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18. Kapitel
ОглавлениеVon Olek zum Dialog
Kurz darauf, als nach Anbruch der neunziger Jahre die erste Liste der Mitarbeiter der Staatssicherheit in der wieder freien Tschechoslowakei erscheint, überrumpelt der Moderator einer westdeutschen Fernsehtalkshow den Gast aus Prag mit der suggestiven Frage: »Was sagen Sie dazu, dass Sie auch auf dieser Liste stehen?« »Wie hätte ich denn nicht darauf stehen sollen«, antwortet der Gast, »wo ich doch selbst geholfen habe, diesen Dienst zu gründen!«
Wenn jemand die Bastille erobert, den König absetzt, die Republik ausrufen lässt und sich gegen den Rest der Welt stellt, ist er logischerweise auch damit einverstanden, ein Komitee für das Allgemeinwohl einzurichten, das die Revolution verteidigen soll, und deswegen erscheint es ihm auch moralisch gerechtfertigt. Nicht anders haben nach 1948 diejenigen, die während des Krieges und kurz danach aus Überzeugung Kommunisten geworden waren, die neuentstandene Staatssicherheit aufgefasst, der sich auch gute Freunde andienten. In diesem Sinne hat sie auch unser Poet moralisch mitbegründet, und eine Zeit lang hatte er mit ihrer Existenz auch gar kein Problem. Die Logik der These, dass es notwendig sei, die »zarten und noch so zerbrechlichen Triebe des Sozialismus« gegen die Angriffsversuche der Imperialisten zu verteidigen, die »das Rad der Geschichte zurückdrehen« wollten, wurde auch jenseits des Ozeans von Stimmen wie der Chaplins, Arthur Millers, Oppenheimers und weiterer berühmter Künstler und Gelehrter bestätigt, die vor die Ausschüsse gegen nichtamerikanische Umtriebe gezerrt wurden, dass es an die Inquisition erinnerte. Die neue Isolation nährte vor allem die alten Ängste vor den immer stärker werdenden Deutschen. Die Psychose des Umzingeltseins rief zum Zusammenschluss der Treuen, zu denen natürlich auch die Bewaffneten mit und ohne Uniform gehörten, die Letzteren umso eher, weil auch die Russische, aber davor schon die Französische Revolution die schlimmsten Feinde in den eigenen Reihen fand.
Zu der Zusammenarbeit bewegte den Leiter des Julius-Fučík-Ensembles auch die Gewissheit, dass man gerade diejenigen Mitglieder abschirmen könne, auf die der ›Kaderschatten‹ ihrer Eltern fiel. Als die Passbehörde etwa zehn Leute von der Teilnehmerliste für das Jugendfestival in Berlin gestrichen hatte, machte es ihm gerade jener Kontakt möglich, das Innenministerium zu überzeugen, dass es ohne die Betroffenen unmöglich sei, eine Spitzenleistung zu garantieren. Der vom Ministerium zugewiesene Genosse, der sich bloß Ludva nannte, machte es noch leichter. Als Kommunist aus der Zeit, in der die Partei noch verboten gewesen war, war er ein gemachter Mann, überdies mit einer donnernden Stimme ausgestattet, aber auch mit der Fähigkeit, zuhören zu können. Die Einwände übermittelte er offenbar nicht nur, sondern unterstützte sie auch mit Erfolg; die Betroffenen vergalten es dann dadurch, dass niemals irgendjemand irgendwo im ›feindlichen Ausland‹ zurückblieb.
Die werdenden Reformatoren blieben eines schuldig, nämlich dass sie nicht schon damals mit gleicher Tatkraft Nachforschungen anstellten, wie sich die Strafe für die elterliche Abstammung mit der angeblich gerechtesten aller Gesellschaftsordnungen verträgt. Der geheime Patron richtete auch die Kritik des Dichters am schlechten Verhalten diverser Apparate aus, die allerdings immer noch entsprechend dem momentanen Zustand der Gesellschaft und seinem eigenen Denken ausfiel. Ludvas Verständnis für Fairplay bescheinigen viel später die Meldungen, wie sie die umfangreiche Akte im Pardubitzer Archiv der Staatssicherheit überliefert. Er wird den Dramatiker, sogar als die ›Normalisierung‹ ihren Höhepunkt erreichte, niemals als Feind und Verräter bezeichnen, wodurch er deutlich aus der Reihe seiner Kollegen tanzt.
Das Ende der Tätigkeit im Ensemble begründete auch den Antrag des Poeten, diese Zusammenarbeit zu beenden. Als Schriftsteller auf freiem Fuß, so führte er an, vermisse er den eigentlichen Sinn der geheimen Zusammenarbeit, wenn er seine Bemerkungen zur Kulturpolitik der Partei schon gleich als hoher Funktionär des Jugend- und Schriftstellerverbandes offen zur Sprache bringen kann. Die wichtigste Triebfeder war allerdings, dass auch das Vertrauen der überzeugten Kommunisten, zu denen er sich noch immer zählte, inzwischen durch die Erkenntnis erschüttert worden war, welche scheußliche Rolle der stalinistische Sicherheitsapparat innehatte, zu dessen Ableger sich die tschechische Staatssicherheit unverkennbar entwickelte. So wird sich die Akte Olek schließen, und nach zehn Jahren wird ihn die über zehntausend Seiten umfassende Monsterakte Dialog ersetzen, in der aus dem braven Genossen Jekyll nunmehr der ekelhafte Herr Hyde geworden ist.
Summa summarum: In dem Augenblick, als er begriff, dass sich die Staatssicherheit in eine Unsicherheit für sein Land und dessen Bürger verwandelt hatte, blieb er nicht nur bei dieser Feststellung, sondern entschied, sich ihr in den Weg zu stellen, auch mit dem historischen Bewusstsein, dass derartige Organe die Abtrünnigen am verbissensten verfolgen.
Es kommt ihm ganz logisch vor, dass gerade sein Offizier bei der ›Firma‹ keine ordentliche Karriere machen konnte und sie bald verließ. Die Pointe übertrifft jedoch die kühnsten Erwartungen. Als er ihn im Jahre 1999 mit Hilfe der Behörde zur Aufklärung und Dokumentation kommunistischer Verbrechen als Oberst Ludvík Arazim aufspürt und dieser bei einer Tasse Kaffee durchaus glaubhaft seine Lebensgeschichte erzählt, macht er seinem ›Objekt‹ ein überraschendes Angebot. Dass die Glocken für die große Sowjetunion definitiv ausgeläutet haben, begreift der Dramatiker, als Michail Gorbatschow, der vor kurzem noch Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion war und darum der zweitmächtigste Mann der Welt, mit seinem Enkel den Liebhabern des Fastfood in der Fernsehwerbung die Pizza-Hut-Kette empfiehlt. Und dass der allmächtige tschechoslowakische Geheimdienst unwiederbringlich der Vergangenheit angehört, demonstriert sein ehemaliger Offizier durchaus überzeugend, als er bei diesem letzten Treffen Kosmetikproben aus seiner voluminösen Aktentasche auf dem Tisch ausbreitet und fragt, ob er die Gattinnen ehemaliger Zielpersonen durch eine Heimpräsentation von Produkten der Firma, für die er jetzt arbeitet, erfreuen könnte.