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(e) Reaktion des EuGH
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Kommissionsleitlinien können keine normative Verbindlichkeit für sich in Anspruch nehmen. Sie sind keine Rechtsakte, die das primäre oder das sekundäre Unionsrecht ändern können. Sie bringen zwar die von der Kommission für richtig gehaltene Interpretation der Wettbewerbsregeln zum Ausdruck, sie können aber die allein verbindliche Auslegung durch den EuGH nicht präjudizieren. Dies bedeutet aber umgekehrt, dass die Rechtsprechung des Gerichts und des Gerichtshofs der Europäischen Union von der Kommission zu beachten ist. Es ist daher nicht ohne Bedeutung, dass der EuGH in letzter Zeit wiederholt seinen bereits im Fall Continental Can formulierten Standpunkt bekräftigt hat, die Wettbewerbsregeln seien nicht nur auf Verhaltensweisen zu beziehen,
„durch die den Verbrauchern ein unmittelbarer Schaden erwachsen kann, sondern auch auf solche, die ihnen durch einen Eingriff in die Struktur des tatsächlichen Wettbewerbs, von dem Art. 3 Buchst. f EWGV [jetzt: Art. 3 Abs. 3 UAbs. I S. 1 EU iVm Protokoll Nr. 27 über den Binnenmarkt und den Wettbewerb] des Vertrages handelt, Schaden zufügen“.[143]
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Soweit der EuGH an dieser Stelle Verhaltensweisen erwähnt, deren Wettbewerbswidrigkeit auf einer unmittelbaren Schädigung der Verbraucher beruht, handelt es sich ausschließlich um die Fälle des Ausbeutungsmissbrauchs marktbeherrschender Unternehmen im Sinne von Art. 102 AEUV. Daraus lässt sich also keineswegs verallgemeinernd der Schluss ziehen, auch in allen anderen von den Wettbewerbsregeln erfassten Fällen hinge die Wettbewerbswidrigkeit von einer Schädigung der Verbraucher (dh einer Minderung der Konsumentenwohlfahrt) ab. In den Missbrauchsleitlinien 2009 anerkennt die Kommission das implizit selbst.[144]
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Nach der bisherigen Rechtsprechung des EuGH geht es also im Europäischen Wettbewerbsrecht in der Regel gerade nicht um direkten Verbraucherschutz, sondern um den Schutz eines „wirksamen Wettbewerbs“ (dh des Wettbewerbsprozesses und einer wettbewerblichen Marktstruktur). Die erwarteten positiven gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrtswirkungen sind hiernach das Ergebnis des Wettbewerbs und nicht das Ergebnis einzelner individualisierbarer unternehmerischer Handlungen, deren gesamtwirtschaftliche Wohlfahrtswirkungen erst durch den Wettbewerb vermittelt werden. Soweit die Kommission in den letzten Jahren demgegenüber den Eindruck vermittelt hat, die von ihr beabsichtigte „Modernisierung“ der Wettbewerbsregeln bestehe gerade darin, dass das Vorliegen eines Wettbewerbsverstoßes generell von negativen Effizienzwirkungen (insbesondere in Gestalt eines Verbraucherschadens) abhängig gemacht werden solle, verlässt sie die normativen Grundlagen der unionsrechtlichen Wettbewerbspolitik.
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Das hat inzwischen der EuGH mit seinem Urteil im Rechtsstreit GlaxoSmithKline/Kommission über die Wettbewerbswidrigkeit von Parallelhandelsbeschränkungen im Arzneimittelbereich[145] bestätigt. Er hat – entgegen dem EuG,[146] jedoch in Übereinstimmung mit den Schlussanträgen der Generalanwältin[147] – entschieden, dass die Verbraucherbenachteiligung kein Tatbestandsmerkmal des Kartellverbots des Art. 81 Abs. 1 EG [jetzt: Art. 101 Abs. 1 AEUV] ist und damit keine Voraussetzung für die Feststellung einer Wettbewerbsbeschränkung.[148] Und in seinem Urteil T-Mobile Netherlands[149] hat der EuGH mit aller wünschenswerten Klarheit konstatiert, dass
„die … Wettbewerbsregeln des Vertrags nicht nur dazu bestimmt [sind], die unmittelbaren Interessen einzelner Wettbewerber oder Verbraucher zu schützen, sondern die Struktur des Marktes und damit den Wettbewerb.“