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Das höfische Fest und die daran beteiligten Künste
ОглавлениеDas Zusammenspiel von bürgerlichen Interessen und Bedürfnissen des Adels in der von Rangvorstellungen, Zeremoniell, rhetorischer Eleganz geprägten Hofgesellschaft des Absolutismus war auf kultureller Ebene nirgendwo intensiver als bei der Vorbereitung der vielen höfischen Feste. Feste wurden so zahlreich und ausgiebig gefeiert und hatten eine so weit reichende Bedeutung, dass Richard Alewyn das ganze Zeit alter als ‚Epoche der höfischen Feste‘ bezeichnet hat – ohne dass diese Bezeichnung den gängigen Begriff des Barock hat gefährden können, der – nachdem er zunächst ein schwer zu umreißendes und umstrittenes Stilprinzip kennzeichnete – seit längerer Zeit meist nur noch als pauschaler Epochenbegriff für den Zeitraum zwischen 1620 und 1700 verwendet wird (auch wenn mit ihm zumeist Vorstellungen von manieristischen Stilelementen konnotiert werden).34 Gefeiert wurden auf den höfischen Festen Geburtstage, Hochzeitstage, Namenstage, auswärtige Besuche, der Abschluss von Staatsverträgen, Einweihungen u.v.a.m. Die Häufung der Feste und ihre sich oft über Tage hinweg erstreckende Dauer dienten nicht so sehr dazu, die Angst vor dem Nichts, den ‚horror vacui‘, zu vertreiben, wie man oft lesen kann; vielmehr waren sie einerseits ein Mittel, die Bedeutung und Leistungsfähigkeit des Hofes zu demonstrieren, und andererseits die Hofgesellschaft mit organisatorischen Beschäftigungen zu disziplinieren und gleichzeitig zu zerstreuen. Hinter dem, was dem kleinen Bürger als pure Genusssucht und Verschwendung erscheinen musste, stand immer auch politisches Kalkül. Um ein höfisches Fest vorzubereiten, waren Bürgerliche mehr noch beschäftigt als Adlige – ganze Stäbe von Künstlern und ‚Technikern‘ aller Art und aus verschiedenen Ständen, die ihrerseits zahllose Gehilfen als Handwerker brauchten. Bauten mussten errichtet, Teiche ausgehoben, Feuerwerke arrangiert, Kulissen hergestellt, Kostüme entworfen, Texte geschrieben, Musik komponiert, Kosten berechnet werden usw., so dass sich die Hofgesellschaft und diejenigen, die sie von außen zu ihrer Unterstützung an sich zog und partiell an ihrem Leben teilnehmen ließ, in einer ständigen, kompliziert geregelten und doch nur in sich selbst kreisenden Bewegung befanden.
Ein höfisches Fest bestand aus Teilen, die – je nach Bedürfnissen und vor allem nach finanziellen Möglichkeiten – immer neu kombiniert wurden.35 Das Turnier war eine Erbschaft des Mittelalters, dem keine soziale und – nach der Erfindung des Schießpulvers – auch längst keine militärische Wirklichkeit mehr entsprach. Man ‚spielte‘ Artusritter und Kreuzfahrer, verwendete Schwerter aus Holz, übte sich an toten Zielen, ersetzte Mut und Kraft durch Gewandtheit und Eleganz, die Tugenden des Ritters also durch die des Kavaliers, verwandelte das Kampfspiel in ein Schauspiel, das in die Nähe des Balletts rückte. – Zu den Vergnügungen des Festes zählte auch die Jagd, die ganz dem Adel vorbehalten blieb. Auch sie wurde nicht selten zum Schauspiel stilisiert, wenn das Wild von Untergebenen ins Gehege getrieben und von den ‚Jägern‘ von erhöhter Tribüne aus abgeschossen wurde. – Sehr beliebt war der Trionfo, der festliche Einzug des Fürsten in die Stadt. Hier wurde die – bis heute regional sehr ausgeprägte – volkstümliche Lust an Umzügen befriedigt, staunte man über historische Trachten, über