Читать книгу Fritz und Alfred Rotter - Peter Kamber - Страница 36

DIE BEIDEN BINDELBANDS

Оглавление

1921 bis 1923 sind paradoxerweise günstige Jahre für die Theater, trotz verbreiteter Arbeitslosigkeit und Armut – gerade wegen der Geldentwertung, die seit Sommer 1921 zu immer neuen Teuerungswellen und im Sommer/Herbst 1923 zur Hyperinflation mit Billiarden-Mark-Scheinen führt: „Das Geld, das man heute in der Hand hatte, besaß morgen keinen Wert mehr“, erinnert sich Rotter-Regisseur Georg Altmann 1931. „Und so beeilte man sich, es heute noch auszugeben, um möglichst viele Genüsse dafür einzutauschen. Man fand diese Genüsse in den Theatern.“59

Georg Altmann, der nunmehr das Kleine Theater Unter den Linden für die Rotters führt, verlässt Deutschland 1933. An Goethes Todestag, dem 22. März 1933, wird er zum letzten Mal ein Stück inszenieren: Iphigenie in Hannover.

„Am nächsten Morgen teilten die Nazis dem Oberbürgermeister von Hannover [Dr. Arthur Menge] mit, dass sein Theaterdirektor Altmann des Abends im Gefängnis sein würde. Dr. Menge tat erstaunt. Warum? Was haben Sie gegen ihn? – Nichts! Wir kennen ihn ja gar nicht, wir wollen nur seine Stelle. – Dann genügt es doch, wenn ich ihn beurlaube! – Stimmt! Dann existiert er für uns nicht mehr. Am Mittag des Tages wurde diese Beurlaubung ausgesprochen, wobei ich den mir immer wohlwollenden Oberbürgermeister bedauerte, der gegen seinen Willen und wider besseres Wissen handeln musste.“60

Altmann emigriert nur wenige Tage später mit seiner Familie nach Brüssel, später nach Nizza und von dort 1938 nach San Francisco, wo er ab 1939 im Green Street Theatre Schauspielunterricht geben kann und als Erster überhaupt in den USA Brecht aufführt: Die Gewehre von Frau Carrar (1937) und den Einakter Der Spitzel (aus der später Furcht und Elend des Dritten Reiches genannten Sammlung). Altmann hat in Oxford studiert und kommt mit dem Sprachwechsel gut zurecht. Im Alter von achtundsiebzig Jahren stirbt er 1962 in Los Angeles.

Die Rotters gelten schnell als die Theatermacher der Inflationszeit. Zum einen wegen der Komödien und Lustspiele, die sie geben, sowie wegen der glänzenden Ausstattung der Stücke – die Lieferfirmen dürfen im Theaterprogramm für sich werben. Zum anderen liegt es an der Zusammensetzung ihres Publikums. Die Theaterkritiken der Zeit wirken wie Kulturspiegel – und am auffallendsten ist, wie sehr das Bruderpaar auf seinen Bühnen der Großstadt bereits jene Freizügigkeit vorführt, die danach erst zum weltbekannten Erkennungszeichen Berlins wird. Herbert Jhering jedoch attackiert diesen neuen Komödienstil als „Hoftheater für Revolutionsgewinnler“:

„Der Schauspieler als Exponent einer Schneiderfirma – er fehlte noch als Kunsterlebnis. Wenn in Wien früher der Darsteller (durch seine Haltung) die Mode schuf, so schafft die Mode in Berlin heute den Darsteller. Er steht bei den Rotters fettgedruckt auf dem Zettel. Aber da das Publikum durch denselben Zettel angehalten wird, ihn nach dem Modeatelier zu beurteilen, das ihm die Anzüge liefert, tritt an die Stelle des künstlerischen Ehrgeizes die Konkurrenz der Kleiderlieferanten. Die Kritik der Bügelfalte ersetzt die Kritik der Leistung. Der Schauspieler, scheinbar bei den Rotters zur höchsten Selbstständigkeit gekommen, wird in Wahrheit zum Ausstellungsgegenstand herabgesetzt.“61

Über die „Riesenpreise“ für einen Platz in einem der Theater der Brüder ärgert sich ausgerechnet der Berliner Börsen-Courier62, der die tieferen Ursachen für die Inflation doch bestens kennen müsste. Der Kollege Jherings beim Börsen-Courier, Theaterkritiker Emil Faktor, beobachtet im Kleinen Theater, dass „150 Mark für den Parkettsitz hingelegt wurden“: „Diese Preishochkonjunktur ist charakteristisch für die Momentanentwicklung der Theaterdinge – zurzeit eines der gefährlichsten Krankheitssymptome. Und wenn das neue Berlin eines Tages gesunden sollte, dann wird es auch wieder die Kraft gewinnen, die falschen Tempelhüter davonzujagen. So viel vorläufig über die Rotters.“63

