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„FILIGRAN AUS LUFT, LUST, LÄCHELN“

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Übelwollende Zeitgenossen, allen voran ihr nationalsozialistisch gesinnter, mit Gertrud Rotter verschwägerter Verwaltungsdirektor Ludwig Apel, werden ihnen später nachsagen: „Sie kauften noch während der Inflation das Zentraltheater für ein Ei und ein Butterbrot sowie später das Lessing-Theater für billiges Geld […].“135 Apel, der das 1933 niederschreibt, hätte klarstellen müssen, dass inzwischen dafür noch „Aufwertungsbeträge“ fällig wurden.

Als bekannt wird, dass die Rotters das damalige Zentraltheater an der Alten Jakobstraße 30-32 in Berlin-Kreuzberg, das heute nicht mehr existiert, im Dezember 1922 erworben haben, entringt dies Siegfried Jacobsohn in der Weltbühne den verzweifelten Ausruf: „Das Zentraltheater ist pleite und wird eine Nummer des Konzerns Rotter, dem in anderthalb Jahren halb Berlin gehören wird.“136 Der Eintrag im Grundbuch erfolgt im November 1923 unter dem Namen Deutsche Schauspiel Betriebs AG, die ihnen gehört. Seit 1. September 1922 halten Fritz und Alfred bzw. ihre AG dieses Zentraltheater bereits in Pacht. Es hat 1000 Plätze.

Direktor in Unterpacht ist in jener Spielzeit der avantgardistische Theatermann Erwin Piscator. Ob Oskar Kanehl vermittelt hat? Piscator inszeniert dort Die Kleinbürger von Maxim Gorki137, von Romain Rolland Die Zeit wird kommen138 und von Tolstoi Die Macht der Finsternis139. Mit Wirkung vom 1. September 1923 wird Erwin Piscator im Deutschen Bühnen-Jahrbuch 1924 als einer der Direktoren der Rotterbühnen genannt, mit Sitz im Vorstand, zusammen mit Georg Altmann als vormaliger alleiniger Direktor des Kleinen Theaters. Piscator tritt aber von da an nicht mehr als Regisseur in Erscheinung, und als die Brüder Rotter im April 1924 das Zentraltheater weiterverpachten, weil ihnen die Spielerlaubnis verweigert wird, wechselt Piscator im Mai 1924 zur Volksbühne, ehe er zwischen 1927 und 1929 seine eigene Bühne im Theater am Nollendorfplatz bekommt.

Dennoch beobachtet Erwin Piscator in der kurzen Zeit die Rotters genau – auch bei den Proben – und stößt offenbar auf eines ihrer Geheimnisse. In einem Gespräch 1959 (mit Gerd Semmer) betont er: „Zu einer Aufführung gehört eine Stimmung, und diese Stimmung ist ein Filigran, aus Luft, Lust, Lächeln gebaut. […] Die Rotters lachten schon, bevor der Komiker, der natürlich teuer bezahlt war, überhaupt nur den Mund öffnete. Aber sie wussten warum, sie waren Theaterleute.“140 Als solche erkennt Piscator sie auch an, während sie für die meisten anderen Linksintellektuellen in der Weimarer Republik die Personifikation des sogenannten Geschäftstheaters bleiben.

Piscator kämpft für ein anderes Theater – und aus diesem Blickwinkel kommt auch seine Kritik an den Rotters. Er fordert auf der Bühne „statt des Privaten das Allgemeine, statt des Besonderen das Typische, statt des Zufälligen das Kausale […], statt des Dekorativen das Konstruktive, Bauende, statt des allein Emotionellen, Gefühlsmäßigen das Rationelle, Vernunftgemäße, statt des Sensuellen das Pädagogische und anstelle des Phantastischen die Wirklichkeit, das Dokument“.