Masken, über Fuhrwerke, die riesige Flächen bemalter Leinwand mit Darstellungen aus der Mythologie mit sich führten, nutzte die Gelegenheit, um Ansprachen zu halten und Spiele vorzuführen. Dem Theatralischen der Veranstaltung entsprechend, wurden derartige Umzüge aber immer häufiger in den Saal verlegt, wo das Spiel mit den Kulissen sich wirkungsvoller entfalten konnte. – Zum Fest gehörte stets auch der Tanz. Zu den seit der Renaissance bekannten Tänzen wie der Bourrée, Courante, Volte, Gaillarde, Pavane kamen im 17. Jahrhundert aus Spanien die Passacaglia, die Chaconne, die Sarabande, aus Italien die Furlana und Bergamasca, aus Frankreich der Rigaudon, der Passepied, die Gavotte und vor allem das Menuett. Ihre Rhythmen sind aus der Musik des Barock noch heute bekannt, auch wenn ihre viel Übung erfordernden abgemessenen, zum Teil feierlich exekutierten Schrittfolgen und geometrischen Bewegungen inzwischen längst vergessen sind, Bewegungen, die auch das Tanzen, bei dem man sich gegenseitig Reverenzen erwies, der Zeremonie annäherten. Vom Gesellschaftstanz unterschied sich das meist als Einlage in der Oper oder Komödie getanzte Ballett nur durch die ausgeprägtere, in Gruppen ausgeführte Pantomimik und durch die größere Perfektion der Berufstänzer. Auch seine Bewegungen verliefen schreitend in der Horizontalen, bildeten gleichsam Ornamente auf der Fläche nach. Der Stilwandel zum vertikalen Tanz, bei dem die Balletttänzer zu springen begannen und ihre Körper zu schweben schienen, vollzog sich erst im 18. Jahrhundert und war sowohl von einem Sturm der Entrüstung als auch der Begeisterung begleitet. – Den Abschluss eines höfischen Festes bildete das Feuerwerk, das oft in theatralische Handlungsfolgen eingebettet und von Musik begleitet wurde (man denke etwa an die berühmt gewordene, wenn auch erst 1749 entstandene Music for the Royal Fireworks, die Feuerwerksmusik Georg Friedrich Händels). Es verwandelte die Nacht in den Tag, verwandelte den Schauer, den man noch im 17. und 18. Jahrhundert vor der Nacht empfand, in Verzauberung und stärkte zumal in den fernab stehenden Betrachtern die Vorstellung vom Hof als dem Sitz eines anderen, überhöhten Lebens.
Den Künstlern boten die höfischen Feste über die vielen von ihnen geforderten Improvisationen hinaus die vielseitigsten Gelegenheiten, ihre Begabungen zu entfalten und Kunstwerke entstehen zu lassen, deren Wert von Dauer blieb. Auf die Leistungen der Architekten und Gartenbauer ist bereits im Zusammenhang mit der Beschreibung der Schlösser und Gärten eingegangen worden.36 Von den Malern wurde nicht nur gefordert, Tafeln und Kulissen für Umzüge oder Opern und Schauspiele anzufertigen, sie hatten auch Räume mit Wandmalereien zu versehen und mit Bildnissen zu schmücken. Dabei stand die Portraitmalerei im Vordergrund, nur dass sich das in der Renaissance übliche Kopf- oder Brustbild nun schrittweise zum Hüftbild vergrößerte, dann zum Hüftbild mit Kniestück, bis schließlich die Abbildung der ganzen Figur zur Regel wurde und die Figuren vom oberen Bildrand herab – ‚von oben herab‘ – auf die Beschauer niederblickten. Wichtig war nun auch weniger die individuelle Physiognomie als die Betonung der ‚Größe‘ der Erscheinung. Der Eindruck der Erhabenheit der abgebildeten Figur wurde durch das Kostüm und insbesondere durch die Perücke verstärkt, die dem Haupt Bedeutung verlieh und zugleich vom Gesicht ablenkte, es der Gesamterscheinung unterordnete.
