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15. Kapitel

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Das schlechte Lied von der eitlen Prinzessin

Die Mutter des jungen Mannes, die er verdächtigte, auf seine ernsthaften Liebschaften eifersüchtig zu sein, als stünde sie mit ihnen in Konkurrenz, und sie habe sie ihm nur deswegen ausgeredet, irrte sich im entscheidenden Fall leider nicht. Sie ahnte richtig, dass der knappe Altersvorsprung vor der attraktiven Auserwählten ihrem Sohn mit seinem Charakter und Erfahrungshorizont recht wenig Chancen gab. Die Mädchen haben beim Start ins Leben einen Vorsprung, die Männer gleichen ihn durch einen längeren Endspurt aus.

Die junge Frau Alena hatte kaum angefangen, die Theaterakademie der musischen Künste zu besuchen, als sie die Hauptrolle in dem Märchenfilm Die eitle Prinzessin bekam. Niemand konnte ahnen, dass hier ein Werk entstand, das noch im nächsten Jahrtausend jedes Jahr mindestens an Weihnachten ausgestrahlt werden würde, wenn sie schon lange mit dem höchsten tschechischen Schauspielpreis, der Thalia, gekrönt sein wird. Zu ihrem Glück und zum Pech ihres kaum aus dem warmen Nest gekrochenen Ehemanns war die Rolle des jungen Königs mit einem der besten und bestaussehenden Schauspieler des Nationaltheaters besetzt, dem tschechischen Gérard Philipe. Zwischen einem zweiundzwanzigjährigen Jungen und einem siebenundzwanzigjährigen Mann liegen Welten – das weiß der inzwischen erwachsen gewordene junge Mann heute. Auch wenn er Puschkin gewesen wäre, hätte er es nicht geschafft, seiner Geliebten mehr zu sagen, als es sein damaliger neuer Gegner auch ohne Worte fertiggebracht hatte. Jedes Mal, wenn er den Film sieht, kann er sich von neuem überzeugen, dass das ja auch nicht anders ausgehen konnte, sie hätte blind und taub sein müssen, um nicht allein schon von diesem Aussehen und von dieser Stimme entzückt zu sein. Alle beide sind in diesem Märchen so schön und zart anzusehen, dass man fast ihr Edelknappe sein möchte.

Für den jungen Mann war es ein umso heftigerer Schlag, weil er bis zu dieser Zeit – das Protektorat war schon gänzlich in Vergessenheit geraten! – wie in Watte gepackt gelebt hatte, von Zuschauern und Lesern bewundert, bei allen Mitarbeitern und Freunden anerkannt und ausgerechnet mit diesem Mädchen beehrt wurde, das ihn seine privaten Misserfolge vergessen ließ, als sie sogar für das ganze Leben seine Frau wurde. Auch der erste Knacks schien banal zu sein. Das Zusammenleben zweier so unterschiedlich temperamentvoller Wesen, wie es seine Frau und seine Mutter waren, rief in der kleinen Wohnung der Eltern Unstimmigkeiten hervor, die ihm lange eher wie ein Lustspiel vorkamen, bis seine Frau einmal nicht nach Hause kam und ihn wieder in ihr Studentenzimmer rief, wo sie zur Untermiete wohnte. Als sein Charme nach beiden Richtungen endgültig versagt hatte, wurde er von Trotz abgelöst. Er pendelte von der einen zu der anderen und gab mit Heftigkeit zu verstehen, dass er sich nirgends gerne aufhalte. Indessen überzeugte er den Vater, dass es dringend notwendig sei, ihre Wohnung gegen zwei separate einzutauschen.

Als er sich im Sommer von den weiblichen Polen seines Lebens verabschieden musste, weil er beauftragt wurde, das Fučík-Ensemble auf dem Vorbereitungslager zu leiten und danach auf dem riesigen Weltfestival in Ostberlin, begrüßte er das nur: Der Abschied sollte den beiden zeigen, wie sehr er ihnen fehlte. Er rechnete auch mit Eifersucht, denn gerade die Reihen der Sopran- und Altstimmen boten eine ständige Schönheitsschau. Das entsprechende Empfinden hatte leider nur die Mutter, der er immer fehlte. Der anderen reichten zwei Monate, um auf einen anderen Planeten zu kommen. Als er sie am Tag nach seiner Rückkehr bei Außenaufnahmen traf, um ihr glücklich mitzuteilen, dass der Wohnungstausch zwar nur eine Wohnung gebracht hatte, dafür aber eine große mit zwei Eingängen, so dass sie dort auch die Mutter nicht ewig antreffen müsste, war sie bereits fest in fremden Händen.

Der erwachsene Akteur jenes privaten Dramas darf dank seiner Kontakte zu allen Generationen schon lange aus nächster Nähe das Entsetzen unreifer Liebhaber erleben, wenn ihnen ihre für immer und ewig Auserwählten erbarmungslos mit den Greisen von dannen gehen, die dreißig sind oder noch älter! Bei ihrer Erniedrigung sind sie nicht imstande zu glauben, dass alles, was man ihnen in der Kälberjugend geraubt hat, ihnen reichlich im Alter der alten Löwen dazugegeben wird. Der Filmkönig enthüllte der Prinzessin in einem langen Blitzlicht die Welt, von der jene bis dato keine Ahnung gehabt hatte, und umso weniger ihr frisch gebackener Gatte.

