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ОглавлениеAKT II
VERLORENE JAHRE – UND DIE VERWEIGERTE THEATERKONZESSION
Die Wohnung haben die Brüder Rotter um die Wende 1917/18 noch immer bei ihrem Vater am Kurfürstendamm 42. Fritz, der Jüngere, der als Regisseur im Rampenlicht steht, zeigt sich von überschäumendem Optimismus. Der Erfolg im Berliner Trianon-Theater ermöglicht ihm nicht nur eine Beteiligung an diesem Bühnenhaus, sondern auch gleich den Abschluss eines Pachtvertrags. Er braucht nur noch die Theaterkonzession, um die er sich offiziell im Polizeipräsidium bewirbt. Im Lebenslauf vom 14. Dezember 1917 schreibt er: „Trotz der großen Skepsis, mit welcher meinem Plan in Theaterkreisen begegnet wurde, ist mir in Gemeinschaft mit Herrn Direktor [Hans] Arnim die Ausführung meines Vorhabens in kurzer Zeit gelungen. Dank meiner persönlichen Beziehungen sind erste Künstler und Autoren für die Bühne gewonnen worden.“ Er selbst „halte dem Theaterunternehmen ein beträchtliches Kapital zur Verfügung, welches aber dank der ausgezeichneten Einnahmen nicht gebraucht wird und nur als Reserve dient“.1
Als erste Schwierigkeiten auftauchen, reicht er am 2. Januar 1918 ein abgeändertes Gesuch ein. Es wirkt schon wie ein verzweifelter Appell: „Ich bitte hiermit ganz ergebenst, mir die Konzession für das Trianon-Theater zu erteilen.“ Sein „Eintritt in das Trianon-Theater“ bilde „den vorläufigen Abschluss meiner fast 10-jährigen Bühnentätigkeit“: „Werke erster Autoren wie: Strindberg, Hermann Bahr, Hans Müller, Eduard Stucken, Henrik Ibsen, Hermann Sudermann und Ludwig Fulda wurden zu diesem Zwecke erworben, Schauspieler von Rang wie: Ida Wüst, Erich Kaiser-Tietz usw. verpflichtet. Meine Bemühungen waren nicht erfolglos. Ludwig Fuldas Lebensschüler verschaffte dem Theater einen großen künstlerischen und wirtschaftlichen Erfolg.“
Zu diesem Zeitpunkt wirkt Fritz längst auch als künstlerischer Direktor. Der Konzessionsinhaber des Trianon-Theaters, Hans Arnim, hat den „Beteiligungsvertrag“ mit ihm schon fast ein Jahr zuvor, am 6. Februar 1917, abgeschlossen. Das Schriftstück ist zwar von einem Rechtsanwalt „beurkundet“, erweist sich aber als „unzulässig“, da Fritz eine eigene Konzession als „Schauspielunternehmer“ noch fehle: Eine „Verfügung“ der Theaterabteilung im Polizeipräsidium schließt für ihn „leitende Befugnisse“ kategorisch aus. Deshalb sieht er sich gezwungen, selbst um eine Konzession „gemäß den Bestimmungen der Reichsgewerbeordnung (§ 32)“ zu „ersuchen“. Er legt kurze Empfehlungsschreiben bei, unter anderem ein undatiertes von Alfred Kerr, das sich offensichtlich auf die Vorkriegszeit bezieht: „Herr Fritz Schaie-Rotter hat als Bühnenleiter und Regisseur wertvolle dramatische Werke der Öffentlichkeit in ausgezeichneter Wiedergabe vermittelt. Von ihm ist an ersten Theater[n] Berlins ernste künstlerische Arbeit geleistet worden.“2 Auch eine Bestätigung des berühmten Altphilologen Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff fügt Fritz Rotter dem Gesuch hinzu: „Herrn Oberregisseur Sch[aie] Rotter bestätige ich auf seinen Wunsch, dass die Aufführung meiner Übersetzung von Euripides-Hippolytes, die vor einigen Jahren hier großen Beifall fand, gerade nach der Seite der Inszenierung meiner Ansicht nach von großem künstlerischem Verständnis und Geschick zeugte.“3