Kurt Tucholsky rechtfertigt in der Weltbühne, dass Siegfried Jacobsohn in seinem Buch Jahr der Bühne die Rotters völlig übergeht: „Die Rotters: Nein. (Die Gebrüder Rotter sind kein Name, sondern ein Begriff.)“64 Noch deutlicher wird er in der Satire Rotters erste Reihe, die im Februar 1921 erscheint. Tucholsky, der ein Jahrzehnt später selbst zu Korpulenz neigt, zeichnet – ausgehungert und zornig – das Theaterpublikum der Rotters wie Gestalten in den Gemälden von Otto Dix:

„In den roten Sanftfotölchen schwimmen ungeheure Fettmassen; vorne oben schimmert matt etwas, das man allenfalls Gesicht nennen kann. […] Die Münder schlürfen den Brei, der da oben serviert wird. […] Ich achte gar nicht auf das, was da oben vorgeht: ich sehe immer nur die erste Reihe. Und die Gesichter fangen an, zu sprechen. Sie sagen: Wenn wir nur verdienen! Sie sagen: Jetzt sind wir dran. Sie sagen: Niederlage, militärische und geistige Katastrophen […] – wir sind der neue Kaufmannsstand. Alles, was wir je erträumt, ist robuste Wirklichkeit. Sie sagen: Na, haben wir nicht recht gehabt? […] Ist nicht alles gerechtfertigt, was wir je taten und träumten? Gottseidank: der Mensch ist schlecht. Und wir sitzen in der ersten Reihe. […] Die Herren, denen feiste Backen weit, weit über den Kragen auf das Smokinghemd hängen, rot durchblutete, gut rasierte Backen – die Herren atmen schwer, angestrengt eingesunken und ein wenig müde.“65

Zuvor schon, 1919, in einem anderen heftigen Text über die Rotters unter dem Titel Die beiden Bindelbands urteilt Tucholsky:

„Der Künstler ringt. […] Endlich ist die Zeit der sieben mageren Jahre um. Die fetten folgen. Fett für wen – ? Fett für die anderen. Fett für das Kino. Fett für die Bindelbands. […] Den, der jahre- und jahrelang bei seinem Entdecker und Förderer geschuftet hat in harter geistiger Arbeit […] – den nehmen sich die Bindelbänder und zeigen ihn dem erstaunten Publikum vor. Seht–! Da ist er –! Unser Wegener! Unser Moissi! Unser … Ihrer wars nicht. Es ist ein erpumpter Ruhm. […]. Wir erleben täglich, wie sich die ganze Rotte der Rotters vergeblich bemüht, auch nur ein Mal einen solchen Mann aus ihren Reihen erstehen zu lassen. Das kann man nicht, wenn man ins Publikum schielt.“66

„Fett“ ist damals ein Synonym für reich. Das war die früheste Kritik am Starsystem der Rotters, aber Kurt Tucholsky tut ihnen auch unrecht. Mit Hans Albers und Käthe Dorsch entdecken sie durchaus auch selbst große Talente. Das gesteht ihnen sogar Jhering zu: „Sie entdeckten tatsächlich Käthe Dorsch, und sofort war sie ihr Star“.67

Immerhin behält Tucholsky, anders als Jhering, eine kleine Zuneigung zu den Rotters, und die Bezeichnung „die beiden Bindelbands“ ist nie herzlos gemeint – nicht nur weil er sie für ebenso austauschbar wie unzertrennlich hält, sondern weil Tucholsky weiß, wie sehr sie vom populären jüdischen Theater in Berlin des Herrnfeld-Theaters an der Kommandantenstraße 57 beeinflusst sind (wie er selbst auch) – denn von jenem Brüderpaar Anton und Donat Herrnfeld, geboren 1866 und 1867 in Ungarn, stammt die legendär gewordene Verwechslungskomödie Die beiden Bindelbands aus dem Jahr 1908, auf die sich Tucholsky bezieht und deren Text als Zensurexemplar samt Gutachten im Landesarchiv Berlin erhalten geblieben ist.

