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Die Bekehrungsdramen

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Gleich sein dramatischer Erstling, Leo Arminius Oder Fürsten = Mord (1646 verfasst), zeigt Gryphius als einen Autor, der mit Tradiertem sehr eigenwillig umgeht. Angeregt durch das themengleiche und auch den gleichen Obertitel tragende Drama des Jesuiten Joseph Simon (Leo Armenus seu Impietas punita),64 behandelt Gryphius eine Episode aus der byzantinischen Geschichte, die Ermordung des von 813–20 regierenden Leo Arminius durch seinen Gegenspieler Michael Baibus. Doch während der Gegenreformator Simon in seinem Drama Leo als einen im Bilderstreit des 9. Jahrhunderts die anti-römische, d.h. die bilderfeindliche Position vertretenden Tyrannen erscheinen lässt und deswegen seinen Sturz rechtfertigt (der Ketzer Leo fällt gleichsam stellvertretend für alle Ketzerei gegen die rechtgläubige Kirche, wobei die Bilderfeindschaft der Schwärmer und der Calvinisten der zeitgeschichtliche Bezugspunkt ist), hebt Gryphius als Lutheraner und Jurist die schwer wiegende Problematik des Tyrannenmordes hervor. Auch wenn der Fürst schuldig ist (Gryphius betont in seinem Stück die unrechtmäßige Machtergreifung Leos), so ist seine Ermordung doch ein „vngehewre(s) Mord vnd Bubenstück“. Was von der Gesinnung der Verschwörer um Michael Balbus zu halten ist, verdeutlicht Gryphius im 4. Akt, als einer der Verschworenen von einem Zauberer etwas über die Zukunft hören will. Dies geschieht zur gleichen Zeit, in der Leo die Weihnachtsmesse feiert. Weihnachtsoffenbarung und Teufelsoffenbarung stehen sich gegenüber. Noch während der Christmesse wird der schwermütige, von der „vergänglichkeit menschlicher sachen“ überzeugte Leo überfallen. Indem er sterbend das Kreuz küsst, nimmt er, mit den plötzlich geöffneten Augen des Glaubens, sein Kreuz auf sich, reicht ihm Christus im Kreuz die Hand, wird er aus dem stets neue Schuld hervorbringenden Kreislauf der Geschichte, in dem er durch sein Machtstreben gefangen war, herausgerissen; seine Mörder dagegen werden die Gefangenen der gleichen Sorgen um den weltlichen Machterhalt sein, die er mit seiner Bekehrung im Tod abgeschüttelt hat.

So stellt Gryphius Simons Jesuitendrama vom bestraften Tyrannen ein protestantisches Drama vom bekehrten Sünder gegenüber, das des ‚sola fide‘ – ‚allein durch seinen Glauben‘ – erhöhten Kaisers. Obwohl Leo noch nicht zu den von ihm später gestalteten königlichen Märtyrern gehört, hat er mit diesen doch schon gemein, dass seine eigentliche Herrschaft erst im Verlust der weltlichen Macht, in der Erniedrigung beginnt. Seine Bekehrung sollte den Zuschauern zugleich den Trost angesichts der Verzweiflung spenden, in die sie durch die Vergegenwärtigung der ‚vanitas mundi‘ geraten sein mochten. Damit wird bereits dieses frühe Drama von einer Wirkungsabsicht getragen, die auch Gryphius’ spätere Trauerspiele bestimmt. Der aristotelische Katharsisbegriff wird dabei insbesondere unter dem Einfluss des Stoikers Seneca (wie ihn beispielsweise Antonio Minturno in seinen Poetiken [De Poeta, 1559, und Harte poetica, 1564] und Martin Opitz in der viel besprochenen Vorrede zu seiner Übersetzung von Senecas Troerinnen [1625] dokumentieren) entschieden umgedeutet. Das Wechselspiel von Erregung und Reinigung der tragischen Affekte verwandelt sich in eine „interdependente Abfolge von Provokation (durch Vanitas) und Konsolation (gegen Fortuna).“65 In diesem Verständnis also ist Katharsis Tröstung, wird die Tragödie zur moralischen Kraft: Sie stabilisiert den Affekthaushalt des Zuschauers, indem sie ihm den Weg zeigt, gegen die Fortuna, gegen die Wechselfälle und die Trostlosigkeit der irdischen Verhältnisse zu bestehen.

Dabei interessiert die im Trauerspiel vorgeführte Situation nicht in ihrer historischen Richtigkeit; sie soll exemplarisch nur den Mechanismus des ‚Weltgetriebes‘ vor Augen führen. Entsprechend werden die auf der Bühne agierenden Protagonisten nicht als Personen vergegenwärtigt, sondern als exemplarisch auf ein Allgemeines verweisende Figuren. Ein Leo Arminius wird in diesem Sinn nicht als Charakter entwickelt, sondern ist der Typus, an dem die Bekehrung als ein prinzipielles Ereignis christlichen Lebens veranschaulicht werden kann. Darin liegt auch der Grund für den rhetorischen Charakter der szenischen Auseinandersetzungen. Die Reden der Figuren sind von Formelhaftigkeit geprägt und mit Sentenzen durchsetzt, durch die der Zuschauer ständig auf das über den vorgeführten Fall Hinausweisende gelenkt wird:

Theo: Wer kan der Fürsten zeit/wenn Gott nicht wil/verkürtzen?

Leo: Gott wacht für vns vnd heist vns selbst auch wache seyn.

Theo: Wenn Gott nicht selber wacht schläfft jeder Wächter eyn!

(II,440ff.)66

Der Barockdramatiker versteht sich als Ausleger einer „transpersonalen Sphäre der Werte“,67 die auf die handelnden Menschen einwirken und ihnen Entscheidungen abverlangen; es bleibt außerhalb seines Horizonts, dieses transpersonale Wertesystem als solches zu hinterfragen.

Auch Cardenio und Celinde, Oder Unglücklich Verliebete, erst 1657 erschienen, obwohl Gryphius sich seit 1647 mit dem Stoff beschäftigte, ist ein Bekehrungsdrama. Es fällt als Trauerspiel schon deswegen aus dem Rahmen, weil es die Ständeklausel der Barockpoetiken missachtet, also Personen geringeren Standes agieren lässt, was jedoch kein ausreichender Grund ist, es als Vorläufer des bürgerlichen Trauerspiels zu bezeichnen. Gryphius verknüpft den ‚vanitas‘-Gedanken hier mit dem Beispiel zweier in Leidenschaften verstrickter und Schuld auf sich ladender Liebender, die schließlich durch die Gespenstererscheinung eines durch einen von ihnen zu Tode Gekommenen dermaßen erschüttert werden, dass sie sich zu einer keuschen und sittsamen Liebe bekennen. Damit wird keine moralische Erziehung des Zuschauers im Sinne der säkularisierten Moralbegriffe der Aufklärung intendiert; vielmehr zeigt auch dieses Stück, wie der Leo Arminius, den Vorgang der Umkehr des ganzen Menschen. In diesem Sinn ist die Umkehr auch hier einer religiösen Erneuerung vergleichbar, die sich – dramaturgisch gesehen – in eine moralische Konstellation einfügt: Das Leben der beiden Protagonisten – dies lässt auch hier die konsolatorische Funktion der Tragödie erkennen – wird sich ‚von Grund auf‘ verändern und ihnen, eingedenk des göttlichen Richters, ein moralisches, d.h. von ungestümen Affekten befreites Miteinander ermöglichen.

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