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(b) Marktstrukturwirkungen als Beurteilungsmaßstab
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Die Kommission spricht überhaupt nur an zwei Stellen ausdrücklich von einem „ökonomischen Ansatz“, nämlich in den Freistellungsleitlinien 2004.[129] Dort erläutert sie diesen Ansatz im Sinne einer Orientierung an den Marktauswirkungen. Das Kartellverbot des Art. 81 Abs. 1 EG [jetzt: Art. 101 Abs. 1 AEUV] sei nicht anwendbar, wenn die festgestellten wettbewerbswidrigen Auswirkungen unbedeutend sind. Darin komme der wirtschaftliche Ansatz zum Ausdruck.[130] Damit wird der auch vom ehemaligen Kommissar Monti betonte „Wirkungsansatz“ (effects-based approach) angedeutet, der allerdings so lange nichtssagend ist, wie nicht klargestellt wird, welche Auswirkungen worauf entscheidend sein sollen. Insofern heißt es in den Freistellungsleitlinien 2004 der Kommission konkreter, es komme auf die Auswirkungen auf dem betreffenden Markt an, wobei die Kommission negative Auswirkungen auf die Wettbewerbsparameter (Preise, Produktionsmenge, Innovation oder Vielfalt und Qualität der Waren und Dienstleistungen) in den Vordergrund stellt.[131] In diesem Zusammenhang betont die Kommission aber auch, dass solche Auswirkungen von einer Verminderung des Wettbewerbsdrucks zwischen den Parteien einer Vereinbarung oder zwischen ihnen und Dritten ausgehen können.[132] Derartige Beschränkungen hätten eine Fehlallokation der Ressourcen zur Folge und sie führten auch zu einem Rückgang des Wohlstands der Verbraucher, weil diese höhere Preise für die betreffenden Waren und Dienstleistungen bezahlen müssten.[133]
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Aus diesen Formulierungen wird deutlich, dass die Kommission einen Wirkungszusammenhang sieht zwischen
– | einer Verminderung des „Wettbewerbsdrucks“ (die nur aus einer Beeinträchtigung des Rivalisierens von Konkurrenten resultieren kann, dh aus einer Verschlechterung der Marktstruktur), |
– | den negativen Auswirkungen auf Preise, Mengen, Qualitäten, Vielfalt und Innovation als den wesentlichen Wettbewerbsparametern, sowie |
– | der Fehlallokation von Ressourcen, dh der Beeinträchtigung der Effizienz und des Wohlstands der Verbraucher (Konsumentenwohlfahrt). |
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Dass ein solcher Wirkungszusammenhang in abstracto besteht, gehört zu den gesicherten Erkenntnissen der Ökonomik, die niemand bestreitet. Ob sich dieser Zusammenhang allerdings auch in concreto derart nachweisen lässt, dass einem ganz bestimmten unternehmerischen Verhalten unmittelbar ganz bestimmte Wohlfahrtswirkungen zugeordnet werden können, steht auf einem ganz anderen Blatt. Das ist bereits weiter oben prinzipiell in Frage gestellt worden (siehe oben Rn. 350 ff.). Der klassische Ansatz bei der Marktstruktur hat nicht zuletzt seinen guten Grund darin, dass schon die Auswirkungen auf die Wettbewerbsparameter nicht umfassend und zuverlässig gemessen werden können, geschweige denn die Veränderungen der Konsumentenwohlfahrt. Nach den programmatischen Formulierungen der Kommission ist ohnehin völlig offen, welchen Aspekt des abstrakten Zusammenhangs zwischen Wettbewerb, Wettbewerbsparametern und Wohlfahrtswirkungen sie letztlich als wettbewerbsrechtlichen Maßstab für die Beurteilung eines konkreten unternehmerischen Marktverhaltens für relevant hält. Ist es die Minderung des „Wettbewerbsdrucks“ unter den Marktteilnehmern, dh die Verschlechterung der Marktstruktur? Sind es die negativen Auswirkungen auf Preise, Mengen, Qualitäten etc.? Oder sind es die Effizienzwirkungen, insbesondere die Auswirkungen auf die Konsumentenwohlfahrt? Die Kommission legt sich in keiner Weise fest. Jedenfalls ist den Kommissionsleitlinien nicht zu entnehmen, dass der „stärker ökonomische Ansatz“, soweit er sich an den „Marktwirkungen“ des jeweils zu beurteilenden Verhaltens orientieren soll, eindeutig und maßgeblich auf die Konsumentenwohlfahrt (den Verbraucherschaden) als Beurteilungskriterium abstellt.
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In ihren neueren Leitlinien tendiert die Kommission denn auch deutlicher zum Schutz „des Wettbewerbs“. So heißt es in den Vertikalleitlinien 2010, das Kartellverbot des Art. 101 AEUV solle sicherstellen, dass Unternehmen bestimmte Vereinbarungen nicht „zur Einschränkung des Wettbewerbs“ und damit „zum Nachteil der Verbraucher“ einsetzen.[134] Ganz ähnlich heißt es in den Horizontalleitlinien 2011, dass Vereinbarungen wettbewerbswidrige Auswirkungen haben, wenn sie „den Wettbewerb zwischen den Parteien der Vereinbarung oder zwischen einer der Parteien und Dritten verringern“ bzw. wenn sie die Parteien „in ihrer Entscheidungsfreiheit einschränken“.[135]