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DER VORWURF: „NACKTE SPEKULATION AUF DEN SEXUS“

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„Eine nackte Spekulation auf den Sexus“ erblickt die Bühnengenossenschaft insbesondere bei der Werbung für das Lustspiel Galante Nacht des Leipziger Rechtsanwalts und Autors Hans Bachwitz, das nach der Berliner Aufführung auf große Tournee ging. Bachwitz stellt in einem Brief vom 26. Juli 1924 den Sachverhalt richtig:

„Wie ich erfahre, hat man der Direktion Rotter daraus einen Vorwurf gemacht, dass sie mein Lustspiel Galante Nacht in der ersten Anzeige des Leipziger Stadttheaters als ‚erotisches Abenteuer‘ bezeichnet hat. Da das Werk mit diesem Untertitel vorher in Wien zwei Monate und in Budapest gespielt wurde, ohne dass ich widersprach, konnte sich die Direktion Rotter wohl für berechtigt halten, das Stück mit diesem Untertitel auch in Leipzig zu versehen, zumal da, wie ich erst später erfuhr, für die Leipziger Aufführungen ein Wiener Soufflierbuch verwendet wurde. Ich für meine Person protestierte für Leipzig gegen den Untertitel, und die Direktion Rotter hat daraufhin […] loyalerweise sofort den beanstandeten Untertitel […] geändert. Der Erfolg der Galanten Nacht im Leipziger Stadttheater durch das Ensemble des Berliner Trianontheaters, d. h. der Direktion Rotter, […] war übrigens ein sensationeller, wie mir die Intendanz bestätigte, in Leipzig noch nie dagewesen […]. Dass mein Werk heute über alle Bühnen Deutschlands und fast des gesamten Auslands geht, ist in meinen Augen ein Verdienst der Direktion Rotter […]. Dr. Hans Bachwitz.“162

Ein Gerücht über Jhering, der sich wie kein anderer an den Rotters abarbeitet, behauptet damals, dass er in jungen Jahren einmal selbst ein Theaterstück verfasst und … es ausgerechnet den Rotters geschickt habe, in einer Zeit, als sie wenige Jahre vor dem Ersten Weltkrieg noch das Akademische Theater leiteten. Als ihm das zu Ohren kommt, schreibt Jhering am 9. August 1924 „An die Direktion der Rotterbühnen“: Er erfahre, dass sie öffentlich davon sprechen würden, „im Besitz eines Stückes von mir zu sein“.

Fritz und Alfred Rotter lassen das am 16. August 1924 durch ihren Regisseur Oskar Kanehl dementieren.163

Die von linksliberalen Kreisen getragene Kampagne gegen die Rotters kippt endgültig im August 1924, als die Deutsche Zeitung den ehemaligen Rotter-Schauspieler Fritz Ebers unter dem Titel „Von der Verlotterung und Verrotterung“ einen Artikel schreiben lässt, der in offenem Antisemitismus „die fast allgemeine Verjudung der Berliner Theater“ als am „bedrohlichsten“ bezeichnet und ganz offen hetzt: „ […] dass die Rotters ein bescheidenes Talentchen und eine eiserne Ausdauer haben. Das waren von jeher die gefährlichsten Menschen!“ In derselben Zeitung heißt es am 10. August 1924, „in den Direktionen deutscher Theater“ hätten „uns völlig Stammes- und darum auch Wesensfremde ihren Einzug gehalten“.

„Und wir sagen jetzt schon voraus: […] es muss notwendig dahin kommen, dass auch der deutsche Schauspielerstand in seiner Gesamtheit die Aufhebung des königlichen Judenemanzipationsedikts vom 11. März 1812 fordert. Schädlinge am Volkswohl als solche erkennen und dann noch dulden, ist Hochverrat an der freien Majestät des Volkes!“

Fritz und Alfred Rotter müssen befürchten, dass das Lessing-Theater zur Eröffnung der neuen Spielzeit 1924/25 leer steht und die Beschäftigten arbeitslos werden. Maßgeblich für die Erteilung einer Konzession ist nach Gesetzeslage die „Zuverlässigkeit“. Wie schon einmal unter von Glasenapp zieht die neue Führung der Theaterabteilung von überallher Erkundigungen ein, angezweifelt wird auch die „ordnungsgemäße Buchführung“. Dies ist in der Tat der größte Schwachpunkt Fritz und Alfred Rotters – und wird es bleiben. Weder in den Studiums- noch den Kriegs- und Inflationsjahren haben sie sich an eine solide Buchhaltung gewöhnt.

Am 25. Oktober 1924 kommt die Ablehnung. „Die von dem Theaterunternehmer Alfred Schaie genannt Rotter […] beantragte Erlaubnis zum Betrieb eines Schauspielunternehmens gemäß § 32. R.G.O. in dem Lessing-Theater, Friedrich Karl-Ufer 1, wird versagt.“164

Das ist kränkend, aber die beiden haben lange genug Jura studiert, um zu wissen, dass dies noch lange nicht das Ende ist. Sie geben in einem entscheidenden Punkt nach – und nehmen drei Wochen später Rechtsanwalt Artur Wolff, den geschäftsführenden Direktor des Deutschen Bühnenvereins, „als Syndikus [Rechtsberater] in die Direktion Rotter“ auf, „für die Dauer der Konzession, aber mindestens für die nächsten fünf Jahre“. So berichtet die Berliner Börsen-Zeitung im November – und kann gleich als erstes Blatt vermelden, dass Alfred Rotter die Spielberechtigung im Lessing-Theater „unter sonst nicht üblichen Bedingungen“ schließlich doch noch erhalten hat.

Stefan Großmann zieht im Montag Morgen Bilanz: „In sehr lakonischen Notizen teilen die Berliner Zeitungen mit, dass die Gebrüder Rotter vom Polizeipräsidium die Konzession zum Betrieb des Lessing-Theaters erhalten haben. So endet dieser Krieg, wie es hier vor Monaten vorausgesagt wurde, mit einer beschämenden Blamage der Bühnengenossenschaft und der Berliner Kritik. Säßen in der Leitung der Bühnengenossenschaft keine blinden Hitzköpfe, sondern sachlich und klar überlegende Leute, so hätten sie dem Ansehen der Schauspielerorganisation diese klägliche Niederlage ersparen können. Künstlerische Einwände, nur solche lagen in der Hauptsache vor, können (und sollen) eben nicht durch den Polizeipräsidenten ausgefochten werden.“165

Fritz und Alfred Rotter

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