Aber Piscator verleugnet die Rotters nie, verweigert ihnen als Theaterleuten nicht den Respekt – und erinnert an sie als einer der wenigen nach dem Zweiten Weltkrieg. In einem Gespräch im Nationaltheater Mannheim 1954 urteilt er: „Es gibt zwei Formen des Theaters: das moralisch-fordernde und das der Unterhaltung. Beide sind berechtigt […].“ Und ergänzt, die deutschen Theater der letzten Jahre gäben „offener zu, für Unterhaltung zu sein, als in den Zwanzigerjahren selbst die Rotters zuzugestehen bereit gewesen wären“.141

1923 stirbt ihr Vater. Mit dem Erbe, das sie mit den Schwestern Lucie und Ella teilen, können Fritz und Alfred das Lessing-Theater kaufen – ein lange gehegter Wunsch, obwohl sie noch gar nicht darin spielen dürfen. 1887/88 erbaut, wird es später, 1945, im Luftkrieg zerstört werden: ein freistehendes Gebäude am damaligen Friedrich-Karl-Ufer 1 (heute Kapelle-Ufer, direkt bei der Kronprinzenbrücke über die Spree). Es bietet 1140 Personen Platz.

Bereits im Juni 1919 haben die Brüder die Weichen dafür gestellt, spätestens ab 1924 die Zukunft dieses Theaters bestimmen zu können. Direktor und Regisseur Victor Barnowsky, der seit 1913 im Haus gewirkt und auf unbestritten hohem Niveau Theaterkunst betrieben hat, hat zwar noch einen gültigen Pachtvertrag, verfügt aber nicht über genügend eigene Mittel, um den Bühnenbetrieb weiterzuführen.

Der formelle Vertragsabschluss erfolgt am 24. März 1923. Der Dollarkurs an diesem Tag beträgt 21 000 Papiermark, und zur inflationsbedingten hohen Kaufsumme von 150 Millionen Mark kommt ab Januar 1925 noch eine „lebenslängliche Leibrente“ an die Baronin von jährlich 18 000 Reichsmark hinzu. Außerdem müssen die Rotters alle auf dem Haus liegenden Hypotheken übernehmen.

Das Lessing-Theater ist ein Privattheater ohne jede öffentliche Unterstützung. In der Theaterlandschaft der Hauptstadt nimmt es seit der Direktion von Otto Brahm hinter den staatlichen Häusern und den Reinhardt-Bühnen vielleicht den wichtigsten Platz ein.

Expansion verläuft bei Fritz und Alfred bis dahin immer über die Integration jener Person, die das betreffende Theater als Regisseur bzw. Direktor geprägt hat. Das ist ihr Erfolgsprinzip: 1919 bei Eugen Robert im Residenz-Theater, 1920 beim Kleinen Theater Unter den Linden mit Georg Altmann, später ab 1927/28 am Metropol an der Behrenstraße mit Fritz Friedmann-Frederich. Damit beweisen sie eine glückliche Hand. Von diesem Rezept weichen sie nun 1924 beim Lessing-Theater ein erstes und einziges Mal ab – zu ihrem Schaden.


Theaterdirektor Victor Barnowsky (links) und Valérie von Martens mit Ehemann Curt Goetz (3.v.l.) in Karlsbad, 1924

Mit Victor Barnowsky finden sie nicht zusammen, was zweifellos eine der Ursachen für die nachfolgende Kampagne gegen sie ist, obwohl sie ihrem Direktorenkollegen und -Rivalen entsprechende Angebote unterbreitet haben. Nach Bekanntwerden des formellen Verkaufsakts im Frühling 1923, als die einsetzende Hyperinflation ohnehin alles verkompliziert, kündigt Barnowsky sogar an, das Haus schon ein Jahr früher zu verlassen, im Sommer, „mit Ablauf dieser Spielzeit“, worüber die Vossische Zeitung berichtet: „In den letzten Tagen hat ein Gerücht festere Form angenommen, dass Direktor Barnowsky beabsichtige, in den Rotter-Konzern, der ja das Lessing-Theater im Sommer übernimmt, einzutreten. Wie wir hierzu erfahren, hätte Barnowsky allerdings gern die künstlerische Leitung des Lessing-Theaters in seinen Händen behalten, und er hat mit den Gebrüdern Rotter Verhandlungen wegen einer Pachtung des Lessing-Theaters geführt. Aber die Bedingungen, die die neuen Herren des Lessing-Theaters an Barnowsky stellten, waren derart, dass er sie nicht annehmen konnte. Die Verhandlungen sind infolgedessen ergebnislos abgebrochen worden.“142

