Читать книгу Sechsmal Mord für den Strand: Sechs Kriminalromane - Pete Hackett - Страница 33
ОглавлениеAlfred Bekker: Mörderpost
"Los!", sagte Milo.
Mit einem mächtigen Tritt ließ ich die Tür des Apartments aufspringen. Den Griff meiner Waffe hielt ich beidhändig und ließ den Blick in Sekundenschnelle durch den Raum schweifen.
Nichts.
Eine Kommode, auf dem ein Telefon stand, eine Garderobe mit zwei Jacken daran und ein fleckiger Teppich, auf dem irgendwann einmal jemand eine halbe Flasche Rotwein vergossen haben musste.
Eine Tür führte in einen Nebenraum.
Sie stand halb offen.
"Vorsicht", raunte mein Freund und Kollege, Special Agent Milo Tucker. Auch er hielt die Waffe im Anschlag.
Mit einem Satz war ich neben der Tür und presste mich gegen die Wand. Gleichzeitig bellte ein Schuss in meine Richtung.
Es war die gewaltige Feuerkraft eines Magnum-Revolvers. Der Schütze feuerte einfach durch die Tür des Nachbarraums hindurch. Das Projektil riss ein faustgroßes Loch in die Tür, ehe es auf der anderen Seite des Raums einen Spiegel in Stücke gehen ließ.
Mit weiten Sätzen durchquerte Milo den Raum und riss die Tür zum Bad auf.
Er schaute in meine Richtung und schüttelte den Kopf.
"Hier ist das FBI!", rief ich indessen laut. "Nunez, wir wissen, dass Sie da drin sind! Geben Sie auf! Das Haus ist umstellt! Sie kommen hier nicht raus!"
Keine Antwort.
Auf der anderen Seite der zerschossenen Tür schien sich nicht das Geringste zu regen und die Stille, die dort herrschte, wirkte unwirklich.
Ich atmete tief durch.
Milo stellte sich auf die andere Seite der Tür.
Wir wechselten einen kurzen Blick.
Unser Gegner saß in der Falle - und das wusste er auch. Er hatte nicht den Hauch einer Chance, dieses Haus auf eine andere Weise zu verlassen, als in Handschellen.
Jeder andere hätte unter diesen Umständen vermutlich aufgegeben und sich lieber auf die Kunst der Anwälte als auf die eigenen Schießfertigkeiten verlassen.
Aber Nunez war ein ganz besonderer Fall...
Der Mann, mit dem wir es zu tun hatten, war eine lebende Kampfmaschine. Ein Mann, der in perfekter Weise zum Töten ausgebildet war und den Mord zu seinem Beruf erkoren hatte.
In Chicago hatte er einen Mann mit einer zusammengerollten Zeitschrift getötet, mit der er seinem Gegner den Adamsapfel eingedrückt hatte. Nunez war ein Mann, vor dem man sich in Acht nehmen musste - genau wie vor jenen, die sich seiner Dienste versichert hatten...
Niemand wusste, wie viele Menschen dieser Kerl umgebracht hatte, der einmal unter dem Namen Gabriel Nunez geboren worden war und seitdem unter Dutzenden von Identitäten gelebt hatte. Zuletzt hatte er eine Stellung als Barmixer gehabt.
Eine Tarnung, sowohl für ihn selbst als auch für jenen Mann, dessen Drecksarbeit Nunez zuletzt vermutlich verrichtet hatte: einen gewissen Ray Tarantino.
Nunez war eine Art Mischung aus Chamäleon und Bluthund. Als Chamäleon verhielt er sich uns gegenüber - den Bluthund spielte er für seine Auftraggeber.
Es war eine Tatsache, dass auch ein vielfacher Mörder nur einmal auf dem elektrischen Stuhl Platz nehmen konnte.
Nunez hatte nichts zu verlieren.
Und das machte ihn unberechenbar.
Er würde buchstäblich über Leichen gehen. In Pittsburgh hatte er sich vor zwei Jahren gegenüber vier G-men, die ihn festnehmen wollten, den Weg freigeschossen. Er kannte keine Rücksicht weder gegen sich selbst noch gegen andere.
