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a. Koordinierung des Marktverhaltens
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Das folgende Kartellverbot normiert die wettbewerbswidrige Koordinierung des Marktverhaltens von Unternehmen. Die Vorschrift gliedert sich in einen Verbotstatbestand (Abs. 1) und einen Ausnahmetatbestand (Abs. 3):
Artikel 101 [ex-Artikel 81 Abs. 1 EG bzw. 85 Abs. 1 EWGV]
(1) Mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken, insbesondere
a) | die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- oder Verkaufspreise oder sonstiger Geschäftsbedingungen; |
b) | die Einschränkung oder Kontrolle der Erzeugung, des Absatzes, der technischen Entwicklung oder der Investitionen; |
c) | die Aufteilung der Märkte oder Versorgungsquellen; |
d) | die Anwendung unterschiedlicher Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen gegenüber Handelspartnern, wodurch diese im Wettbewerb benachteiligt werden; |
e) | die an den Abschluss von Verträgen geknüpfte Bedingung, dass die Vertragspartner zusätzliche Leistungen annehmen, die weder sachlich noch nach Handelsbrauch in Beziehung zum Vertragsgegenstand stehen. |
(2) Die nach diesem Artikel verbotenen Vereinbarungen oder Beschlüsse sind nichtig.
(3) Die Bestimmungen des Absatzes 1 können für nicht anwendbar erklärt werden auf
– | Vereinbarungen oder Gruppen von Vereinbarungen zwischen Unternehmen, |
– | Beschlüsse oder Gruppen von Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen, |
– | aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen oder Gruppen von solchen, |
die unter angemessener Beteiligung der Verbraucher an dem entstehenden Gewinn zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen, ohne dass den beteiligten Unternehmen
a) | Beschränkungen auferlegt werden, die für die Verwirklichung dieser Ziele nicht unerlässlich sind, oder |
b) | Möglichkeiten eröffnet werden, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb auszuschalten. |
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Das Kartellverbot des ursprünglichen Art. 85 Abs. 1 EWGV [später Art. 81 Abs. 1 EG, jetzt: Art. 101 Abs. 1 AEUV] war schon seit Inkrafttreten der Kartellverfahrensordnung von 1962 (KartellVO 17/62)[1] unmittelbar anwendbar. Die wettbewerbswidrige Koordinierung des Marktverhaltens von Unternehmen war daher verboten, ohne dass es dafür einer vorherigen Entscheidung bedurfte (Art. 1 VO 17/62). Dieses Verbot war somit von allen Organen der Union und ihrer Mitgliedstaaten (dh von Gerichten und Behörden) von Rechts wegen zu beachten und durchzusetzen. Demgegenüber hing die Anwendung des Ausnahmetatbestands des Art. 85 Abs. 3 EWGV bzw. 81 Abs. 3 EG [jetzt: Art. 101 Abs. 3 AEUV] von einer „Freistellungsentscheidung“ seitens der Kommission ab. Sie war ausschließlich zuständig, das Kartellverbot „für nicht anwendbar“ zu erklären (Art. 9 Abs. 1 VO 17/62), und zwar durch Entscheidung im einzelnen Fall (Einzelfreistellung) oder durch Verordnung für eine bestimmte Gruppe von Fällen (Gruppenfreistellung). Zwischen der unmittelbaren Anwendbarkeit des Kartellverbots in den Mitgliedstaaten und dem Freistellungsmonopol der Kommission bestand somit ein gewisses Spannungsverhältnis.
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Die neue Kartellverfahrensordnung von 2003 (KartellVO 1/2003)[2] hat an der unmittelbaren Anwendbarkeit des Kartellverbots nichts geändert. Sie hat aber einen grundlegenden Systemwechsel hinsichtlich der Freistellungskompetenz mit sich gebracht. Gem. Art. 1 Abs. 1 und 2 KartellVO 1/2003 gilt nunmehr der Grundsatz der integralen Anwendung des Art. 101 AEUV, dh das Kartellverbot des Abs. 1 greift nur ein, wenn die Voraussetzungen des Art. 101 Abs. 3 nicht vorliegen. Die Anwendung des Ausnahmetatbestands setzt keinen vorherigen Beschluss der Kommission mehr voraus. Demgemäß sind der Verbotstatbestand und der Ausnahmetatbestand gleichermaßen unmittelbar anwendbar. Dabei sind insbesondere zahlreiche ebenfalls unmittelbar anwendbaren Gruppenfreistellungsverordnungen zu beachten, durch die bestimmte Kategorien wettbewerbswidriger Vereinbarungen gem. Art. 101 Abs. 3 AEUV gruppenweise vom Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV freigestellt worden sind.