Victor Barnowsky ist vermutlich den Rotters zu ähnlich, auch er macht Geschäftstheater ohne staatliche Subventionen, auch er betreibt mehr als ein Haus: neben dem Lessing-Theater „für literarische Stücke“143 seit Anfang 1915 noch das Deutsche Künstlertheater, wo er wie die Rotters ebenfalls „in erster Linie“ Lustspiele geben lässt. Mit Max Reinhardt und Eugen Robert hat er einst die Theaterkarten-Vertriebsorganisation Reibaro gegründet, aber zum finanziell ganz großen Erfolg reicht es nie. Barnowsky – ein paar Jahre älter als die Rotters – hat sich anders als sie in den Kriegsjahren nicht verstecken müssen, sondern regulär am Kleinen Theater (das nun Fritz und Alfred betreiben) inszenieren und Erfahrungen sammeln dürfen. Jüdisch ist auch er, was aber in dem Streit keine Rolle spielt. Er verzichtet danach auf die Fortsetzung seiner Tätigkeit am Deutschen Künstlertheater und übernimmt 1925 das Theater an der Königgrätzer Straße, das 1930 in Theater an der Stresemannstraße umbenannt wird, das gegenwärtige Hebbel am Ufer. Er emigriert 1933. Ab 1937 lebt und arbeitet Barnowsky in den USA, 1952 stirbt er in New York City.

Eine Frage bleibt: Haben die viel beschworenen Inflationsgewinne Fritz und Alfred als Theaterunternehmer reich gemacht oder macht das abrupte Ende der Inflation sie als reiche Erben arm, so dass ihnen nur noch die Theater bleiben? Nach langen Prozessen mit rechtskräftigem Urteil vom Januar 1931 bekommen die Rotters, als sie schon selbst tief in den roten Zahlen stecken, für das Lessing-Theater einen sogenannten „Aufwertungsbetrag“ von 270 000 Reichsmark aufgehalst, müssen diese Schuld verzinsen, womit sie dann aber – wie mit fast allem sonst schon – 1931/32 sofort in Rückstand geraten.

Im September 1923, als die Hyperinflation immer neue Rekorde bricht, führen die Rotters im Zentraltheater an der Alten Jakobstraße ihre erste Operette auf: Die Polnische Wirtschaft (1910) von Jean Gilbert – eine Posse mit vielen Missverständnissen und einem Geschlechterwechsel. Spüren sie schon, dass sie erst in der Operette zu ihrem ganz eigenen, wirkungsvollen Bühnenstil finden werden und Operette am besten können?

Eine Fortsetzung des Versuchs bleibt ihnen untersagt. „Im Zentraltheater wird seit mehreren Monaten ohne Konzession Theater gespielt“, erklärt der Polizeipräsident drohend Alfred Rotter am 8. Dezember 1923; er habe „aus Rücksicht auf die schwierige Lage im Theaterwesen diesen Zustand einstweilen geduldet“, sehe sich aber „genötigt“, ihm, Direktor Rotter, „mitzuteilen, dass ich nach dem Dezember des Jahres öffentliche Aufführungen im Zentraltheater nicht mehr dulden werde“ – wenn bis dahin keine Konzession vorliege.144

Zuversichtlich, diese Konzession zu erhalten, schließen Fritz und Alfred schon am 25. Dezember 1923 erste unbefristete Verträge mit Schauspielern ab – für die geplante nächste Operette Der fidele Bauer (1907) des Komponisten Leo Fall und „für alle darauffolgenden Operetten“. Doch die Konzession am Zentraltheater wird ihnen verwehrt.

Fritz und Alfred Rotter

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