hatte sie auf die stärkste Karte gesetzt.

Sie trug ein enganliegendes, buntgemustertes Modellkleid aus Frankreich, das ihre schmale Taille, den vollen Busen und den schlanken Hals betonte. Für Línzinka hatte sie ein weißes, ärmelloses Minikleid gewählt, in einem Farbton, wie er dem Schnee vor Sonnenaufgang eignet.

Jetzt stellte sie bestürzt fest, daß ein Nonnengewand eher angebracht gewesen wäre.

Vorsitzender der Kommission war gegenwärtig ein Mann, der sich seiner undankbaren Funktion über Jahre hinweg angepaßt hatte wie ein mittelalterlicher Krieger der Rüstung. Sein kinnbärtiger Kopf, der auf dem robusten Körper saß, als bedürfe er keines Halses, erhöhte den Eindruck von Unverwundbarkeit. Die weißen Finger verrieten Frau Tachecí den Nichtraucher, die leicht miefige Kleidung den Junggesellen. Sie erkannte, daß er keinerlei Leidenschaften frönte, kein Schmiergeld brauchte und Frauen fürchtete.

Außer ihm war eine Sekretärin da, eine ältere, knochige Person, die sie beide scharf musterte, angewidert die Augen abwandte und auf ihrem Notizblock eine Reihe von Kreuzchen zu kritzeln begann. All dies sagte Frau Tachecí, daß sie sich hier für ihr gescheitertes Leben schadlos hielt, indem sie sich am Scheitern anderer weidete, zu dem sie kräftig beitrug.

Der Vorsitzende blickte nicht einmal auf. Er hatte schon allzu viele niedergeschlagene Gesichter gesehen, um sie unterscheiden zu können; bei dieser Massenabfertigung konnte er sich den Luxus der Anteilnahme gar nicht leisten. Nachdem er seinen Vorgänger mit dem einen Satz zu Grabe getragen hatte, deutete er mit dem Handrücken auf freie Stühle, schlug Lízinkas Akte auf und schüttelte ablehnend den Kopf.

– Konservatorium natürlich ... Gymnasium, natürlich, natürlich –

sagte er fast angeekelt,

– einfach um jeden Preis Abitur, ob es dazu reicht oder nicht. Also, kurzum, liebe Frau: Von den Schulen mit Reifeabschluß bleibt hier nur die höhere Musikschule für sichtbehinderte Jugendliche, aber davon kann bei ihr, wie ich dem ärztlichen Gutachten entnehme, leider keine Rede sein. Dem Abitur können Sie also adieu sagen, liebe Frau, und Gott danken. Wenn Sie und Ihr Mann –

fuhr der Vorsitzende der Kommission fort,

– sie wirklich lieben, dann trachten Sie danach, ihr eine Fachausbildung zu sichern, solange noch Zeit ist. Handwerk hat nach wie vor goldenen Boden, und aufs Konservatorium zu gelangen, ist einfach ein Kinderspiel, gemessen daran, auf eine Fachschule für Stewardessen oder Friseusen zu kommen. Schlagen Sie sich das also einfach aus dem Kopf und seien Sie froh! Warum soll ein so junges und gesundes Mädchen –

fuhr der Vorsitzende der Kommission fort, ohne den Blick zu heben,

– sein Leben mit Fönwellen verpulvern oder in der Luft verpuffen lassen, wenn ihr zum Beispiel so eine Fachlehranstalt für Gartenbau das ganze Jahr über festen Boden unter den Füßen und frische Luft bietet. Also?

– Aber sie ... ist kälteempfindlich ... sagte Frau Tachecí.

Der Überraschungsangriff hatte bewirkt, daß ihr nichts Besseres einfiel.

– Natürlich, sagte der Vorsitzende herablassend. Aber was tut’s! Es gibt interessantere Berufe, als bei Regen und Matsch Kohlrabi setzen und häufeln; wenn sie einfach wärmefreudig ist, dann weiß ich nichts Besseres als eine Fachlehranstalt für das Bäckereiwesen. Also?

– Sie verträgt auch keine Wärme ... sagte Frau Tachecí zutiefst deprimiert.

– Natürlich, natürlich, sagte der Vorsitzende befriedigt, weil er sich dem Ziel nahe wähnte, na, macht auch nichts. Warum soll sie winters wie sommers für ein paar Kröten um drei Uhr früh aufstehen, zumal ihr so eine landwirtschaftliche Lehranstalt mit dem Zweig Großmästereien automatisierte Arbeit bei Vollklimatisierung bietet. Und, wird sie nach Schulabschluß direkt auf dem Land eingesetzt, sogar Haus und Mitgift, was einfach praktisch auf einen Bräutigam hinausläuft. Also abgemacht?

Mit geübter Bewegung hielt er der Sekretärin Daumen und Zeigefinger hin, und sie legte in die Lücke dazwischen genauso mechanisch ein Formular.

– Großer Gott, sagte Frau Tachecí, einer Ohnmacht nahe, großer Gott, kann man sie denn zu Schweinen schicken?

Hätte sie geschrien, gedroht oder geweint, er hätte es gar nicht wahrgenommen, doch da sie mit sonderbar erstickter Stimme flüsterte, als sei der angerufene Allmächtige ebenfalls anwesend, hob der Vorsitzende unwillkürlich den Kopf – und erblickte Lízinka.