Die Theaterabteilung des Berliner Polizeipräsidiums zögert die Entscheidung hinaus und fordert – obwohl es sich nur um eine Konzessionsangelegenheit handelt – von Leipzig, Dresden und überallher Akten an und beginnt, Leute über Fritz und Alfred Rotter zu verhören. Rückblickend urteilt der Montag Morgen 1932, dass die „Erfolge“ der Brüder vor allem „einen ärgerten“: den „damalige[n] Chef der Theaterpolizei, Herr[n] von Glasenapp, der ja auch Max Reinhardt die Konzession hatte verweigern wollen, weil der in wilder Ehe mit einer Schauspielerin lebte. Er ließ die Militärverhältnisse der Brüder Rotter in Dresden durchforschen […].“4 Glasenapp schaffte es auch, die Bühnengenossenschaft gegen die Rotters auszuspielen. Die Nachforschungen über das Brüderpaar fasste die Theaterpolizei wie eine Anklage zusammen – und reichte sie am 20. Juni 1918 beim Königlichen Bezirkskommando V in Berlin ein, um doch noch eine Bestrafung der beiden zu erreichen. Und dies, obwohl Fritz und Alfred auch nach Eingeständnis der Theaterpolizei 1916 „durch Gerichtsbeschluss außer Verfolgung gesetzt und aus der Untersuchungshaft entlassen“ worden sind.5 Die Beschuldigungen von Glasenapp gegen Fritz finden sich auch in einem zweiundzwanzigseitigen „Beschluss“ vom Juni 1918 zur Ablehnung seines Gesuchs („Der Antragsteller hat sich als unzuverlässig im Sinne des § 32 der Reichs-Gewerbeverordnung erwiesen“), das aber nie verschickt wurde – weil Fritz Rotter das Gesuch selbst zurückzog.6
Unter der Ägide der Theaterabteilung von Glasenapps wurde plötzlich jede mögliche Instanz – Staatsanwaltschaft, Militärgericht – gegen die „Gebrüder Schaie“ mobilisiert, alles nur, weil sich die Theaterabteilung „mit der Frage der Zuverlässigkeit der beiden Brüder Fritz und Alfred Schaie amtlich zu befassen“ hatte.7
In den Büros des Polizeipräsidiums am Alexanderplatz verfasst Regierungsrat Klotz als Dezernent von Glasenapps die Berichte: „Das ganze Verhalten des Fritz Schaie ist als ein arglistiges anzusehen und lässt erkennen, dass er die Gesetze nicht achtet […].“ Er habe sich bereits 1917/18 am Trianon-Theater, wo er „Teilhaber“ ist, „unter seinem sogenannten Künstlernamen Rotter als ‚Direktor‘ bezeichnet“.
Der Konzessionsantrag wird abgelehnt. Daran ist auch ein Denunziationsschreiben vom 4. Februar 1918 nicht unschuldig. Hetzerisch fordert der mit „mehrere Schauspieler“ gezeichnete Brief: „Es wäre ein Akt wider die guten Sitten, wenn sich Fritz Schaie durch jüdische Manipulationen in ein gutes Licht setzte, die Behörden täuschte und somit die Konzession doch bekommen würde.“ Die anonymen Bühnenkollegen erreichen beinahe, dass Fritz Rotter im Sommer 1918 noch einmal verhaftet wird, hätte ihn nicht, ganz ohne Simulation, die spanische Grippe mit lebensgefährlicher doppelseitiger Lungen- und Rippenfellentzündung für lange Wochen ans Bett gefesselt – „mit Bewusstseinstrübungen und Herzschwäche“. Erst im August 1918 ist er über den Berg. Sein Arzt verordnet ihm „zur Wiederherstellung seiner Kräfte“ eine „mehrmonatige Sanatoriumsbehandlung in Wiesbaden“. Noch am 11. Oktober 1918 hat „ein Schutzmann“ Fritz Schaie „wegen angeblicher Kontrollentziehung festnehmen“ wollen. Ohne die Novemberrevolution 1918 wäre sein Fall sogar vor die „Ersatzbehörde“ gekommen. So gehören auf ihre Weise auch Fritz und Alfred, obwohl ihnen die Front erspart geblieben ist, zur verlorenen Generation. Abschütteln lässt sich keines der Kriegsjahre.
