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SALONKOMÖDIEN – DAS SPIEL GEHT WEITER

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Von jetzt an nennen sich Fritz und Alfred nur noch Rotter, nicht mehr Schaie, behalten aber in Oberregierungsrat von Glasenapp ihren unversöhnlichsten Gegner. Möglicherweise gibt diese ernüchternde Begegnung mit der Sphäre der Macht den Ausschlag dafür, dass die beiden Brüder sich fortan nicht mehr politisch äußern.

Aber sie spielen weiter. Nunmehr auch im Residenz-Theater, Blumenstraße 9, am Bahnhof Jannowitzbrücke, östlich vom Alexanderplatz. Am 18. März 1919 inszeniert Alfred Rotter dort Das höhere Leben, eine neue Komödie von Hermann Sudermann in vier Akten. Lola, die Hauptfigur, ist Pianistin; einst hat sie auf die Liebe eines bekannten Geigers verzichtet; nun lebt sie in Ehe mit einem eifersüchtigen Architekten, der glaubt, seine zwei Freunde hätten sich der Angetrauten „mit Liebesanträgen genähert“: „Ihr Männer“, sagt Lola im Schlussdialog, „seid wirklich nur im Plural zu gebrauchen – […] dazu da, die nötige Reibung abzugeben, damit unsere Persönlichkeit sich ihrer bewusst wird. Dann haben sie gelegentlich Blitzableiter zu sein für unsere seelischen – und auch unsere körperlichen Spannungen […]. Wir Weiber sind jahrtausendelang das Spielzeug des Mannes gewesen – sind genommen, betrogen und verlassen worden, wie’s jedem Narren und jedem Taugenichts beliebte. Jetzt haben wir gelernt, Rache an euch zu nehmen, indem wir den Spieß umdrehen. Jetzt nehmen, betrügen und verlassen wir euch – ganz wie’s uns nützlich scheint oder Spaß macht.“ Sudermanns Das höhere Leben steht unübersehbar unter dem Einfluss von Nietzsche und erscheint wie ein in die Komödie gewendeter Ibsen oder Strindberg. Ihrem Mann, der zu tragischen Gefühlen neigt, sagt Lola im zweiten Akt: „Ach, es ist so traurig. Was für Hoffnungen hab ich auf dich gesetzt! Was sollte das für ein Leben werden an deiner Seite! Ein Rausch – ein Empor zu den Gipfeln! … Und nun diese Plattheit des Alltags!“

Fritz bleibt seit der Grippe-Erkrankung als Regisseur zunächst im Hintergrund. Für ein formelles Konzessionsgesuch bemüht er sich im Frühjahr 1919 noch um zwei ärztliche Zeugnisse – wegen der alten Lazarett-Geschichte 1916/17. Das eine Gutachten ist kulturgeschichtlich bedeutsam, da es von Magnus Hirschfeld stammt, „Spezialarzt für nervöse und psychische Leiden, Berlin-Moabit, In den Zelten 191“: „Die vorübergehende Triebstörung, an der Herr Fritz Schaie im März 1916 litt, beruhte auf einer durch die militärischen Verhältnisse bedingten seelischen Depression und war im übrigen in keiner Weise geeignet, eine Person in geistiger oder gar sittlicher Beziehung herabzusetzen. Das damalige Leiden ist jedenfalls jetzt völlig behoben.“16

Der ältere Bruder Alfred leitet unterdessen die Bühnenarbeit. Sowohl im Trianon-wie neu auch im Residenz-Theater ist Direktor Arnim den finanziell beteiligten Rotters weiterhin gewogen. Doch das scheint wenig zu nützen. Einmal mehr greift von Glasenapp zu einem Manöver und droht Direktor Arnim den Entzug seiner Spielkonzession an, wenn es nicht zur „Gründung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung zum Zwecke des Theaterbetriebes“ komme. So jedenfalls halten die Rotters den Sachverhalt in ihrer Klageschrift an den Polizeipräsidenten vom 15. April 1919 fest: Glasenapp habe verlangt, dass „wir mit unserem Namen weder in dem Gründungsvertrage noch sonst in die Erscheinung treten“. „Es wurde also von uns ein juristisches Scheinmanöver verlangt“, „mit Ausschluss unseres Namens“, obwohl sie „die Pächter des Theaters seien“. Die Brüder beteuern, ein „behördlicher Eingriff“ sei nicht „erforderlich“, das beweise „der ausgezeichnete Gang derjenigen Theater, an denen wir künstlerisch und wirtschaftlich interessiert sind, nämlich des Trianon-Theaters und des Residenz-Theaters“.

Den Rotters wird später die undurchsichtige Schachtelkonstruktion ihrer Bühnen stets angekreidet – diese ist aber, das zeigen die Akten, „auf Verlangen des Herrn Dezernenten der Theaterabteilung erfolgt“.17 Oberregierungsrat von Glasenapp beruft sich auf andauernde, möglicherweise auch nur vorgeschobene Klagen der Bühnengenossenschaft und droht am 11. April 1919, vier Tage vor der Einreichung der Klageschrift durch die Rotters, bereits mit der zwangsweisen Schließung des Trianon-Theaters.

