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(g) Fazit
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Der more economic approach bringt letztlich keine grundlegende Veränderung des im Unionsrecht maßgeblichen wettbewerbspolitischen Leitbildes mit sich. Es bleibt dabei, dass die allokative, produktive und dynamische Effizienz wirtschaftlicher Aktivitäten stets eine Folge wirksamen Wettbewerbs ist, die sich einer direkten Quantifizierung entzieht. Schon aus normativen Gründen lässt sich das Vorliegen einer Wettbewerbsbeschränkung nicht anhand direkt messbarer Ineffizienzen (insbesondere in Form von Wohlfahrteinbußen der Verbraucher) bestimmen. Auch aus praktischen Gründen stößt die präzise Feststellung solcher Effizienzwirkungen aufgrund umfassender Preis/Mengen-Analysen oder exakter Verhaltensprognosen auf Grenzen, die sich allenfalls in begrenztem Umfang und dann auch nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand überwinden lassen. Es gilt vielmehr, die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs als offenes Interaktionssystem und als Entdeckungsprozess gegen Abschottung und wettbewerbswidrige Strukturveränderungen zu schützen und die Chancen der konkurrierenden Marktteilnehmer zu gewährleisten, ihre überlegene Leistungsfähigkeit zu beweisen. Dieser Ansatz kommt mit aller Deutlichkeit sogar in den Freistellungsleitlinien 2004 zum Ausdruck, wo es heißt:[166]
„Letzten Endes wird dem Schutz des Wettstreits und dem Wettbewerbsprozess Vorrang eingeräumt vor potenziellen wettbewerbsfördernden Effizienzgewinnen, die sich aus wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen ergeben könnten. In der letzten Voraussetzung des Artikels 81 Absatz 3 [jetzt: Artikel 101 Absatz 3] wird die Tatsache anerkannt, dass die Rivalität zwischen Unternehmen eine wesentliche Antriebskraft für die wirtschaftliche Effizienz, einschließlich langfristiger dynamischer Effizienzsteigerungen in Form von Innovationen, ist. Mit anderen Worten, der Schutz des Wettbewerbsprozesses bleibt das eigentliche Ziel von Artikel 81 [jetzt: Artikel 101] und zwar nicht nur auf kurze, sondern auch auf lange Sicht. Wenn der Wettbewerb ausgeschaltet wird, kommt der Wettbewerbsprozess zum Stillstand, und die kurzfristigen Effizienzgewinne werden von langfristigen Verlusten überlagert, die u.a. durch Ausgaben zur Erhaltung der Marktposition etablierter Unternehmen, durch die Fehlallokation von Ressourcen, durch Rückgang von Innovationen und durch höhere Preise verursacht werden.“
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Die Rivalität zwischen Unternehmen als Antriebskraft für wirtschaftliche Effizienz betrifft aber nur eine Seite des Marktes. Ihr Pendant auf der Marktgegenseite ist die Auswahlfreiheit der Konsumenten. Nur sie gewährleistet die Ausrichtung der Produktion an den Interessen der Konsumenten, deren Befriedigung schon Adam Smith als letzten Zweck des Wirtschaftens herausgestellt hat:[167]
„Konsum ist der einzige Sinn und Zweck aller Produktion; und das Interesse des Produzenten sollte nur insoweit berücksichtigt werden, als es für die Förderung des Konsumenteninteresses nötig sein mag. Diese Maxime ist so selbstverständlich, dass es unsinnig wäre, sie beweisen zu wollen.“
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Wirtschaftliche Effizienz im Sinne der Präferenzgerechtigkeit der Ressourcenverwendung (allokative Effizienz), der Kosteneffizienz der Produktion (produktive Effizienz) und der wachstumsfördernden Innovation (dynamische Effizienz) ist letztlich nichts anderes als eine Umschreibung des Interesses der Konsumenten an Produkten, die ihren Präferenzen entsprechen, die möglichst kostengünstig hergestellt und ständig verbessert werden. Der dafür erforderliche Anpassungsdruck geht allein von der Auswahlfreiheit der Konsumenten aus. Der Schutz des Wettbewerbs muss daher nicht direkt an der Konsumentenwohlfahrt (consumer welfare), sondern an der Auswahlfreiheit der Konsumenten (consumer choice) ausgerichtet werden, aus der die Konsumentenwohlfahrt als indirektes Ergebnis des Wettbewerbsprozesses resultiert. Die Faktoren, welche die Konsumentenwahl beeinflussen sind mehrdimensional und umfassen nicht nur Preise und Mengen, sondern insbesondere auch Qualität, Produktvielfalt, Service und Innovation. Zweck des Wettbewerbsschutzes ist die Steuerung der Produktion durch die Konsumenten unter allen diesen Gesichtspunkten. Sie setzt die Offenhaltung des wettbewerblichen Interaktionssystems (der Marktstruktur) voraus. Diesem Zweck dient es, wenn die Wettbewerbsregeln verhindern, dass die Zahl der Wettbewerber auf der Angebotsseite durch Strategien reduziert wird, die nicht Ausdruck eines Leistungswettbewerbs sind. Die Bewahrung des Angebotswettbewerbs, so wie er sich jeweils darstellt, vor wettbewerbsinkonformen Eingriffen seitens der Anbieter selbst ist Voraussetzung für die entsprechende Auswahlfreiheit der Abnehmer und Konsumenten auf der Nachfragseite. Es gilt daher die Feststellung des EuGH,[168] dass
„die … Wettbewerbsregeln des Vertrags nicht nur dazu bestimmt [sind], die unmittelbaren Interessen einzelner Wettbewerber oder Verbraucher zu schützen, sondern die Struktur des Marktes und damit den Wettbewerb.“
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Wettbewerbsbeschränkungen sind somit letztlich stets Beschränkungen der Auswahlfreiheit der Konsumenten bzw. – weil diese Freiheit abhängig ist von der Marktstruktur – Beschränkungen ihrer marktstrukturellen Voraussetzungen. Bemerkenswerterweise ist dieser Zusammenhang in der Rechtsprechung der Europäischen Unionsgerichte stets gegenwärtig gewesen.[169]