NOVEMBERREVOLUTION 1918 UND IHR ENDE: EIN GANZ PERSÖNLICHER KAMPF MIT DER THEATERPOLIZEI
Biografien sind nie gänzlich festgelegt: Im Frühsommer 1918, kurz nach dem Scheitern der Bemühungen um eine eigene Spielerlaubnis, verblüffen die Brüder Rotter die Öffentlichkeit mit der Meldung, sie wollen vom Theater weg zum Film. Absichten für Kinovorführungen bekundet Alfred schon 1915 in Dresden. Im Juni 1918 berichtet eine Zeitung, dass sich unter „dem Namen Trianonfilm-Gesellschaft […] ein neuer Filmkonzern gebildet [hat], an dessen Spitze Herr Alfred Schaie-Rotter als Generaldirektor steht. Der Konzern wird eine Filmfabrik, ein Film-Verleih-Institut und den Betrieb mehrerer Kinotheater umfassen.“8
Dieser Ausweg bietet sich geradezu an. Offenbar ist ihr Vater bereit, den künstlerisch und unternehmerisch gleich stark beseelten Söhnen aufs Neue unter die Arme zu greifen. Doch die schwere Erkrankung Fritz Rotters und die Wirren der nachfolgenden Revolutionsmonate verhindern die Umsetzung der Pläne. Darin steckt eine Tragik: Der Film, der in hohem Maße international ist, hätte ihnen nach 1933 eine Zukunft auch außerhalb Deutschlands eröffnet, anders als das Theater.
Der Kaiser dankt ab, die Republik wird ausgerufen. Am 9. November 1918 wird Friedrich Ebert Reichskanzler, am 11. Februar 1919 Reichspräsident. Die Novemberrevolution 1918 ändert den Ton. „Arbeit ist die Religion des Sozialismus“, erklärt Ebert in einer Ansprache am 10. Dezember 1918. Der Schriftsteller Eduard Bernstein von den abgespaltenen Unabhängigen Sozialdemokraten hält an einem Samstag, am 28. Dezember 1918, im Großen Saal der Philharmonie einen Vortrag Was ist Sozialismus?, und die Vossische Zeitung resümiert ihn sogleich in der Sonntagsausgabe: „Man könne das Wesen des Sozialismus am besten mit dem Begriff ‚Solidarität‘ zusammenfassen. Die Hauptforderung der Arbeiterschaft sei die Aufhebung jeder Klassenvorrechte und die Beseitigung der kapitalistischen Monopole zugunsten der Steigerung der Bedürfnisse von Staat und Gemeinde, ein Ziel, welches die Sozialisten aller Länder schon vor dem Kriege angestrebt hätten. Der Krieg habe nun den Weg zu einer organischen Umbildung der alten Verhältnisse geebnet.“
Der Spartakusbund um Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg fordert ein Rätesystem und schreitet am 30. Dezember 1918 zur Gründung der KPD. Die Deutsche Demokratische Partei demonstriert schon tags davor gegen solche Pläne – „an der Siegessäule“, die noch auf dem Königsplatz vor dem Reichstag steht.9
Unter diesen radikal neuen, verwirrenden Verhältnissen werden Fritz und Alfred Rotter in der Entscheidung zwischen Film und Theater wieder schwankend. Denn die ersehnte Schauspielkonzession scheint Fritz in der günstigen Stunde der Novemberrevolution doch wieder möglich. Sie schicken ihren Anwalt Fritz Grünspach vor den „Vollzugsrat des Arbeiter- und Soldatenrates Berlin“. Dieser Vollzugsrat beschafft sich in der Theaterabteilung des Polizeipräsidiums Einblick in die Akten und stellt über Fritz Rotter klar: „Ein völlig unbescholtener Mann, der […] die […] für einen Theaterleiter erforderliche Zuverlässigkeit, Sachkenntnis und materielle Grundlage in hohem Maße besitzt, wurde völlig grundlos durch offenbare Rechtsbeugung in der Ausübung seines Berufes gehindert; Spitzelwesen und Denunziantentum trieben dabei ihr bekanntes Spiel. Der vorliegende Einzelfall zeigt das Polizeisystem des gestürzten Regimes von seiner verwerflichsten Seite.“ Unterzeichnet ist diese Stellungnahme vom November 1918 von Oskar Kanehl: Er ist Lyriker der Zeitschrift Die Aktion; dem Vollzugsrat gehört er als Vertreter des Spartakusbundes an; Franz Pfemfert zufolge wird Kanehl dem „Genossen Liebknecht in die Gruft“ nachrufen: „Du lebst. Denn deine Proletarier leben!“ Kanehl ist ein trotzkistisch eingestellter Kommunist.