Der SPD-Polizeipräsident unterschreibt daraufhin nicht nur brav, dass die Bühne zum 28. April 1919 den Betrieb einzustellen habe, sondern verfügt auch: „Das Polizeirevier ist angewiesen, von diesem Datum an den Verkauf von Theaterbilletts und den Besuch des Theaters durch das Publikum zu verhindern.“ Ein beispielloser Akt für die Theaterstadt Berlin – nur wenige Wochen nach dem Ende der Revolution. Von Glasenapp hat dem Polizeipräsidenten erfolgreich eingeflüstert, dies geschehe „mit Rücksicht auf das Gemeinwohl, welches die Duldung eines ungesetzlichen Zustandes unzulässig erscheinen lässt“, deshalb werde „die Verfügung […] auch dann zur Ausführung gebracht“18, falls sie von den Rotters angefochten werde – und von Glasenapp bekommt auch für diesen Passus die Unterschrift des Polizeipräsidenten. Da aber meldet sich das von Arbeitslosigkeit bedrohte Ensemble zu Wort. In einem überraschenden Umschwung wird dem Trianon-Ensemble eine „Notkonzession“ für einen „von ihm präsentierten Vertrauensmann“ erteilt. Und das Ensemble wählt „als Vertrauensmann des Personals“ – Alfred Rotter.

Der jüngere Fritz verschwindet in dieser Zeit von der Bildfläche, Alfred nimmt nach außen den Platz des anscheinend nicht mehr durchsetzbaren jüngeren Bruders ein. Beide aber wissen, dass die Zukunft noch vor ihnen liegt – und sie denken in weiten Zeiträumen: Im Juni 1919, eigentlich auf dem Tiefpunkt, schließen sie für das Jahr 1924 einen Pachtvertrag mit dem Besitzer des Lessing-Theaters, Victor Freiherr von Hartogensis. Bis dahin hat dort Direktor Victor Barnowsky „Hausrecht“.19 Diese Nachricht erreicht sogar das ferne Wien: „1924 ziehen Rotters ins Lessing-Theater ein – der Kreis ihrer Karriere schließt sich dort, wo er 1908 begonnen hat.“20

Alfred Rotter führt am 1. Oktober 1919 im Trianon-Theater das Stück Maskerade von Ludwig Fulda auf. 1904 als „Schauspiel“ entstanden, wird es nun als Komödie gegeben – mit Käthe Dorsch, die „von der Operette zum Schauspiel übergesprungen ist“. „Man erhält viel zu lachen und einiges zu weinen. Tränen der Rührung wechseln mit Schmunzeln und Ausbrüchen der Heiterkeit […].“21 Käthe Dorsch wird von den Rotters als Schauspielerin entdeckt und mit dieser Aufführung groß gemacht. „Unverändert gesellschaftskritisch“ sei der Titel des Stücks, „der die Heuchelei“ meine – „in sexuellen Dingen“, fügt die BZ am Mittag in Klammern hinzu.22

Mit einer Unterschriftensammlung vom 27. Oktober 1919 erzwingt das Ensemble des Trianon-Theaters die Umwandlung der Notkonzession Alfred Rotters in eine dauerhafte Spielerlaubnis. Auch Käthe Dorsch und Oskar Kanehl unterzeichnen. Der Deutsche Bühnen-Verein unter dem geschäftsführenden Direktor Baron zu Putlitz stimmt drei Tage später der Erteilung einer „Vollkonzession“ zu. Die Bühnengewerkschaft, die Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger unter Gustav Rickelt, unterschreibt ebenfalls. Rickelt gilt als sozialdemokratisch, hat aber unter dem Einfluss des Sperrfeuers von Glasenapps bislang gegen die Rotters Stellung bezogen. Nun die Kehrtwende: „[…] seit ca. 6 Monaten ist Nachteiliges über die Geschäftsführung des Alfred Rotter nicht bekannt geworden“, bescheinigen die Präsidenten beider Bühnen-Organisationen.

Mit neuer Zuversicht sichern sich Alfred und der in den Hintergrund getretene Fritz im November 1919 bei Frau Baronin Tilly von Hartogensis, der Witwe des inzwischen verstorbenen Lessing-Theater-Besitzers, sogar ein Vorkaufsrecht auf dieses ins Auge gefasste Prestigeobjekt. Ihre Zeit, das spüren sie, hat eben erst begonnen.

Wie sehr jeder der beiden als Person ein eigenes Profil entwickelt und sie beide sich doch als Bruderpaar ergänzen, hat der ehemalige Direktor des Deutschen Schauspielhauses, Alfred Lantz, gegenüber der Theaterabteilung im März 1918 so umschrieben: Er könne „nicht sagen, dass einer der beiden Brüder stark unter dem Einfluss des anderen gestanden hätte“.

Fritz und Alfred Rotter

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