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Gryphius
ОглавлениеDas schwierige Verhältnis des bürgerlichen Gelehrten zum Adel und zur Hofkultur des Absolutismus veranschaulicht – exemplarisch – die Biographie des Andreas Gryphius wie kaum eine andere.62 1616 in Glogau als Sohn eines protestantischen Geistlichen geboren, kam er in seiner Heimatstadt früh mit konfessionellen Streitigkeiten in Berührung. Die Bevölkerung des Fürstentums Glogau bekannte sich zum Protestantismus und war den – zum Teil gewaltsamen – Rekatholisierungsbestrebungen des Hauses Habsburg besonders stark ausgesetzt. Gryphius’ Vater kam im Zuge dieser Bestrebungen auf ungeklärte Weise ums Leben; und später musste sein Stiefvater, Lehrer am evangelischen Gymnasium, die Stadt verlassen. Während seiner sich anschließenden Gymnasial- und Studienjahre in Danzig kam er nicht nur mit verschiedenen Dichtern in Berührung (und schrieb hier schon einige seiner bekanntesten Sonette (vgl. u.), sondern zum ersten Mal auch mit der ‚großen Welt‘. Er wurde Hauslehrer bei einem polnischen Admiral, danach Hauslehrer bei dem Staatswissenschaftler und kaiserlichen Beamten Georg von Schönborn, dessen Söhne er bald darauf zum Studium an die calvinistische Universität Leiden begleitete, damals eine der führenden Universitäten Europas. Hier erhielt er nicht nur entscheidende wissenschaftliche und auch künstlerische Anregungen (u.a. durch die Dramen Joost van Vondels), hier veröffentlichte er selbst Gedichtsammlungen (u.a. die Son- und Feyrtags-Sonnete, 1643); und hier knüpfte er Verbindungen zum pfälzischen Herrscherhaus, insbesondere zur Pfalzgräfin Elisabeth, der Cousine des Brandenburgischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm, der ebenfalls in Leiden studierte. Von beiden Herrscherhäusern erhielt Gryphius später mehrere Berufungen auf Professuren, die er jedoch ablehnte, um – nach einer Bildungsreise durch Frankreich und Italien, auf der er sowohl die venezianische Oper als auch die Commedia dell’arte kennen lernte – schließlich nach Glogau zurückzukehren. Dort arbeitete er von 1650 bis zu seinem Tode 1664 als Rechtsberater der Landstände, deren Interessen gegen zentralistische Bestrebungen des Kaiserhauses, dessen Oberhoheit Glogau direkt unterstand, er mit viel diplomatischem Geschick zu wahren suchte. – So war er durch seine persönlichen Beziehungen zu fürstlichen Familien und auch durch seine Berufstätigkeit mit der Lebensform der höfischen Gesellschaft vertraut, aber – nicht zuletzt auf Grund seines Amtes – absolutistischem Machtstreben gegenüber zu kritischer Distanz gezwungen. In seinen staatspolitische Grundfragen behandelnden Dramen, insbesondere in seinem letzten, 1657–59 entstandenem Trauerspiel Grossmütiger Rechts-Gelehrter/oder sterbender Aemilius Paulus Papinianus, finden seine Lebenserfahrungen durchaus ihren Niederschlag. Einerseits hält Gryphius am Gottesgnadentum des Herrschers und an der gebotenen Loyalität seiner Untertanen fest, darin als konsequenter Lutheraner auch durch das Obrigkeitsdenken des Reformators bestärkt, andererseits aber bindet er, ohne den öffentlichen Raum als Raum des politischen und den privaten Raum als Raum des moralischen Handelns voneinander zu trennen, das Politische rigoros an das Moralische und entwickelt aus diesem Postulat seine dramatischen Konfliktstellungen. Geltungsanspruch, Ordnungsversprechen, Legitimierung des höfischen Absolutismus bilden den vorrangigen Themenkreis des Dramatikers Gryphius,63 und dieser Themenkreis wird nicht nur in Kenntnis der politiktheoretischen und staatswissenschaftlichen Diskussion der Zeit abgeschritten, sondern in den übergeordneten Rahmen christlicher Wertvorstellungen gestellt, an dem gerade auch die Herrscherfiguren gemessen werden.