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13. Kapitel
ОглавлениеPawka im Wunderland
Der Zusammenstoß der meisten älteren Ensemblemitglieder mit ihrem Mentor im Herbst 1948, nachdem sie sich abgespalten und ihr eigenes Julius-Fučík-Ensemble gegründet hatten, war in erster Linie eine Rebellion der Söhne gegen ihren Vater. Künftig wird sich Miloslav Disman nämlich als ein Kommunist erweisen, der beharrlicher ist als die früheren Kritiker von links, denn auch aus seinen Erinnerungen werden in den achtziger Jahren nach Orwell’scher Art die Namen der von ihm einst am meisten geliebten Lehrlinge restlos verschwinden, wenn die anderen Aufständischen sich mehrheitlich wie ihr alter Meister der Normalisierung Husáks fügen.
Und warum nahm das neue Ensemble den Namen des Journalisten und kommunistischen Heiligen Julius Fučík an? Weil er das personifizierte Ideal seiner Zeit war. Übrigens wird er sich auch in der nächsten Runde des Bildersturms, wenn in den Neunzigern das Niederreißen von Statuen wieder einmal straflos bleibt und daher in Mode kommt, seine persönliche Ehre bewahren. Auf niemanden werden so viele Treibjagden ausgerichtet wie auf ihn, damit er endlich als abgefeimter Gauner bloßgestellt wird. Schlussendlich wird sich aber herausstellen, dass er vielleicht einer der Gascogner-Angeber war, aber niemals ein Verräter, geschweige denn ein Denunziant! Die zutage geförderten Dokumente werden beweisen, dass er mit den Nazis ein ehrenhaftes Spiel in höchster Not getrieben hat, das für ihn im Hinrichtungsschuppen des Gefängnisses Plötzensee ein blutiges Ende gefunden hat. Seine Reportage unter dem Strang geschrieben hört deswegen auch später nicht auf, unserem Mann Respekt einzuflößen. Demgegenüber gehört Fučíks Reportage aus der vorkriegerischen Sowjetunion, Eine Welt, in der das Morgen schon Gestern ist, zweifelsohne zu seiner Ansteckung mit dem Bazillus namens Euphorie.
Als sein Vater Otomar Anfang des Jahres 1949 als Generalkommissar der tschechoslowakischen Industrieausstellung in Moskau vom dortigen Kulturattaché, dem slowakischen Schriftsteller Petr Jilemnický, erfuhr, dass er Helfer suchte, kam die Sprache auf seinen Sohn, der sich zu dichten anschickte und darüber hinaus das Russische beherrschte, das der Vater ihm schon während des Krieges beigebracht hatte. Der Anwärter, dessen Verse damals sogar schon das Parteiblatt »Rudé právo« zweimal abgedruckt hatte, wurde schnell geprüft und berufen, so dass ihm nur noch ein schwerer Abschied mit einer diesmal glücklichen und umso größeren Liebe bevorstand.
Auch Alena Vránová, ein schlankes und fröhliches Mädchen aus dem Ensemble, verwandelte sich unversehens in eine reizende junge Frau, die ihn schnell aus dem Trauerhaus führte, wo er sich, wie er glaubte, für immer nach seinem Pyrrhus-Sieg im Lauf eingeschlossen hatte. Schon ihre erste charmante Reise zu zweit, die sie mit dem Raddampfer auf der Moldau zum achten Weltwunder, das damals der Staudamm Slapy zu sein schien, unternahmen, versetzte beide ins Staunen darüber, wie sie eine so lange Ewigkeit nicht zueinander hatten finden können, und ließ sie wohl auch den Wunsch verspüren, den Rest ihrer Ewigkeit zusammen verbringen zu wollen. Von diesem Augenblick an waren sie für alle ein Paar, für ihr eigenes Verständnis umso mehr, da beide gerade zum ersten Mal Platons magische Linie überschritten hatten. Sie waren das ganze lange Jahr tagaus, tagein unzertrennlich, im Ensemble, in den Kinos, beim Stadtbummel oder bei Ausflügen, am liebsten aber in Alenas Studentenzimmer, das sie mit einer Kommilitonin teilte. Die Vorstellung, dass sie sich jetzt vielleicht für ein paar Jahre aus den Augen verlieren sollten, kam ihm niederschmetternd vor. Ein kleiner Trost war es, dass auch die neue Angebetete ihre anspruchsvolle Aufnahmeprüfung für die beste heimische Schauspielschule bestanden hatte. Die reiche Korrespondenz belegt, dass sie sich versprochen hatten, die Zeit ihrer Trennung mit emsiger Arbeit im jeweils eigenen Bereich auszufüllen, damit sie ihren Kindern, die sie nach dem endgültigen Wiedersehen zeugen würden, zu einem glücklichen Leben im Kommunismus verhelfen könnten. Mit dieser Sehnsucht im Gepäck flog der kommende Diplomat kurz nach seinem einundzwanzigsten Geburtstag in das verheißungsvolle Land der Revolutionäre.