Der hat schon längst offen zugegeben, dass ihn damals der letzte Rest an Selbstkontrolle verlassen hatte. Und auch die Selbstachtung, von der Achtung anderen gegenüber ganz zu schweigen. Seine Reaktion war umso radikaler, weil er in sein Problem das Theaterpublikum im ganzen Land mit einbezog. So entstand ein Werk, das bei allen persönlichen Peinlichkeiten die tschechischen Theater von den Kriegs- wie auch von Aufbaustücken befreite und den Verfasser zu jenen magischen Brettern führte, die er bei dem Zauberer Marion entdeckt hatte und die nächsten fünfzig Jahre nicht verlassen wird. Dieses unanständige Stück, jedoch in ziemlich anständigen Versen, hieß Gutes Lied, und er übertrug in ihm sein Leid in eine melodramatische Geschichte, wobei er sich nicht einmal bemühte, sie künstlerisch zu verfremden: Ein zynischer Schauspieler zerschlägt raffiniert eine unerfahrene, aber ›fortschrittliche‹ Ehe.

Zum Glück greift rechtzeitig das Kollektiv des Jugendverbands ein, das die Sünderin zur Einsicht, zur Reue und auch zur Umkehr bewegt. Sie ist dann sogar dazu fähig, den Verführer bei seinem nächsten Versuch in seine Schranken zu weisen.

Der Vater dieses Gedankens war ein heftiger Wunsch, der sich auch nicht erfüllte. Die treulose Prinzessin bereute gar nichts und der Schürzenjäger-König ließ sich in Zivil scheiden, um sie in Ehren heiraten zu können. Schon die ersten Premieren im Großen Theater in Pilsen und im Prager Theater in den Weinbergen, der damals neuen Bühne der tschechoslowakischen Armee, hatten riesigen Erfolg und nachhaltige Auswirkungen: Die Hauptdarsteller dieser Moralität hatten sich so sehr ineinander verliebt, dass sie sich von ihren bisherigen Partnern scheiden ließen. Derselbe Doppeleffekt brach dann bald wie eine Epidemie über alle tschechischen Bühnen herein. Wenn man die zahlreichen Reaktionen des Publikums mit einrechnet, kann man gar nicht abschätzen, wie viele Beziehungen dieses Stück zerstörte und wie viele Paare es von neuem in die Trauhallen brachte. Der Autor hat sich selbst dazugesellt, und als er sich am Hochzeitstag gegen Abend mit seiner neuen Frau Anna in die Proszeniumsloge setzte, wo ihn bald der wütende Verteidigungsminister wegen eines anderen Theaterstücks rügen sollte, stieß die ganze Truppe von der Bühne aus im Finale mit echtem sowjetischem Sekt auf das Paar an.

Bald darauf erreichte ihn im Theater ein Brief, in dem ihm eine Zuschauerin mitteilte, dass er der glückliche Vater ihres Kindes sein wird, und sie verlangte ziemlich folgerichtig, dass er als ein Dichter der Moral daraus seine Schlüsse ziehen sollte. Das süße Bewusstsein seiner Unschuld zwang ihn, sofort zu handeln, und er schlug ihr ebenfalls brieflich ein Treffen vor. Als er pünktlich an der verabredeten Station aus der Straßenbahn stieg und dort ein einziges Mädchen stehen sah, fragte er, ob sie auf ihn warte. Nein, sagte sie stolz, und einen Mittelsmann möchte sie auch nicht, sondern nur Pavel Kohout persönlich! Irgendein Schlitzohr hatte seine Identität angenommen, indem er vor ihr seine Liebesgedichte fließend rezitierte.

Und ein damals frischer Bräutigam wird ihm schließlich noch im Januar 1977 ›danken‹, wenn er nach seiner Verhaftung kommt, um ihn über die Charta zu verhören. Auch er, angeblich ein Major Svoboda, wird zum Auftakt den Trinkspruch aus dem Stück vortragen. »Nach diesen Versen habe ich meine Alte geheiratet!«, wirft er dem Autor mit saurer Miene vor, »und ich habe sie immer noch, und Sie haben schon die dritte!« Der Beschuldigte versucht, ihn dadurch zu trösten, dass seine Genossen heute auch sie festnahmen. Noch davor, in den hoffnungsvollen sechziger Jahren, wird ihn der Regisseur Jiří Weiss fragen, ob er die Hauptrolle des Films, der nach seinem Stück So eine Liebe gedreht werden soll, mit dem einstigen König besetzen dürfe. Natürlich wird er zustimmen, und erst bei der Premiere wird ihm klar, dass Vladimír Ráž ein weiteres Mal in die Rolle eines Ehebrechers geschlüpft ist, und zwar diesmal ganz von sich aus.

Was er mit all dem nicht unterschlagen wollte: dass ihm das Gute Lied, sein erster großer Theatererfolg, summa summarum als Ausgeburt seiner verletzten Eitelkeit erscheint, die den beiden in der Grundebene des Dreiecks Schaden zufügt, in dessen Eckpunkt er sich selbst als Opfer stilisiert hatte. Über den Abstand der Jahre hinweg kann er nur mit den Worten Bergeracs sagen: »Jetzt bitte ich Gott um Vergebung ...!«

Mein tolles Leben mit Hitler, Stalin und Havel

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