Ich packte meine Waffe fester, als ich von der anderen Seite der Tür ein Geräusch hörte. Irgendetwas wurde geschoben...
Dann hörte ich Schritte...
Ich sah Milo an.
Mein Freund nickte.
"Jetzt", zischte ich.
Ein Tritt öffnete die Tür. Ich stürmte vorwärts. Sekunden zwischen Leben und Tod, in denen alles geschehen konnte.
Eine Gestalt kletterte durch das Fenster.
Weit aufgerissene, entschlossen dreinblickende Augen sahen mich an. Das Haar fiel ihm tief in die Stirn. Zwei Reihen makelloser Zähne bleckte er wie ein Raubtier.
Und in der Rechten hielt er den gewaltigen Magnum-Revolver, dessen 45er Kaliber einem den halben Kopf wegblasen konnte.
Nunez war schon halb aus dem Fenster heraus. Er hing noch mit der Kniekehle des rechten Beins auf der Fensterbank.
Seine Muskeln und Sehnen spannten sich. Vermutlich wollte er über die Feuertreppe entkommen.
"Waffe weg, Nunez!", brüllte ich.
Sekundenbruchteile lang hing alles in der Schwebe.
Aber Nunez war in jeder Hinsicht Profi.
Er wusste, dass er seine Waffe nicht mehr hochreißen und abfeuern konnte, bevor ich ihm eine tödliche Kugel in den Oberkörper gejagt hätte.
Er wusste es und deshalb löste sich die Spannung seiner Arm-Muskeln ein wenig. Sein Gesicht verzog sich zu einem hässlichen Grinsen.
Und dann ließ Nunez tatsächlich seine Waffe fallen. Mit einem harten Geräusch kam sie auf den Parkettboden auf.
"Zufrieden, G-man?", knurrte er.
Sein Gesichtsausdruck wirkte wölfisch. Es waren nicht die Züge eines Mannes, der gerade aufgegeben hatte und sich mit dem Gedanken anfreunden musste, sich bald vor einer Geschworenenjury zu verantworten.
"Kommen Sie ganz langsam wieder herein!", forderte ich.
Milo war neben mir und nahm den Walkie-Talkie aus der Manteltasche.
"Hier Agent Tucker. Wir haben ihn."
Ich machte einen Schritt nach vorne und sagte: "Sie sind verhaftet, Nunez. Sie haben das Recht zu schweigen. Falls Sie auf dieses Recht verzichten, kann alles, was Sie von nun an sagen, vor Gericht..."
"Spar dir die Litanei, G-man!", grunzte er.
Irgendetwas stimmt nicht, ging es mir durch den Kopf. Ich zermarterte mir in diesen Sekunden den Kopf darüber, was es wohl war... Mein Instinkt schlug Alarm und ich war immer gut damit gefahren, auf ihn zu hören. Ich ließ kurz den Blick schweifen.
Die Einrichtung war nichts besonderes. Vermutlich hatte Nunez das Zimmer möbliert übernommen. Kaufhausmöbel, die man selbst zusammenbauen musste. Nachgemachtes Kiefernholz. Die Sessel wirkten schon ziemlich abgenutzt und fast ein bisschen durchgesessen. Auf einem niedrigen Glastisch lagen einige Zeitschriften, deren Titelbilder zumeist nackte Frauen mit riesigen Brüsten zeigten.
Unruhe erfüllte mich.
Ich blickte wieder zu Nunez.
Er bewegt sich zu langsam!, durchfuhr es mich. Aber ich wusste nicht, wie ich das interpretieren sollte. Und dann war da dieses Geräusch...
Ein Ticken.
"Verdammt!", rief Milo.
In derselben Sekunde begriff ich es auch.
Mit einem ohrenbetäubenden Knall schien alles zu explodieren. Glas splitterte. Die Sitzecke flog in Fetzen auseinander.
Ein wahres Inferno brach aus.
Ich fühlte die mörderische Hitze und die Druckwelle. Hart kam ich auf den Boden. Durch das Chaos hörte ich Milos heiseren Schrei.
Nunez hatte uns hereingelegt!