Obwohl der Geruchssinn bei ihm von allen Sinnen am schlechtesten ausgeprägt ist, erinnern ihn gerade die Düfte und Gerüche am verlässlichsten an seine Vergangenheit. Obwohl er sie nur in seiner Vorstellung riechen kann, bringen sie den verblassten Bildern ihre satte Farbe wieder. Die Ankunft in Moskau ist mit dem beißenden Geruch von glühendem Asphalt verbunden, den Frauen mit Eisenrechen auf dem Maneschnij-Platz verteilten. Ihre Allgegenwärtigkeit in verschiedenen Funktionen und Uniformen war ein anschauliches Zeugnis dafür, wie der Krieg das männliche Geschlecht dezimiert hatte. Er schaute aus seiner prunkvollen Suite des altehrwürdigen Hotel National, die er noch drei Tage lang nutzen durfte, zu ihnen hinunter; dann wurde nach zwei Monaten die Ausstellung geschlossen, die sein Vater als Direktor leitete. Diesem war neben dem Parteiausweis und dem Organisationstalent bei seiner Karriere förderlich, dass er perfekt Russisch konnte, wie er es sich als Zivilgefangener in Sibirien angeeignet hatte, Kenntnisse in der Wirtschaft besaß, die er an der Prager Handelsakademie studiert hatte, und den Wodka wie Wasser trank, ohne dass man ihn unter den Tisch trinken konnte. Bei allen entscheidenden Verhandlungen hatten die sowjetischen Delegierten bis zu jener Zeit den Tschechen zunächst durch Trinksprüche zugesetzt; seine Aufgabe war es daher, länger durchzuhalten als der letzte Russe, um tags darauf mit den Verhandlungen unter gleichen Bedingungen fortfahren zu können.
Sobald der Vater weggefahren war, musste sein Spross in ein Zimmerchen mit Fenster zum Hof umziehen, das seiner nichtigen Position entsprach. Das einst erhabene Hotel war nämlich die Unterkunft für Diplomaten vom niedrigerem Rang und Handelsvertreter, die aus den Ländern stammten, wo sich gerade das Lager des falschen Friedens und Pseudosozialismus zu formieren begann; dieser duftete jedoch dem dilomatischen Novizen immer noch nach dem Flieder der Maitage von 1945, als die letzten russischen Männer in Prag fielen. Dabei klopfte der künftige Terror schon an die benachbarte Hotelzimmertür, wo einer der Angestellten des Prager Außenhandelsministeriums wohnte. Er klopfte leise und unauffällig an, um die Nachbarn nicht aufzuscheuchen. Jiří Kosta war plötzlich abgereist, und unser Neuling erfuhr erst nach Monaten, dass er nach der Verhaftung seines Vaters zurückberufen worden war; die halb vollzogene Rehabilitierung wird Ende der sechziger Jahre eingestellt, und der Sohn wird sich dann für die Emigration entscheiden, in der er zu einem der bedeutenden deutschen Ökonomen aufsteigen wird. Das Ganze wird von einem Happy End gekrönt werden: Im ersten Jahr des darauffolgenden Jahrtausends wird der ehemals jüngere Nachbar aus dem Hotel National und dann lebenslange Verbündete eine Laudatio zum Anlass der Achtzigjahrfeier des namhaften Wirtschaftsprofessors halten.