Damit verlängerte und idealisierte die Malerei nur, was sich als Mode am Hofe durchgesetzt hatte. Das feierliche, die pessimistisch-ernste Lebensführung der spanischen Herrscher des 16. Jahrhunderts wiedergebende Schwarz der Kleidung, das bald – ergänzt durch das auf Reinlichkeit verweisende Weiß der Wäsche – bezeichnenderweise gerade vom protestantisch-puritanischen Bürgertum Europas als Festtagskleidung übernommen wurde, war in den Hofgesellschaften des 17. Jahrhunderts der durch Drahtgestelle, Polsterungen, Schnüre aufgerichteten Pracht bunter, bestickter, mit Spitzen, Fäden, Litzen und Edelsteinen besetzter Kostüme gewichen. Diese Mode diente vor allem dazu, der eigenen Stellung und Rolle Ausdruck zu verleihen (heute noch weisen Robe und Perücke in einigen europäischen Ländern auf die Bedeutung einzelner Ämter bzw. Situationen hin). Die in Schichten übereinander getragenen Kleidungsstücke (Hemd, Weste, Wams, Umhang o.ä.), die anders als der unbekleidete Körper gesellschaftliche Rangabstufungen zur Anschauung bringen können, erhielten ein derartiges ‚Gewicht‘, dass der Mensch hinter ihnen fast völlig verschwand. Bis auf Kopf und Hände und den auf Fischbeinkonstruktionen liegenden weiblichen Busen, der dem Stilideal der Zeit vollkommen entsprach und sich gleichsam in die Kostümierung einfügte, war von der menschlichen Gestalt nichts zu sehen und waren auf diese Weise auch körperliche Fehler wie von einer Fassade verdeckt. Rasche und natürliche Bewegungen waren in diesen Verkleidungen ausgeschlossen; in ihnen konnte man sich nur gemessen bewegen, – ‚angemessen‘, dem Zeremoniell angepasst. – Die Bildnisse verstärkten die theatralischen Effekte der Mode noch insofern, als sie die Figuren nicht nur mit besonderen Requisiten darstellten, mit Stäben, Pergamentrollen, Büchern, Instrumenten als den Insignien verschiedener Ämter und Ränge, sondern auch in bestimmten Posituren, der des Herrschers, des Kriegshelden, des Weisen usw. Kostüme und Posituren wurden von den Malern teilweise sogar vorgefertigt, die Gesichter auf Bestellung nachträglich eingefügt. Bevorzugt wurde die Frontansicht, nicht, wie in der Renaissance und später im Bürgertum des 18. Jahrhunderts, „der geistige Umriß des Profils“.37 Die Portraitbilder oder ‚Kostümbilder‘ des 17. Jahrhunderts rechneten mit dem Betrachter, sahen ihn an, forderten seine Bewunderung (oder auch seinen Neid) heraus. Und das betrachtende Publikum verstand sowohl den Anspruch der Bildnisse als auch deren Stilmittel – insofern war auch die Malerei dieses Zeitalters durchaus rhetorisch.
Auch die höfische Musik bildete eine ihr eigene Rhetorik aus und zielte – streng strukturiert – auf raumausgreifende Flächigkeit und sinnliche Klangwirkungen ab, um den Eindruck des Repräsentativ-Festlichen hervorzurufen. Ganz aus der Sphäre des höfischen Festes ist die Oper erwachsen, in der Sprache, Musik, Tanz, auch die bildenden Künste zusammenwirkten und eine „Einheit aus Schaugepränge, gedichteter Sprache und Aktionsvollzug“ herstellten.38 Einerseits wurde das Wort durch den Ornat des Klangs feierlich erhöht, andererseits entband das Wort erst in der Oper die dramatischen Kräfte der Musik, ihre Fähigkeit, Leidenschaften ausdrücken. In der Entwicklung der Oper wurde der von Chören unterbrochene und von Musik begleitete bewegte Sprechgesang, aus dem sie zunächst bestand, deswegen auch schnell durch Arien ergänzt, in denen Gefühl sich besonders nachdrücklich artikulieren und entladen ließ. In der Arie, dem lyrischen Element der Oper, triumphierte der theatralische Augenblick, und der Effekt, den sie machte und bis heute macht, wurde vom – gleichsam mitkonzipierten – Beifallssturm des Publikums begleitet. Die Oper, die um 1600 an den italienischen Höfen entstand – als Durchbruch gilt Monteverdis 1607 am Hofe der Gonzaga in Mantua entstandener Orfeo – breitete sich von Mantua, Florenz, Ferrara schnell nach Deutschland und Frankreich aus, wobei in Deutschland auch so bedeutende Komponisten religiöser Musik wie Michael Prätorius und Heinrich Schütz, die als Hofkapellmeister in Braunschweig bzw. in Kassel arbeiteten, beteiligt waren. Dies erinnert daran, dass sich zur gleichen Zeit neben der höfischen Oper das Oratorium entfaltete, – eine Art geistlicher Oper im kirchlichen Raum mit den gleichen charakteristischen Elementen (Orchestermusik, Rezitativ, Arie und Chor), wobei der Text anders als in der höfischen Oper jedoch eine fundamentale Funktion besaß, was auch so große Oratorienkomponisten wie Bach und Händel nicht vergessen lassen.