Lízinka hatte die ganze Zeit den Bleistift der Bürokraft beobachtet. Diese machte jedenfalls, wenn der Vorsitzende »natürlich« sagte, einen kleinen Strich. Wenn er »einfach« sagte, einen Punkt. Wenn sie fünf Striche oder Punkte gemacht hatte, verband sie sie durch eine Gerade und vollendete ein weiteres Kreuz. Nun schwebte die Bleistiftspitze in der Luft, und Lízinka wartete, wann sie aufsetzen würde.

Aber der Vorsitzende der Kommission schaute auf ihre schmächtigen Ellbogen und Knie, auf ihr noch kindliches und gleichsam durchsichtiges Gesichtchen, das in der Flut langer goldener Haare schier unterging, und da spürte er, wie ihn ein jäher Ansturm von Empfindungen und Erinnerungen aus dieser kargen Amtsstube fegte, seiner etablierten Kleider und Gewohnheiten entledigte und gegen den Strom von Funktionen und Sitzungen in die Gefilde naiver Unschuld trieb, und plötzlich hörte er auch die Stimme, die er längst verhallt geglaubt hatte: Die Madonna, sagte seine Mutter wie damals auf dem Wallfahrtshügel, den sie mit der Prozession eben erreicht hatten, knie nieder, Bub, das ist die heilige Jungfrau!

Er ließ die Hand mit dem Anmeldebogen sinken, obwohl er die vorgeschriebene Quote hätte erfüllen müssen, und wandte sich an die Sekretärin.

– Geben Sie mir, sagte er, den Ordner PST!

Die knochige Person riß den Blick von den Kreuzchen los und sah Lízinka noch einmal an, diesmal verdattert. Sie kannte ihren Chef und begriff nicht, was diese ungewöhnliche Wendung herbeigeführt haben mochte. Unwillig legte sie den Bleistift aus der Hand, ging zum Safe und reichte dem Vorsitzenden die Mappe mit der Aufschrift Papiere streng geheimer natur. Sie enthielt eine Liste spezieller Fachgebiete, die einige zentrale Institutionen ausgeschrieben hatten. Neben jeder Eintragung stand klipp, aber klar definiert, was vom Bewerber erwartet wurde.

Als Ehrenmann, der seinem Gewissen nur einmal untreu geworden war, als er seinen Gott verleugnen mußte, um dem Staat dienen zu dürfen, gedachte der Vorsitzende auch jetzt nichts Staatsschädigendes zu tun. Beim Durchgehen der Fachgebiete, die sowohl für Knaben als auch für Mädchen ausgeschrieben waren, schied er redlich alles aus, für die es Lízinka an Voraussetzungen, Bildung oder Klassenabstammung mangelte, wie etwa die Gebiete diplomatischer Kurier, Botschafter oder Abgeordneter. Erstmals zögerte er bei Gegenspionage, die gleich drei Schüler angefordert hatte. Noch eine Erinnerung huschte ihm durch den Kopf: an die fragile Greta Garbo in der Rolle der Mata Hari. Der Film riß jedoch, als er merkte, daß er sich schon in der Abteilung Geschlecht m befand. Er blätterte um. Sein Blick fiel geradewegs auf die Charakteristik, die den Teil Geschlecht w abschloß, und damit die gesamte Liste:

Spez. Fach humanit. Richtg. M. Abit.: Absolv. D. 9 JG. Grundschule (w). – Vertr. Erweckd. – Eign. F. Öff. Auftr. – Phlegm. Natur. – Sehr Angen. Äusseres. Dahinter eine Anmerkung in Klammern, die einzige dieser Art im Ordner PST: (Wie man ihr beim zahnarzt begegnen möchte!)

Der Vorsitzende blickte wieder auf. Selbst der strengste Richter in seinem Inneren konnte nicht leugnen, daß nichts an Lízinka den Erfordernissen widersprach. Im Gegenteil, er hatte noch nie ein Gesicht gekannt, zu dem er vom Zahnarztsessel aus, wo er schon so viele Qualen erdulden mußte, lieber emporgeblickt hätte. Einmal zur Überzeugung gelangt, im Einklang mit den Interessen der Gesellschaft zu handeln, entschloß er sich immer sehr rasch.

– Fräulein, fragte er Lízinka geradeheraus, möchten Sie nicht Vollstreckerin werden?

– Was ist das? fragte die Mutter, schnell die Fassung wiedererlangend.

Der Vorsitzende der Berufsberatungskommission vertiefte sich in die Liste.

– Ein Spezialfach der humanitären Richtung mit Abitur, sagte er nach kurzem Sinnen.

– Und was für eins in etwa? fragte die Mutter ganz unaggressiv, um das Flämmchen ihrer Hoffnung nicht auszublasen.

Er bemerkte erst jetzt, daß zu der Annonce ein Postskriptum gehörte: Bew. tel. zw. Gespr. Prof. Wolf 61460!

– Bewerber, übersetzte er, telefonieren zwecks Gesprächs mit Professor Wolf, siehe Rufnummer. Daraus geht einfach hervor, daß der betreffende Funktionär Ihnen die näheren Einzelheiten mitteilen wird. Ich muß allerdings wissen, ob Sie grundsätzlich einverstanden sind, damit ich Ihnen einen Laufzettel für ihn mitgeben kann. Also dann –

rief der Vorsitzende ungeduldig aus, da er der Miene seiner Sekretärin allmählich entnahm, daß er seinem Ruf untreu zu werden begann.

– Gärtnerin, Bäckerin, Mästerin oder ...

– Unbedingt, schrie Frau Tachecí, unbedingt

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