Читать книгу Fritz und Alfred Rotter - Peter Kamber - Страница 31
ОглавлениеMitten in der Revolution 1918/19 stellt nun Fritz bei der Ministerial-Baukommission auch den Antrag, „ihm das ehemalige Königliche Operntheater (Kroll) am Königsplatz auf mehrere Jahre pachtweise zu überlassen“: „Er beabsichtigt, dort volkstümliche Vorstellungen zu geben und den minderbemittelten Kreisen gute Aufführungen gegen mäßige Preise zu bieten.“ Die Rückkehr zu den Anfängen scheint möglich. Der Berliner Börsen-Courier berichtet, dass die Brüder Rotter „neuerdings auch stark am Residenztheater beteiligt sind“ und planen, „das ehemalige Neue Operntheater (Kroll), auf dessen Bühne sie schon früher heimisch waren, nach den erforderlichen baulichen Wiederherstellungsarbeiten zu übernehmen“.10 Die BZ am Mittag sieht darin ein Wagnis: „Das Theater wieder benutzungsfähig zu machen, würde aber nicht leicht sein, da es im Innern schon vollständig für den Abriss hergerichtet ist.“ Auf diesem Grundstück – heute die Wiese neben dem Kanzleramt – hätte, ohne den Ersten Weltkrieg, „die neue Königliche Oper gebaut werden“ sollen.11
Fritz Rotter begeht den Fehler, ganz auf den Sieg der Revolution zu setzen. Mit der Bescheinigung des Vollzugsrats in der Tasche wagt sich sein Anwalt Grünspach am 26. November 1918 politisch weit nach vorn: Im Gesuch an den neuen Polizeipräsidenten werden die Verantwortlichen der Theaterpolizei, von Glasenapp und sein „Hilfsarbeiter“ Regierungsrat Klotz, schonungslos charakterisiert: Sie hätten „sich wie erbitterte Feinde dem Rechtsuchenden gegenüber benommen, ihn mit Denunziationen verfolgt […], versucht, eine Verhaftung des Gesuchstellers und seines Bruders herbeizuführen“ und „Scheingründe“ angeführt, um Fritz „die Konzession zu verweigern“. „Ein solches Verfahren ist nur in dem gestürzten Obrigkeitsstaate möglich gewesen.“
Im revolutionären Eifer fordert auch Oskar Kanehl, „einen neuen Fachbeamten unserer Gesinnung neben oder besser noch an die Stelle des bisherigen Dezernenten der Theaterabteilung und seines Mitarbeiters Klotz zu setzen, um diesen typischen Vertretern polizeilicher Willkür endlich die so oft von ihnen missbrauchte Macht aus den Händen zu nehmen“.12 Doch der SPD-Mann Eugen Ernst, der im Januar 1919 für gut ein Jahr neuer Polizeipräsident von Berlin wird13, rührt die Theaterabteilung nicht an. Sofort klagt Glasenapps Untergebener, Regierungsrat Klotz, gegen Fritz Rotter wegen „Irreführung“ des Vollzugsrats.
Auch die Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger – durch Curt von Glasenapp insgeheim mit Akten über Fritz Rotter beliefert – meldet „Bedenken“ an und spricht Fritz Rotter die „finanzielle und moralische Zuverlässigkeit“ ab.14
Mit dem Ende der Revolution im Januar 1919 schlägt auch in der Theaterpolitik das Pendel voll zurück. Der mächtige alte Gegner Curt von Glasenapp ist wieder unangefochtener Herr der Theaterpolizei und lässt sich selbst mit der untertänigen Anrede „Euer Hochwohlgeboren“ nicht mehr besänftigen: Der „Antrag des Theaterunternehmers Fritz Schaie, Bühnenname Rotter“ um eine Spielerlaubnis wird am 1. Februar 1919 von den neuen alten Leuten in der Theaterabteilung des Polizeipräsidium abermals „wegen Unzuverlässigkeit zurückgewiesen“.
Der Lyriker Oskar Kanehl aber wird danach über lange Jahre Regisseur der Rotters. 1922 veröffentlicht Kanehl im Band Die Schande eine Auswahl seiner nach 1914 entstandenen Dichtung. „Was jubelt ihr und schwenkt bunte Tücher? Und brüllt den Krieg?“, lautet die erste und letzte Zeile des Gedichts Krieg. Auch in mehreren anderen Gedichten werden die Schrecken des Krieges und seine Folgen direkt, aufrüttelnd und berührend in Sprache gefasst:
„[…] Dünne Haut zittert über Skeletten.
Gähnen und Keuchen. Winseln
und schauriges Wiehern.
Und alle sind heiß, wo man sie anfasst;
und riechen abscheulich. […]
Ein Gaul ist krepiert.
Ich werde die Nacht mit ihm schlafen.“
(Wache im Krankenstall)
„Bespannt von grauem Leichentuche ist der Himmel.
Das Land schneeüberweht.
Eiswind peitscht splittriges Glas in unser Fleisch.
Kein Wetter hemmt den Befehl zum Vormarsch.
Und kein Opfer.
Auf gefrorenem Boden hallt unser Schritt hohl,
als gingen wir auf Sargdeckeln riesiger Massengräber. […]
Wegweiser zeigen mit schwarzer Hand
in unbekannte Tode.“
(Vormarsch im Winter)
Die Wochenschrift Die Aktion, für die Kanehl seine Gedichte schreibt, ist radikal gegen den Krieg. Schon drei Wochen vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs erkennt Herausgeber und Kanehl-Freund Franz Pfemfert den Nationalismus als Ursache von Kriegen: „Solange das Volk patriotisch bleibt, solange es an der sentimentalen Vorliebe für das Land, in dem der Zufall es geboren werden ließ, festhält, solange wird es auch glauben, dass sein Land viel mehr wert sei, als das danebenliegende; dass es ehrend sei, dafür zu sterben – solange wird es unmöglich sein, den internationalen Kriegen ein Ende zu bereiten.“15