Читать книгу Sechsmal Mord für den Strand: Sechs Kriminalromane - Pete Hackett - Страница 34
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Ich rollte mich auf dem Boden herum. Ich rang nach Atem.
Beißender Qualm ließ mich würgen. Ich rappelte mich hoch und riss die Waffe in Fensterrichtung.
Von Nunez war nichts mehr zu sehen.
Er hatte uns eiskalt abserviert.
Die kleine Sprengladung mit Zeitzünder hatte es ganz schön in sich gehabt. Nunez hatte sie offenbar einfach in einen Sessel gelegt. Kein Wunder, dass er gezögert hatte, in den Raum zurückzukommen. Er hatte gewusst, dass das Inferno nur noch Sekunden auf sich warten lassen würde...
Ein Schritt weiter und ich wäre zerfetzt worden.
Ich schaute nach Milo.
Er saß auf dem Boden, den Rücken gegen die Wand gelehnt.
Blut rann ihm in Strömen über die Stirn. Es tropfte auf sein Jackett und auf den Boden. Er ächzte.
Er sah mich an.
"Das ist nichts!", schrie er. "Irgend so ein verdammter Splitter!"
Er presste den Ärmel seiner Jacke auf die Wunde, um die Blutung zu stillen.
Ich hörte Schritte und wirbelte herum.
Zwei Kollegen kamen mit gezogener Waffe herein. Es handelte sich um Special Agent Medina und seinen Partner Clive Caravaggio.
Milo stand auf.
"Er ist weg", erklärte er.
Mit zwei Schritten war ich beim Fenster. Der Qualm biss in den Augen und ließ sie tränen. Dieser Kerl hatte genau gewusst, was er tat. Alles auf eine Karte. Das sah Gabriel Nunez ähnlich. Ein Killer ohne Pardon.
Ich sah hinaus.
Über den Fenstersims war Nunez offenbar bis zum Balkon der Nachbarwohnung gekommen. Halsbrecherisch!, dachte ich.
Und von dort hatte er die Feuerleiter erreicht.
Ich hörte seine klappernden Schritte auf den Metallrosten, sah ihn wie panisch hinabstolpern.
Nunez hob den Kopf.
Er feuerte ohne zu zielen. Ich duckte mich.
Die Kugel zerfetzte den Fensterrahmen dicht neben mir.
Offenbar hatte Nunez noch eine zweite Waffe dabeigehabt.
Bei einem wie ihm wunderte mich das nicht. Dem Einschussloch im Fensterrahmen nach war es ein kleinkalibrigeres Eisen.
Eine 22er vielleicht. Aber tödlich waren auch diese Projektile.
Ich feuerte zurück. Meine Kugel verfing sich irgendwo zwischen den Metallrosten der Feuertreppe und sorgte dort für einen Funken.
Nunez lief weiter.
Ich stieg auf die Fensterbank.
"Jesse, was hast du vor? Bist die wahnsinnig?"
Das war Agent Medina. Er sah mich ziemlich verwundert an.
Ich kletterte derweil aus dem Fenster und begann, mich den Sims entlangzubalancieren.
Ich sah hinunter.
Die Feuertreppe führte in einen Hinterhof. Ein Durchgang verband diesen mit der Hauptstraße. In diesem Fall war das die Rivington Street in der Lower East Side von Manhattan.
Unsere Leute hatten den Block abgeriegelt. Nunez würde nicht weit kommen.
Hoffte ich.
Ich sprang vom Fenstersims aus auf den Balkon der Nachbarwohnung. Dann war ich mit einem weiteren Satz auf der Feuertreppe. Ich hetzte hinunter, zwei drei Stufen mit einem Schritt. Nunez ballerte ungezielt in meine Richtung. Der Schuss ging ins Leere, kratzte irgendwo an dem ohnehin nicht mehr ganz taufrischen Putz.
Und dann brauste ein Einsatzwagen von der Rivington Street den Durchgang entlang bis in den Hof. Ein zweiter folgte.
Beamte mit Maschinenpistolen sprangen heraus und gingen in Stellung. Sie trugen die blauen Einsatzjacken des FBI und kugelsichere Westen.
"Stehenbleiben, Nunez!", rief ich. "Oder Sie sind ein Sieb.“
Der Killer zögerte.
Eine Treppe noch, dann wäre er unten gewesen.
Aber er wusste, dass das jetzt keinen Sinn mehr machte. Ans Aufgeben dachte er allerdings auch nicht. Nicht im Traum.
Eine schnelle Bewegung, ein Sprung...
Er machte einen Satz durch das nächste Fenster. Das Glas splitterte. Er schützte den Kopf mit dem Arm. Ich wusste, was er vorhatte. Er hoffte, in irgend einer der anderen Wohnungen dieses Blocks eine Geisel zu finden. Das war es.
Seine letzte Chance. Und er war skrupellos genug, sie beim Schopf zu packen.
Ich setzt nach, stolperte die Stufen hinunter. Auch in die Einsatzkräfte, die im Hof in Stellung gegangen waren, kam jetzt Bewegung.
