Читать книгу Mein tolles Leben mit Hitler, Stalin und Havel - Pavel Kohout - Страница 22

17. Kapitel

Оглавление

Des Dichters Ende

Zu seinen frühen Gedichten hat ihr Schöpfer nun schon genügend vermerkt. Man sollte ihn zwar gerechterweise als ›pars pro toto‹ begreifen, einen Teil, der das Ganze repräsentiert – standen doch fast alle tschechischen Dichter bei der Totenfeier für Stalin im Prager Schriftstellerklub auf dem Gang Schlange, bevor sie das Podium besteigen konnten, um ihr Klagelied anzustimmen! –, aber beschäftigen wir uns jetzt nur mit ihm. Sein Leben hat sich in den ersten fünfundzwanzig Jahren im Kraftfeld starker Autoritäten entfaltet. Dies waren natürlich die ständig präsenten Eltern, aber schon die zweite, patriotische Autorität, Vladimír Petřek, wurde von der tödlichen Autorität der Nazis vernichtet. Die romantische Autorität Miloslav Dismans wurde von der strengen Autorität der Revolutionäre des Jahres 1945 bezwungen, die sich allmählich in die kollektive Autorität der kommunistischen Partei und der Sowjetunion verwandelte, welche dann auch die Schwelle des Rationalen überschritt. Die ausklingende Autorität Gottes ersetzte vorübergehend Stalin wie eine Inkarnation des höchsten Prinzips der Liebe und der Wahrheit, die über den Hass und die Lüge siegen werden.

Die Grundlage für diesen Kult in Böhmen bildete jedoch wieder einmal eine konkrete geschichtliche Erfahrung. Es waren deswegen viele, die den Tod des Diktators im März 1953 nicht heimlich feierten, sondern ihre Taschentücher nass weinten, weil sie befürchteten, dass der Damm gegen die germanische Revanche bricht, die vom ganzen Westen unterstützt wurde. Die Propagandamaschine, nicht schlechter als die Goebbels’sche, integrierte in ihre Argumentation die Kampfparolen der McCarthy-Ära in Amerika. Auch die Poesie des Dichters war ein Teil der kommunistischen Ideologie, und obwohl er sie im guten Glauben schrieb, stellt sein erwachsenes Ego bei dieser freiwilligen Konfrontation mit dem eigenen Leben fest: Während sich sein Körper schrittweise von seinem permanenten Kränkeln erholte und später eine unerschütterliche Stabilität erlangte, hatte seine Seele diesen langwierigen Prozess immer noch vor sich. Er kann sich nicht mehr von dem Verdacht befreien, die Pubertät mit einer stark geschädigten Psyche verlassen zu haben, ja, mit dem zeitlichen Abstand über die Jahre hinweg kommt es ihm beim Lesen dieser Texte so vor, als wäre er aller Sinne beraubt gewesen. Aus dem Traum, dass er als weiterhin bekannter Dichter notwendig auch gut sein müsse, riss ihn glücklicherweise, auch wenn es wehtat, der gleichaltrige Brünner Literat und Kritiker Jan Trefulka.

Der Prager wird in der zweiten Halbzeit seines Lebens einige neue, sehr enge Freunde haben. Er findet sie zu spät, als dass sie ihn vor den elementaren Irrtümern in den Zeiten der jugendlichen Besessenheit hätten warnen können, aber früh genug, damit sie ihm helfen, sich von ihnen zu befreien. Er hat sich angewöhnt, sie nicht nur in Briefen, sondern auch im Geiste »meine teuren Kameraden« zu nennen. Das bleiben sie auch nach der Zeit des Totalitarismus. Ob er sie durch Zufall trifft oder sich mit ihnen verabredet, ist er jedes Mal freudig erregt, nicht viel anders, als wenn er schicksalshaften Frauen begegnet. Alle Treffen bereiten ihm die gleiche Freude, ob es die hektisch-herzlichen Zusammenkünfte mit Jiří Gruša sind oder die immer wieder behutsam-zurückhaltenden mit Ludvík Vaculík und Karel Kosík, die angenehm-schüchternen mit Ivan Klíma, die hedonistisch-provokanten mit Arnošt Lustig, die euphorisch-arbeitsamen mit Milan Uhde, die sanft-feierlichen mit Alexandr Kliment, aber auch die leider immer förmlicheren mit Václav Havel, dem Staatsoberhaupt.