Hunderte von Seiten, die er in einem knappen Jahr aus Moskau seiner Liebe, seinen Eltern, ins Ensemble, aber auch an verschiedene Zeitungen schickte, wirken über die Kluft der Zeit, als wären sie im Zustand einer Dauerekstase geschrieben worden. Die Disman’sche Exaltiertheit und das revolutionäre Pathos vereinigen sich zu einem unerträglichen Konglomerat; ein umfassendes Anschauungsbeispiel wurde schon im Tagebuch eines Konterrevolutionärs veröffentlicht, in einen Liebesbrief ist dort nahezu schon absurd der politische Kontrapunkt eingeflochten. Dennoch ging es dabei nicht darum, sich verstellen zu wollen, es war schlicht und einfach der Bewusstseinsstand des Verfassers. Der erwachsene Mann stellt fest, wie sehr fromme Wünsche vom Anfang seiner persönlichen Pubertät bis zum Ende der bürgerlichen Pubertät ihn beeinflussten und eigentlich steuerten. Die Ungeduld setzte die Erwartungen dadurch in die Realität um, indem sie sich diese aus Worten zusammengesponnen hatte – gerade so mussten Fučíks Reportagen, die in Potemkin’scher Art verlockend waren, entstanden sein. Die innere Sicherheit wurde sowohl dem Älteren als auch dem Jüngeren, aber auch Millionen von Menschen ohne jeden Zweifel durch den Mythos mit dem Namen Stalin gegeben.
Die Anhänger von Adolf Hitler hätten schon aus seiner programmatischen Schrift Mein Kampf herauslesen können, dass sie einem fanatischen Nationalsozialismus, Rassismus und Militarismus dienen werden, hatte der Führer der Welt doch schon vorab zwei deutlich lesbare Visitenkarten geschickt – die Bücherverbrennung und die »Reichskristallnacht«. Stalin wurde nicht nur durch die Regimepropaganda, sondern insbesondere durch die Huldigung zahlloser geistiger Größen von Weltformat zum Symbol des Höchsten emporgehoben, was sich die Menschheit beim Suchen der freien und gerechten Gesellschaft in ihrer Geschichte ausdenken konnte. Auf den Novizen hatte zudem ein persönliches Erlebnis suggestiv eingewirkt. Weil zu Hause auch nach dem Attentat auf Heydrich fast jeden Abend Moskau gehört worden war, musste er von dem Augenblick an, als der deutsche Rückzug mit dem Debakel bei Stalingrad begonnen hatte, sicherlich mindestens fünfhundertmal den faszinierenden Bassbariton des sowjetischen Ansagers Levitan gehört haben, der das Kommuniqué der obersten Heeresleitung verlas. Sie schlossen mit der feierlich vorgetragenen Tonunterschrift »Gláwnokomándujuschtschij sawjetskich ármijej, tawáryschtsch Josip Wissariónovitsch Stalin!« Dann folgten die sowjetische Hymne, das Schlagen der Turmuhr des Kreml und Artilleriesalven, deren genaue Anzahl die Bedeutung der eroberten Stadt verkünden sollte.
Das war das Sursum corda während des Krieges! Und die Verzweifelten konnten jedes Mal wieder lachen. Der Einmarsch der Roten Armee in Prag am 9. Mai 1945, der dem langjährigen Warten der ganzen Familie auf den Tod ein Ende setzte, kam für den jungen Mann daher einem leibhaftigen Aufmarsch Stalins gleich. Und noch während der Zeit seiner Moskauer Tätigkeit war Stalin für ihn das Synonym seiner persönlichen Befreiung vom Faschismus – und freilich auch von einem solchen Kapitalismus, wie er sich in den dreißiger Jahren der Zwischenkriegsgeneration wirtschaftlich und politisch dargeboten hatte.
Einen positiven Einfluss auf die Optik des Novizen übten auch die zahlreichen Treffen mit den Bewohnern Moskaus aus, die ihm einen umso größeren Respekt dadurch abnötigten, dass sie als Sieger nach dem Krieg noch ärmer waren als vorher. Er kaufte sich schon für sein erstes Gehalt eine goldene Schweizer Armbandstoppuhr, und er trägt sie bis heute bei feierlichen Anlässen, während die berühmten russischen Schriftsteller bescheiden in ihren geteilten Wohnungen mit gemeinschaftlichen sanitären Anlagen lebten. Es faszinierte ihn auch, wie sich der physische Hunger der breiten Massen ergänzend an geistiger Nahrung satt aß. Das Große Theater, das Kleine Theater, MCHAT – der Olymp, auf dem der Gott Tschechow thronte! –, die singenden Alexandrows, die tanzenden Mojsejews, der geniale Komödiant Rajkin, der zauberhafte Puppenspieler Obrazcov, und überall vor den Eingängen Dutzende erwartungsvoller Besucher mit dem ewigen Refrain »Njet u vas lischnjevo biljeta?« Hätten Sie nicht noch eine Karte? Ein so massenhafter Kulturhunger war Prag fremd. Auch die Chauffeure der Botschaften hatten im Fußraum neben der Kupplung Bücher liegen, bei Nikolaj Stepanowitsch, dem Fahrer der Kulturattachés, war es ein Band aus den gesammelten Werken Turgenjews, und jedes Mal, wenn sie warteten, lasen und lasen sie. Und niemand, niemand, den der Novize je getroffen hatte, beklagte sich ... heute ist es ihm schon längst klar: Man wusste nicht, bei wem man sich hätte beklagen können.