Die beiden Bindelbands ist eine Burleske. Selbstverulkung ist bei den Brüdern Herrnfeld Programm. Im Gutachten, das die Theaterabteilung des Polizeipräsidiums Berlin jeweils bei externen Leuten bestellt, steht über das Stück: „Alwin Bomberger und sein Schwiegersohn Bondi Bindelband haben die gleiche Geliebte, und zwar die Barfußtänzerin Milli, die Braut des Verwandlungskünstlers Ganivet. Dieser tritt in der Maske seiner beiden Nebenbuhler auf, bringt diese dadurch in die größte Verlegenheit und ruft hierdurch allerhand komische Situationen hervor, bis sich schließlich alles in Wohlgefallen auflöst.“68 Mit ihren zwei jüngeren Schwestern Käthe und Ella treten die Herrnfeld-Brüder selbst in den Hauptrollen auf. Und sie sehen sich ähnlich genug, um sich als „Bindelbands“ zu doubeln. Der Zweiakter ist ein typisches Verwirrspiel mit vielen Türen im Bühnenbild, durch das die Figuren andauernd auf- und abtreten; alle schwindeln einander etwas vor; kaum jemand sagt in dem Schwank je die Wahrheit; dass die Geschichte dennoch aufgeht, ist sozusagen höhere Psychologie.

Tucholsky („Ich hatte mich im damaligen Herrnfeld-Theater krank und wieder gesund gelacht …“) ist insofern ein „Herrnfeld-Schüler“, als er 1913 in der Siegfried-Jacobsohn-Zeitschrift Schaubühne, später Weltbühne genannt, seinen ersten namentlich gezeichneten Text ausgerechnet über die Brüder Herrnfeld schreibt.

„Und alles, was sie – vielleicht ungewollt, nur im Hinblick auf die Kassenrapporte und das Lachen eines vollen Hauses – geben, ist dies Sicheinbohren und das Nie-auf-den-Grund-Kommen und das wundervolle Aneinanderreihen der Haupt- und Nebensachen. Alles andere ist unwesentlich […]. Ihre wahre Größe entfalten sie in den Konversationen. […] Sie spielen etwas, was es überhaupt nicht gibt. So bewegt sich niemand, so spricht kein Mensch, so etwas existiert nicht. […] Hier und da empfindet man wohl so etwas, schämt sich und steckt es weg. Diese sprechen es aus. […] Man brüllt. Über deplatzierte Wahrheiten.“69

Auch in Tucholskys bitterer Satire von 1920 Mitbürger/ Der Löw’ ist los! Wer ist daran schuld? Die Juden! Wählt die Deutsche Volkspartei! tauchen die Rotters als Bindelbands auf. Er schreibt unter dem Pseudonym Peter Panter:

„Das Leben in der Stadt war völlig umgekrempelt. Niemand wagte sich mehr aus dem Hause. […] Die Berliner Theaterdirektoren Bindelbands suchten verzweifelt den Löwen. Sie wollten ihn für den Shaw’schen Androklus engagieren. Sie fuhren von Straße zu Straße – kein Löwe. Feuerwehrautos klingelten durch die Gegend – kein Löwe. Der Löwe war fottefliegt. Der Löwe war gar nicht fort. Er war, des Wartens müde, aufgestanden, schlenderte nun durch die Straßen […]. Also das war Berlin! Dieser traurige Haufe von Steinkästen und schnurgeraden Straßen, die alle ein bisschen unsauber aussahen – das war das Weltdorf Berlin! Der Löwe schüttelte das Haupt. Da hatten ihm die Spatzen im Käfig wer weiß was erzählt […].“70

