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14. Kapitel

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Nach Fučík das Stachelschwein

Die fortschreitende Spaltung innerhalb der Gesellschaft in Folge der kommunistischen Kaderpolitik, die die ›bourgeoise Herkunft‹ zur Erbsünde erklärte und dafür auch den Nachwuchs strafte, dem sie das Studium verwehrte und die besten Chancen vorenthielt, dezimierte allmählich auch die Welt der Jugendensembles. In den ersten Nachkriegsjahren hatten sie Zehntausende von Mitgliedern, die in gegenseitigem Wettbewerb das kulturelle Leben erneuerten, das durch die Okkupation unterdrückt worden war. Daher verbreiteten sie enthusiastisch die sogenannte sozialistische Aufbau-Begeisterung.

Wie aber der Anteil jener wuchs, die das Regime aus der Bahn warf und manchmal auch unter die Räder stieß, hörte man auf, unbefangen zu tanzen und zu singen. Menschen mit besseren Sinnesorganen, als sie der Dichter damals hatte, erblickten offenbar schon den Schatten der Galgen. Binnen kurzer Zeit überlebten nur einige große Gruppen, die in der Zwischenzeit für Amateure ein schier unglaubliches Niveau erreicht hatten. Die Tätigkeit war anspruchsvoll und wurde nach wie vor nicht honoriert, und dennoch hoben die ständigen Proben und zahlreichen Auftritte das Niveau des Julius-Fučík-Ensembles, das es ihm erlaubte, sogar mit professionellen Ensembles aus der ganzen Welt erfolgreich zu konkurrieren, wie auf dem gewaltigen Jugendfestival in Ostberlin im Sommer 1951 oder bei den Olympischen Spielen in Finnland im Juli 1952. Dort hielt das Ensemble gleich drei unvergessliche Eindrücke fest – die nördlichen weißen Nächte, die schockierende Konfrontation mit dem realen Kapitalismus und die drei ruhmvollen Siege des Läufers Emil Zátopek.

Es stimmt, dass die Mitglieder eines solch elitären Ensembles in einem gewissen sozialen Vakuum lebten und sich somit zu einer Art Sekte entwickelten. Daraus resultierte logischerweise eine fortschreitende politische und poetische Pubertät des Dichters, die erst mit dem Beginn des Wehrdiensts ihr Ende fand. Die Mehrzahl der Heranwachsenden will sich beständig an der wechselseitigen Sympathie gleichgesinnter Freunde wärmen. Damals war das Ensemble für viele auch eine Wagenburg, aus der sie nach den Nazis und Kollaborateuren auch die sogenannten ›ewig Gestrigen‹ verstießen, die jene ›lichte Zukunft für alle‹ bedrohten. Das Ensemble wurde wie eine Art Ersatzfamilie, die auch jenen Mitgliedern Schutz gewährte, die eine ›für die Kader schlechte Herkunft‹ hatten. Aus heutiger Sicht, wo man alles aus dieser Zeit als entartet betrachtet, wird kaum geschätzt, dass von den ›Verlässlichen‹ für sie oftmals Auslandsreisen durchgeboxt wurden, weil sie sich persönlich für sie verbürgten.

Summa summarum, was die Mitglieder des Fučík-Ensembles betrifft: Ihre Kommunität – es gab damals eine Menge von dieser Art – wurde, wie es der slowakische Schriftsteller Dominik Tatarka nannte, von dem »Dämon des Einverständnisses« beherrscht, der fromme Wünsche als Realität erscheinen ließ und jeden Zweifel unterdrückte. Als eine ähnliche Familie oder gar Sekte, die nur im Vakuum existieren kann, wird den späteren Kritikern auch die wahlverwandtschaftliche Vereinigung der Charta 77 erscheinen, manche werden sie sogar Ghetto nennen. Irrtum! Der gemeinsame Nenner – die aktive Verteidigung der Menschen- und Bürgerrechte – wird nie die Polarität von Meinungen gefährden, so verschieden wie die Lebensgeschichten der Unterzeichner. Der Dämon gleichgeschalteter Meinungen wird innerhalb der Charta nicht die geringste Chance bekommen, und das Regime begreift sofort, dass dieses auf den ersten Blick lächerliche Häuflein genau deswegen dem Totalitarismus die Todesglocke läuten wird. Die Mitglieder des Jugendensembles waren dadurch verwandt, dass sie erst anfingen, das Trugbild zu durchschauen.

Im Herbst 1950, bald nach der Rückkehr aus Moskau und aus dem Sanatorium, wo man den Poeten wieder aufgepäppelt hatte, bot ihm der gewerkschaftliche Verlag Práce unversehens an, Chefredakteur der soeben verwaisten Wochenzeitung Dikobraz, also »Stachelschwein« zu werden. Er war zweiundzwanzig Jahre alt, und seine ganze Berufserfahrung bestand aus drei Jahren in der Jugendredaktion des Rundfunks, trotzdem nahm er die Stelle ohne langes Zögern an. Wieder einmal lockte ihn unwiderstehlich ein Sprung von einer großen Schanze, dieses Mal schon im Bewusstsein eines kalkulierten Risikos. Es sollte ein Sprung sein, der den reifenden Künstler endgültig von der Nabelschnur einer Gruppe losriss, die doch nur aus Amateuren bestand, und ihn zu höheren professionellen Zielen führte; und es sollte auch ein Sprung sein, der ihn vor den Augen jenes hinreißenden Mädchens emporträgt, das gerade einwilligte, seine Frau zu werden.