Ein Schock war für ihn vielmehr die Institution der Karrierediplomaten. Der technische Begriff, der das kontinuierliche Vorrücken der Dienstgrade bezeichnete, offenbarte sich ihm nach nur wenigen Wochen in seiner widerwärtigsten Form, potenziert außerdem durch den Austausch der Kader nach der kommunistischen Machtübernahme. Viel später lernte er Dutzende Diplomaten näher kennen, und er weiß, dass man auch in ehrwürdigen Demokratien mit harten Bandagen um Posten kämpft. Was er in Moskau beobachtet hatte, war aber eine abscheuliche Rauferei. Bescheidenheit, Umgänglichkeit und Kulturbeflissenheit der ihm bekannten Moskauer neben Aufgeblasenheit, Intrigiersucht und Abgestumpftheit der tschechoslowakischen Karrieristen haben ihn in der Überzeugung bestärkt, dass der Kommunismus für sein Land wie das Salz in der Suppe nötig war, damit auch dessen Bewohner das gleiche menschliche und kulturelle Niveau erreichen konnten. Ein wahres Abbild dieser großen Illusion, gleichwie auch des damaligen menschlichen und künstlerischen Potenzials ihres Trägers, ist das dort verfasste Buch für Kinder Von Schwarz und Weiß.
Einst ging der Genosse Gottwald durch die Lande,
beginnt das Märchen über vier Buben, die aus einer Art romantischer Dummheit ihrer Bauernmutter weggelaufen sind und die ausgerechnet G. G. zum rechten Leben der Werktätigen eines volksdemokratischen Staates bringt. Wenn ihr Autor diese ideologischen Paraphrasierungen der tschechischen Volksmärchen schon nach einigen wenigen Jahren liest, wird er über und über erröten; und wenn man im Jahre 1970 alle Bücher der verbotenen Autoren einstampft, wird ihn erleichtern, dass unter ihnen auch seine Erstlingswerke sein werden. Gerechtermaßen werden sie vom gleichen Regime vernichtet, das sie im verblendeten Glauben besungen haben.
Das Gefühl der Nutzlosigkeit, modern Frustration genannt, wurde in Moskau noch von der totalen Verlassenheit gesteigert. Der berühmte Schriftsteller Jilemnický, auf den sich der Poet freute, starb, bevor er ihn noch hatte treffen können. Ein junger Brünner Dichter, genauso langweilig wie arrogant, wurde zeitweilig sein Vorgesetzter. Der Novize reifte zu einem weiteren Sprung heran, der in dieser unsicheren Zeit doppelt riskant war: Er begann selbst an seiner eigenen Abberufung zu arbeiten. Gleich am Anfang des Frühlings 1950 ließ er sich in einer russischen Klinik attestieren, dass ihn das Moskauer Klima, der extreme Wechsel der Temperaturen, stark beeinträchtigt. Die gesundheitlichen Beschwerden übertrieb er nicht einmal; auch wenn der Verdruss am Arbeitsplatz und das Fernweh nach der weit entfernten Liebe sie nährten, waren sie die Nachbeben der Kinderkrankheiten, von denen ihn die Ärzte noch einige Male kurierten, bis ihn im Jahr 1969 ein mit nichts vergleichbarer Schlag trifft: das Generalverbot von fast allem, was das Leben lebenswert macht. Nur, dass er gerade ab diesem Zeitpunkt für die ganzen nächsten Jahrzehnte praktisch nie krank werden wird! Man sollte einmal erforschen, was ihn so kerngesund gemacht hatte. Etwa Trotz und Wut?
Damals nahmen die Geschehnisse die rechte Richtung und ein schnelles Tempo. Die Untersuchung in Prag bestätigte erwartungsgemäß, was der sowjetische Arzt festgestellt hatte. Der junge Mann wurde sofort auf eine Intensivkur ins Sanatorium geschickt.