Den Höhepunkt ihrer Bedeutung erreichte die höfische Oper in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts am Hofe Ludwigs XIV., was ihr zugleich endgültig ihre europäische Breitenwirkung sicherte. Von Beginn an hatte in der italienischen Oper der Tanz eine tragende Rolle gespielt, die in Versailles mit der Entwicklung der französischen Ouvertüre bzw. Suite, einer festgelegten Folge von Tänzen bzw. zeremoniellen Schrittbewegungen, noch beträchtlich aufgewertet wurde, zumal der König selbst lange Zeit als Tänzer, in der Rolle des ‚Roi Soleil‘, im ‚Ballet de cour‘ mitwirkte. Ballett und Oper gingen hier unter der maßgeblichen Beteiligung des Hofkomponisten Jean-Baptiste Lully (eigentlich Giovanni Battista Lulli) eine als ‚französische Oper‘ bezeichnete Verbindung ein, die vor allem das Ohr (durch Musik und Lieder) und das Auge (durch Bühnendekoration, Kostüme, Tänze) ansprach, auf geistige Anregungen dagegen weitgehend verzichtete. In den nach dem Versailler Vorbild komponierten und arrangierten Opern waren die belanglosen Texte kaum mehr als ein Vorwand, um sinnlich wirksame Effekte inszenieren zu können.39 Die Bühne war von Menschen überfüllt, die sich – das 17. Jahrhundert hat nicht nur das Ballett, sondern auch die Exerzierkunst erfunden – immer neu formierten oder rhythmisch bewegten. Wasserspiele wurden gezeigt, Beleuchtungskünste, mit denen man die Gestirne, Kometen, Blitze und – unterstützt von Qualm und Gestank – Feuersbrünste vortäuschte, das ganze Drama von Licht und Finsternis. Um all diesen unterhaltsamen Tumult auf die Bühne bringen zu können, musste diese selbst vergrößert werden. Dies geschah auf zweierlei Weise. Einmal wurde die Bühne in die Vertikale erweitert. Schon das mittelalterliche Theater hatte auch den Luftraum benutzt, wenn es z.B. Engel von der Kirchendecke herab oder Heilige in den Himmel hinaufschweben ließ. Die barocke Bühne machte hiervon ausgiebigen Gebrauch, enthielt zugleich auch Versenkungen, aus denen Teufel aufstiegen oder in die Verdammte hinabfuhren. Hierzu waren Winden, Stricke, Versenkungsvorrichtungen nötig, Geräte, an denen sich erfinderische Techniker abarbeiten konnten. Zum anderen erhielt die Bühne – nicht zuletzt durch Kulissen, die es ermöglichten, den Blick des Zuschauers zentralperspektivisch zu richten – eine größere Tiefe, was zugleich auch die Illusionswirkung verstärkte. Die Erfindung der Kulisse, der Dekorationsfläche, die auf Rollen in einer Bodenrille (= frz. ‚couloir‘) hin- und hergeschoben werden konnte, erlaubte es zudem, die Winkelperspektive zu nutzen, also einzelne Raumwinkel ins Große zu projizieren, so dass optimale Verwandlungsmöglichkeiten der Bühnen erreicht wurden, die Oper und Theater in gleicher Weise auch heute noch nutzen.