Das »Stachelschwein« war zuvor eine typische humoristische Zeitschrift gewesen, und ihre überwiegend nichtkommunistischen Redakteure hatten ihr sämtliche Zähne gezogen, aufgrund der berechtigten Angst, sie könnten irgendwo anecken, auch wenn der Übermut neuer Parteibonzen, welche die öffentliche Kontrolle vermissten, immer mehr nach Satire schrie. Was sich die Unparteiischen nicht erlauben konnten, das konnte sich nun der junge Parteibarde herausnehmen, und deswegen musste er es auch tun. Das Magazin kämpfte unaufhörlich gegen die westlichen ›Kriegshetzer‹, aber es fuhr auch – zur Überraschung des Herausgebers – die Stacheln aus gegen jene, die in der Heimat, um an Macht und Eigentum zu kommen, schamlos die Privilegien der neuen Klasse ausnutzten. Was aus heutiger Sicht als eine kaum vernehmbare seismische Erschütterung erscheint, war der Auftakt eines Erdbebens, das die Poeten von allen scheinbaren Sicherheiten befreien und sie dadurch ersetzen sollte, was ihn bis zum Lebensende begleiten wird: die permanente Verunsicherung, die jeden Morgen dazu provoziert, sie während des Tages durch die Taten so weit zu überwinden, dass man am Abend mit dem, was ihr übrig bleibt, einschlafen könnte.

Die Durchsetzung der kritischen Rubrik »Auf die Stacheln!«, in diesem Ausmaß der ersten in der totalitär gleichgeschalteten Presse, erschütterte die Selbstsicherheit der angegriffenen Apparatschiks, die sich für unantastbar hielten. Ihr Geschrei, sie seien Opfer des Klassenfeindes oder gar Agenten des Imperialismus, prallte jedoch an dem harten Panzer der Popularität des Poeten ab und vor allem an seinem Parteiausweis, dessen Hauptvorzug darin bestand, dass er der ganzen Redaktion Immunität brachte. Der zweite Gewinn, mit dem er selbst nicht gerechnet hatte und der deswegen alle Höflichkeit und Bescheidenheit mobilisierte, war der Sympathiegewinn von Seiten der Elite tschechischer Humoristen und Satiriker, und vor allem des Schriftstellers Zdeněk Jirotka, Autor des zum Kult avancierten Romans Saturnin, der höchsten Respekt genoss. Der erklärte Demokrat mit der Haltung eines englischen Lords war der Erste von jener ›anderen Seite der Barrikade‹, der erkannte, dass es für den jungen Mann möglich war, sich dem kritischen Denken zuzuwenden, und er begann diskret und geduldig daran zu arbeiten.

Natürlich konnte er nicht vermeiden, dass in der Zeitschrift weiterhin blindgläubiger Blödsinn erschien, aber er stachelte seinen Chef, einen Grünschnabel, beharrlich an, in den sich verschärfenden Konflikten mit den Kritisierten unnachgiebig zu bleiben. Namentlich vor ihm hätte sich der junge Mann niemals erlaubt, die Klinken zu putzen und zu Kreuze zu kriechen. Im Nachhinein erfährt er, dass im Sommer 1952 eine Absprache der Gewerkschaftszentrale mit seiner Partei getroffen wurde, dass für ihn, obschon frisch verheiratet und werdender Vater und noch immer an der Hochschule studierend, entgegen der Praxis der Eintritt in den Grundwehrdienst nicht verschoben werde. Den erfahrenen Funktionären entging nicht, dass das enfant terrible gerade ordentlich scharfe Zähne bekam. Dies war der Vorbote des ersten ernsten Konflikts, der drei Jahre später ausbrechen sollte. Es blieb natürlich noch die Möglichkeit, mit der Philosophischen Fakultät, wo er die Mehrzahl der Prüfungen zwischenzeitlich schon abgelegt hatte, die übriggebliebenen Termine zu vereinbaren, aber da richtete zum ersten Mal das Alter das Wort an den jungen Mann: Er wäre dann an der Seite von Achtzehnjährigen als ein sechsundzwanzigjähriger Methusalem eingerückt. Er verpasste also auch die letzte Abzweigung, um das Studium abzuschließen. Dafür entschädigte ihn aber, dass diejenigen, die ihn beim Eintritt doch als einen skrupellosen Kommunisten gefürchtet hatten, sich wie von einem Sohn verabschiedeten. Zdeněk Jirotka wird es noch nach zwanzig Jahren bestätigen, wenn er ihm eine Petition für die Freilassung politischer Häftlinge unterschreibt und damit bei der neuen Macht selbst abgeschrieben wird.

Mein tolles Leben mit Hitler, Stalin und Havel

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