Tatsächlich inszenieren die Rotters damals, 1920, von George Bernard Shaw Androklus und der Löwe. Ein Märchen in drei Akten. Darin geht es um einen Dorn, den Androklus – bei Shaw ein christlicher Schneider – einem Löwen aus der schmerzenden Pfote entfernt, der ihn dafür zum Dank in der römischen Arena nicht frisst. Es rankt sich auch eine Anekdote um diese Inszenierung, die der Schauspieler Hubert von Meyerinck dem legendären Regisseur Max Reinhardt erzählt, als der 1924, eben zurück aus Amerika, Gast bei der Schauspielerin Else Eckersberg ist.71 Am Tisch werden Geschichten zum Besten gegeben, aber Hubert von Meyerinck will zunächst nichts einfallen. Da ruft Eckersberg ihm das Stichwort „Rotters!“ zu. Doch noch immer ist er unschlüssig. „Rotters?“, herrscht Reinhardt ihn daraufhin „fast böse“ an. „Sie wollen mir eine Geschichte von den Brüdern Rotter vorenthalten? Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst.“ Da erst legt Hubert von Meyerinck los und erzählt, dass bei der Generalprobe von Androklus und der Löwe das Stück „glatt und ohne Unterbrechung heruntergespielt“ worden ist, bis man „plötzlich“ die Stimme von Alfred Rotter „vernahm“. (Der Hauptdarsteller, so meint Else Eckersberg in ihren Memoiren, sei Bassermann gewesen, aber es ist – bei jenen Proben – Karl Ettlinger, der, anders als Meyerinck es berichtet, hierauf sofort kündigt.) Alfred Rotter sagt angeblich: „‚Herr Bassermann, entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche. Sie machten da soeben eine Bemerkung gegen die Schneider. Das geht nicht – es gibt so viele Schneider in Berlin. Sagen Sie lieber Sattler. Sattler sind nicht so zahlreich. Die Schneider könnten uns das übelnehmen. Bitte weiter.‘“ Gefragt, wie Bassermann darauf „reagierte“, fährt Hubert von Meyerinck fort: „Ach, der beachtete den genialen Hinweis seines Regisseurs gar nicht. Aber völlig aus der Stimmung gerissen, stampfte er ein paarmal mit dem Fuß auf und verhedderte sich mit seinem Text. Am Premierenabend saß ich dann in der hintersten Reihe direkt neben den Rotters. Sie waren so glücklich über die Stimmung im Hause, dass sie gar nicht bemerkten, wie Bassermann bei seinen Schneidern blieb. Und als am Schluss der Beifall einsetzte, riefen sie sich vor Begeisterung selber auf die Bühne.“ – „Was taten sie?“, fragt Reinhardt. – „Ja, sie klatschten wie wild in die Hände und schrien laut: ‚Bravo, Rotter – bravo Rotter!‘, und immer wieder: ‚Rotter!‘ Das Publikum verlangte natürlich nur nach Bassermann, aber Alfred Rotter war nach hinten gelaufen und erschien tatsächlich neben dem Hauptdarsteller auf der Bühne. Der ließ ihn dann allein hinausgehen. Doch Fritz Rotter brüllte wie besessen immer weiter: ‚Rotter! Rotter!‘, bis ich schließlich völlig hysterisch mit einstimmte und auch ‚Rotter‘ schrie.“ So weit die Legende.

In der Version einer summarischen Klage des Präsidiums der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger vom 17. Juli 1924, die alle vermeintlichen Sünden der Rotter-Brüder auflistet, habe Fritz und nicht Alfred jene Hauptprobe unterbrochen. Er soll erst „zum dritten Akt“ auf die Probe gekommen sein „und hörte, wie aus den Wolken gefallen, einen Satz ‚Das geht gegen meine Ehre als Schneider‘ oder so ähnlich. – Draufhin Fritz Rotter: ‚Wieso Schneider?‘ – Antwort: ‚Androklus ist Schneider.‘ – Rotter: ‚Ach, sagen Sie doch statt Schneider Christ, die Schneider könnten sich sonst beleidigt fühlen.‘“ Dieser Version widerspricht der Anwalt der Rotters, Wolfgang Heine, am 20. Juli 1924 aufs Entschiedenste:

„Die Behauptung […] ist von Anfang bis zu Ende unwahr und mit unerhörter Leichtfertigkeit aufgestellt. Zunächst ist es falsch, dass der Vorfall Herrn Fritz Rotter beträfe. Dieser war überhaupt nicht im Theater. Lächerlich wirkt die Unterstellung, dass einer der beiden Herren das Stück nicht gekannt hätte. Beide haben sich seit Jahr und Tag mit der Absicht der Aufführung des Stücks getragen, und Herr Alfred Rotter hat es mit größtem Ernste studiert und sich mit der Inszenierungsart beschäftigt. Selbstverständlich wusste er auch, dass Androklus als Schneider bezeichnet ist. Er lernte das Stück keineswegs erst auf der Hauptprobe kennen. Herr Direktor [Alfred] Rotter wurde durch leitende Persönlichkeiten darauf aufmerksam gemacht, dass die Art, wie Karl Ettlinger bei den letzten Proben seine Rolle auffasste, eine Gefahr für das Stück wäre. Darauf sah sich Alfred Rotter die Probe an und fand nun, dass Karl Ettlinger die Rolle in einer aufdringlichen, altmodischen Wiener Possenhaftigkeit spielte, den Androklus in der traditionellen Schneidermaske und Manier mit Hopserei usw. geben wollte und das Stück dadurch für das künstlerische Gefühl des Herrn Rotter herabzog. Gerade aus künstlerischer Gewissenhaftigkeit hatte Herr Direktor Rotter dagegen Einspruch erhoben. Als Karl Ettlinger nun darauf hinwies, dass Androklus im Buche als ‚Schneider‘ bezeichnet würde, hatte Herr Alfred Rotter die sehr zutreffende Bemerkung gemacht: ‚Ach was, Schneider, ein Schneider ist auch Mensch.‘ Darüber gab es einen Zusammenstoß mit Ettlinger. Der erklärte, in einer anderen Auffassung nicht spielen zu wollen.“