An Jan Trefulka wird ihn das Band eines ganz anderen Ranges knüpfen. Dessen einzigartige Rolle besteht darin, dass er den nichtsahnenden Zeitgenossen brutal, aber lebensrettend aus der Umlaufbahn jenes ›sozialistischen‹ Poeten warf, der andernfalls in den immer dichter werdenden Schichten der Zeit verbrannt wäre wie so viele seiner Dichter-Genossen. Er gab ihm dadurch die einzigartige Möglichkeit, noch rechtzeitig neue Koordinaten für viele weitere Jahrzehnte seiner irdischen Mission zu finden. Die Rede ist von seiner vernichtenden Kritik an den Versen Pavel Kohouts im September 1954.

Die erste Reaktion des Dichters erinnert an einen Publikumsliebling, der, für sein falsches Singen kritisiert, den Kritiker beschuldigt, er hätte kein musikalisches Gehör. Dreißig Jahre später, im Jahre 1985, wird es ihm an einem schönen blauen Tag in Tirol passieren, dass er beim Langlauf eine schneefreie Stelle im Wald für einen Schatten hält und nach dem schweren Sturz sehen muss, wie ihm das gebrochene Schienbein aus der Haut ragt; er wird liegen bleiben, es mit seinem Schal bedecken und noch endlos lange Minuten, ehe man ihn fortbringt, ungläubig in die idyllische Landschaft schauen und nicht begreifen können, dass ein einziger Augenblick all seine Pläne dramatisch verändert hat: den lange vorbereiteten Film Das Ohr wird er für unbestimmte Zeit beiseite legen müssen. Auch damals, im Winter 1954, brauchte der in Mitleidenschaft Gezogene längere Zeit, ehe er begriff, dass Trefulkas Aufsatz alles in Frage stellte, wovon er bis zu dieser Zeit überzeugt war.

Die Zeit wird ihm zum Glück gnädig sein. Und wenn die Husák’sche Normalisierung im tschechischen Kulturwald eine mächtige Schneise schlägt, wird sich der ehemalige Dichter abermals mit Jan Trefulka unter den Verbliebenen, die Standhaftigkeit bewiesen haben, einfinden, dieses Mal auf der Seite der Abgeschriebenen. Der scharfe Geist, der im Kontrast zum äußeren Typus eines langsamen Bären steht, wird diesen echten Mährer zum härtesten Kern der Geächteten führen, die sogleich beginnen, ihrem Schicksal Widerstand zu leisten. Dann geschieht, was geschehen musste: Die Zentripetalkraft der Unterdrückung und Abwehr verbindet sie und führt nicht nur zu unzähligen Ideen, wie man das Regime der Totengräber begraben könnte, sondern auch zur Allianz, die einen immer persönlicheren Charakter annimmt. Unvergesslich bleiben die Maitreffen auf den Weinmärkten im südmährischen Valtice, wo sich in der einstigen Schlossreithalle im fröhlichen Lärm der Trinker auch der Tisch der theoretisch mundtoten Verräter freuen wird, zu denen eine treue Freundin wiederholt auch Trefulka aus Brünn mitbringt. Und am allerlogischsten erscheint die Tatsache, dass beide schon als feste Freunde gemeinsam auf der ersten Liste der »Schiffbrüchigen und Usurpatoren« landen, wie die Unterzeichner der Charta 77 hysterisch genannt werden.

Summa summarum: Seine Auferstehung hat der Prager ausgerechnet vor allem diesem Mann aus Brünn zu verdanken, der ihn erst einmal als Dichter in Staub und Asche verwandelte, bevor dann binnen kurzer Zeit daraus emporfliegen konnte ... wer wohl? Nein, nicht der sagenhafte Phönix! Wieder nur der tschechische Hahn – Kohout, diesmal jedoch mit den Federn eines Dramatikers.

Mein tolles Leben mit Hitler, Stalin und Havel

Подняться наверх