Er wurde gesund, verzichtete mit Erfolg auf einen weiteren Verbleib in der Diplomatie, ohne die wirklichen Motive zu verraten, er nahm, wovon noch ausführlich die Rede sein wird, den Posten des Chefredakteurs der satirischen Wochenzeitung »Stachelschwein« an und heiratete endlich seine Liebe, um mit ihr die gemeinsamen sozialistischen Verpflichtungen zu erfüllen, die Kinder und ein glückliches Leben betrafen. Sie ließen sich auf dem Altstädter Rathaus am 21. 12. 1950 trauen, dem Geburtstag des Genossen Stalin.
Im Jahre 2002, nach einer durch den Prager Frühling 1968 verschuldeten vierunddreißigjährigen Pause, wird das ehrwürdige Moskauer ›Tschechow-Theater‹ den einstigen Bräutigam zur Premiere seines Stücks Die Nullen einladen; als ihm in die Augen sticht, dass sie am 21. Dezember stattfinden soll, und er dort auf dem Sekretariat anrufen wird, wie er das verstehen solle, werden sie nicht begreifen, um was es ihm eigentlich geht. Ist seitdem so viel Wasser den Bach heruntergeflossen? Nicht ganz so viel; auf dem Grab des Generalissimus, zu dem ihn die Neugier führt, wird er im Schnee einen Berg roter Rosen finden, eine Ausflugsgruppe junger Männer in Jeans wird dort ihre Rosen ablegen! –
Die Verlobten fünfzig Jahre davor trugen die blauen Hemden des Jugendverbandes, der Ehemann sogar eine russische Papachamütze. Nachdem das Julius-Fučík-Ensemble von ihm getextete Lieder für die Verheirateten gesungen hatte, fuhren sie mit dem Nachtzug zum Skifahren in die Tatra. Die Skier wurden ihnen dort gleich in der ersten Nacht gestohlen – schon damals, an der Schwelle zum Kommunismus! –, so konnten sie sich also ungestört ihren Flitterwochen widmen.
Noch etwas zum Genre dieser Zeit: Auch weiterhin in der Gefangenschaft von Cyrano schrieb der Novize aus Moskau seiner Liebe Briefe, wenn nicht täglich, so doch mehrmals in der Woche. Das Echo war weniger häufig, aber im Unterschied zu Roxana schrieb seine Liebe bei allen Trennungen regelmäßig zurück und natürlich auch im Geiste der Zeit. Ein vergilbter Umschlag mit dem Prägestempel 6. VIII. 1951 trägt die Adresse
Genosse Pavel Kohout, Weltfestival der demokratischen Jugend, Tschechoslow. Delegation, Julius-Fučík-Ensemble, Berlin Fischerstraße 34.
Der mit Bleistift geschriebene Brief schildert die ersten Erlebnisse der jungen Schauspielerin von den Dreharbeiten zum Film Die eitle Prinzessin, und vor dem zärtlichen Ende gipfelt er in einer besonders politischen Botschaft:
... Ich drücke Euch allen ganz fest die Daumen, in der Nacht träume ich immer von Berlin, verfolge sorgfältig alle Neuigkeiten in den Zeitungen. In Berlin müssen wir gewinnen. Und wenn nicht als Ensemble, dann als fröhliche Menschen unseres Landes über diese Ratten aus dem Westen. Wir zeigen unsere Stärke, und das wird der größte Schlag sein. Ich sage absichtlich »wir«, weil ich auch dort sein werde!
Ich denke, dass diese Zeit kaum mit der Stimme des jungen Dichters spricht, eher spricht er mit der Stimme der Zeit. Auf dem Höhepunkt des Lebens werden ihn dafür die durch den Wortschatz veränderter Zeiten dümmlichen Texte tagtäglich strafen, die die nachfolgenden Teenagergenerationen als Ausdruck ihres Lebenscredos für sich beanspruchen. Die Frage ist nur, wie man dabei den Charakter der Mitteilung beurteilen soll. Ist die Absicht, die Welt zum Besseren hin zu verändern, die sich die abtretende Generation bei aller Selbstkritik unstrittig zuschreiben darf, im Vergleich mit der Botschaft der zeitgenössischen Medienstars, in ihrer programmatischen Inhaltslosigkeit, ein mildernder Umstand – oder ein belastender?