Der Anwalt fügt hinzu:

„Geradzu komisch muss auf jeden Kenner des Theaters die pathetische Entrüstung darüber wirken, dass sich Herr Direktor Rotter erlaubt habe, die Änderung eines Wortes in einem Stücke von Shaw vorzuschlagen. Wenn das ein Argument gegen die künstlerische Eignung zur Leitung eines Theaters sein soll, dann besaßen Goethe und Schiller sie nicht, die Shakespeares Macbeth bis zur Unkenntlichkeit klassifiziert haben, dann geht sie Herrn Prof. Max Reinhardt ab, der wie jemand witzig bemerkte, vom Don Carlos einen ‚interessanten Auszug‘ spielen ließ […].“

Fritz und Alfred sind so oft Gegenstand von Gerüchten, dass noch jede Geschichte den Anschein der Wahrheit bekommt. Umgekehrt machen die beiden die Leichtgläubigkeit zum Thema auf der Bühne. Als ihr ‚Revolutionsengel‘ Oskar Kanehl am 21. Januar 1921 im Trianon-Theater Ludwig Fuldas Das Wundermittel zur Aufführung bringt, ist das durchaus Gegenwartskritik. Die verwickelte Handlung resümiert eine Zeitung so:

„Ein Wundermittel, von einem stellungslosen Chemiker erfunden, eigentlich nur ein ganz harmloses Beruhigungsmittel, aber von einem gerissenen Unternehmer lanciert, erobert die Welt, sogar die Wissenschaft […]. Ein parodistisch gemeintes, aus Wut über die allerneuesten Richtungen von einem enttäuschten Maler geklecktes Bild wird ernst genommen, erobert Berlin, den Kunsthandel, sogar die Kenner. Zwei Parallelfälle. Zwei Freunde, die beiden unfreiwillig Bluffenden. Sie sind arme Teufel und erliegen der Versuchung, sich von gewissenlosen Kunst- und Wissenschaftshäuptern ausbeuten und managen zu lassen.“72

Das Mittel im Stück heißt „Mirakulin“, der neue Kunststil „Kompressionismus“. Die Zeitungskritik wendet Fuldas Spott über das „Unwesen der Reklame“ und die „Kritiklosigkeit, mit der das Publikum irgendeinem gut inszenierten Bluff erliegt“, aber sofort gegen die Rotters selbst: Der Autor Ludwig Fulda habe „vielleicht kaum bedacht“, dass „die Direktion den freundlichen Erfolg seines Lustspiels gewisslich mit ihrem bewährten System binnen kurzem zu einem sensationellen hinaufloben wird […], als er sein Stück schrieb und es einer von den Gebrüdern Rotter geleiteten Bühne überließ.“

Die Rotters halten Fulda die Treue. Emil Faktor vom Börsen-Courier meint hingegen nur herablassend: „Schade um Ludwig Fulda! Ich bin sein Feind nicht. […] Ich kenne außerdem ziemlich viele Stücke von ihm und begegne ihm nicht selten in der Untergrundbahn. Wenn ich dann sein stets verdrossenes Gesicht sehe, will mir bedünken, dass die Welt an ihm viel gesündigt hat, indem sie ihm eine Zeit lang Dichtertum einredete.“73 Inspirierter über Das Wundermittel äußerte sich der Stilist der damaligen Kritiker-Zunft, Alfred Kerr: „Doch wenigstens die Luft ist reinlich – es riecht nicht schlecht. […] Das Stück ist harmlos; nicht ganz echt. Doch wie gesagt, es riecht nicht schlecht.“74

Fritz und Alfred Rotter

Подняться наверх