Aber ich hatte das Fenster, durch das Nunez verschwunden war, schneller erreicht. Ich stieg hindurch. Die Wohnung schien verlassen zu sein. Es war kein Mobiliar in dem Raum, den ich betrat. Die Fußbodenbretter knarrten auf eine Weise, die in dieser Situation tödlich sein konnte. Ich schaute zur Tür. Sie stand offen. In dem Flur dahinter herrschte Halbdunkel, aus dem es plötzlich hervorblitzte.
Ein Schuss krachte.
Ich warf mich zur Seite und feuerte zurück. Dann rappelte ich mich auf. Ich spurtete los und presste mich neben der Tür gegen die Wand.
Ich lauschte.
Es war nichts zu hören.
Dann machte es klick.
Der Hahn eine Waffe wurde gespannt.
Ich blickte auf und sah direkt in den Lauf eines Revolvers. Nunez richtete ihn auf mich. Er war blitzschnell durch die Tür gekommen.
Er setzte alles auf eine Karte. Diese Wohnung war unbewohnt. Also war ich die einzige Geisel, die er hier nehmen konnte.
Er grinste wölfisch.
"Dumm gelaufen, was G-man!"
"Geben Sie auf, Nunez!"
"Um auf den Stuhl zu kommen und bei lebendigem Leib gegrillt zu werden? Darauf kann ich verzichten!"
"Es ist aus!"
Er setzte mir den Lauf seiner Waffe an den Kopf.
"Fallenlassen!", zischte er.
Ich ließ die Waffe sinken.
Unsere Leute hatten indessen das zertrümmerte Fenster erreicht. Sie erstarrten.
"Ich habe Ihren Mann!", rief Nunez. "Wenn sich einer von euch rührt, dann hat er keinen Kopf mehr."
Der Lauf seines Revolvers drückte hart gegen meine Schläfe.
Nunez packte mich bei der Schulter und zog mich mit sich hinter die Tür ins Halbdunkel.
Wir waren außerhalb des Schussfeldes der FBI-Leute.
"Keine gute Wahl, einen G-man als Geisel zu nehmen", knurrte ich.
"Ich konnte nicht sonderlich wählerisch sein." Er kicherte wie irre. "Seltsam nicht? Eigentlich hättest du doch gerade schon ins Gras beißen sollen... Wenn du nur einen Schritt weiter nach vorne gekommen wärst..."
Ein Geräusch ließ ihn zusammenzucken. Es kam von der anderen Seite der Wohnung, auf der sich vermutlich ein Flur befand. Vermutlich arbeiteten sich einige unserer Leute von dort an den Ort des Geschehens heran. Hoffte ich.
"Gib auf!", zischte ich.
Er schwitzte. Angst flackerte in seinen Augen. Er wirkte wie ein in die Enge getriebenes wildes Tier.
"Nimm deine Handschellen vom Gürtel! Aber langsam."
Ich gehorchte.
"Gib sie mir!"
Ich gab sie ihm. Er nahm sie mit der Linken.
"Wie heißt du?", fragt er.
"Trevellian. Jesse Trevellian."
"Ich glaube, ich habe schon von dir gehört!"
"Schon möglich."
"Kannst du was für mich tun, G-man?"
"Ein Deal?"
Er nickte. "Ja."
"Dafür ist es reichlich spät, Nunez. Aber letztlich ist das Sache des Staatsanwalts."
"Und wenn ich euch einen ganz Großen ans Messer liefere?"
"Lass mal hören!"
"Ray Tarantino. Das ist doch eine der großen Nummern, hinter der ihr alle her seid. Ihr seid nur zu dumm, ihm wirklich etwas anzuhängen..."
"So?"
Geschwätz, dachte ich. Nichts als Geschwätz.
Er hatte wirklich Angst. Er sah, wie sich die Schlinge zuzog. Und ich wollte Zeit gewinnen. Meine eigenen Handschellen legte er jetzt mit der Linken um mein rechtes Handgelenk. "Jetzt den anderen Arm!", forderte er.
In dieser Sekunde ließ ich die Linke hervorschnellen. Mit einem gezielten wohl platzierten Hieb schlug ich ihm die Waffe zur Seite. Die darauffolgende Rechte traf ihn mitten ins Gesicht und schickte ihn auf die Bretter. Er taumelte rückwärts und stieß gegen die kahle Wand, von der der Putz blätterte. Schimmel fraß sich in den Stein hinein.
Nunez wollte die Waffe sofort hochreißen, aber ich war schnell genug bei ihm. Meine Hand klammerte sich um seinen Waffenarm und drückte ihn zur Seite. Ich schlug die Hand gegen die Wand, und die Waffe entfiel ihm. Im nächsten Moment bekam ich einen furchtbaren und ziemlich unerwarteten Hieb in die Magengrube. Mir wurde schwarz vor Augen. Ich taumelte rückwärts und konnte dem nächsten Hieb nur notdürftig ausweichen.
Nunez hechtete zu der am Boden liegenden Waffe.
Er ergriff sie, riss sie herum.
Sein Finger spannte sich um den Abzug.
Er zielte auf meine Augen.
Und drückte ab.
Ich blickte direkt ins Mündungsfeuer, das in diesem Halbdunkel wie ein plötzlicher Blitz wirkte.