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Theater (Wandertruppen)

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Was an technischen Möglichkeiten zur Oper gehörte, wurde auch im Theater verwendet. Auch das Theater gehörte in den Rahmen des höfischen Festes. Am französischen Hofwaren theatralische Aufführungen schon vor Ludwig XIV. üblich, und gerade er förderte neben Ballett und Oper nachhaltig auch das Schauspiel, ließ nicht nur Tragödien Corneilles und zumal Racines am Hofe aufführen (was eine Voraussetzung für ihren Erfolg auch in Paris vor breiterem Publikum wurde), sondern nahm sich insbesondere auch der Komödien Molières an, den er am Hofe beschäftigte und dem zeitweilig – gleichsam in der Funktion des Hofnarren – erlaubt war, unter königlichem Schutz die höchsten Autoritäten des Reiches in seinen Stücken zu verspotten. – An den deutschen Höfen war mit solchen Namen nicht zu konkurrieren. Hier sorgten zunächst vor allem die Wandertruppen für theatralische Unterhaltung. Obwohl die Wandertruppen – von einigen Ausnahmen abgesehen – in der Regel nicht voll in die Hofkultur integriert waren, unterhielten sie in Deutschland während des ganzen 17. Jahrhunderts und auch noch im 18. Jahrhundert meist enge Beziehungen zu den absolutistischen Machtzentren.40 Im ausgehenden 16. Jahrhundert waren zuerst italienische Berufskomödianten im süddeutschen Raum erschienen. Aber diese Commedia dell’arte-Truppen konnten sich, schon weil sie an der italienischen Sprache festhielten, nur zeitweilig an einigen süddeutschen Fürstenhöfen durchsetzen. Großen Erfolg dagegen hatten die Englischen Komödianten. Dies waren professionelle Schauspielertruppen aus dem elisabethanischen England, die seit 1585 in Deutschland nachweisbar sind. Im 17. Jahrhundert spielten solche Truppen auch schon in Polen und im Baltikum, in Böhmen, im Elsass und in der Schweiz – und nicht nur an Höfen, sondern auch in zahlreichen Städten, besonders zu Messe- und Jahrmarktszeiten. Von Beginn an wandten sie sich gleichermaßen an ein höfisches wie an ein bürgerliches Publikum und wurden in beiden Sozialbereichen auch gleichermaßen akzeptiert. Die Voraussetzung dafür war nicht nur, dass sie sich die deutsche Sprache aneigneten, sondern dass sie über ein genügend großes, die unterschiedlichen Interessen berücksichtigendes Angebot an Stücken verfügten. Je größer ihr Repertoire war – und dieses Repertoire umfasste, insgesamt gesehen, freie, d.h. die originale Textgestalt z.T. weitgehend vernachlässigende Nachbildungen der gesamten neuzeitlichen Dramatik von den Königsdramen Shakespeares bis zum billigsten Ehebruchsschwank – desto länger konnte zugleich auch das Interesse des Publikums wach gehalten werden. In den Städten verdrängten die Komödianten auf diese Weise allmählich das alte, in der Tradition der Fastnachtspiele stehende bürgerliche Laienspiel (vgl. P. N., 2012 a, IV) und regten teilweise auch bürgerliche Autoren an (wie in Nürnberg z.B. den Notar und Prokurator Jakob Ayrer), Stücke zu schreiben, die sich am Vorbild ihrer Theaterpraxis orientierten. – Um ein Engagement am Hofe zu bekommen, legten die Prinzipale der englischen und der bald auch nach ihrem Vorbild entstehenden deutschen Wandertruppen Listen der von ihnen spielbaren Stücke vor. Im Durchschnitt umfassten diese Listen 20–30 Titel – die längste mit 87 Titeln stammte von der deutschen Truppe Johann Veltens, der damit den kurpfälzischen Hof in Heidelberg zu beeindrucken und zu ‚Bestellungen‘ zu veranlassen suchte. Auch wenn bei der Anfertigung solcher Titellisten mit mancherlei Vortäuschungen gearbeitet worden sein mag, lässt sich doch nicht verkennen, dass das Repertoireprinzip den Akteuren erhebliche Gedächtnisleistungen abverlangte, die nur von Berufsschauspielern erbracht werden konnten, die ständig miteinander kommunizierten und übten. Zugleich ist damit aber auch angedeutet, dass die Wandertruppen im Rahmen des höfischen Festes letztlich ein Fremdkörper bleiben mussten. Denn zum höfischen Fest gehörte die Einmaligkeit des Anlasses, gehörte das Auftragswerk, die langwierige Vorbereitung seiner Aufführung, während das Wandertheater den Hof aus dem ‚Warenlager‘ seines Repertoires bediente, somit zwar Lücken füllte und zusätzliche Unterhaltung bot, dem Repräsentationsbedürfnis des absolutistischen Hofes aber eigentlich nicht gerecht werden konnte. Gleichwohl hat es einzelne Fürsten gegeben, die sich durch die Wandertruppen zu eigener literarischer Produktion angeregt fühlten und selbst Stücke zu schreiben begannen – Landgraf Moritz von Hessen etwa, unter dem 1605 in Kassel das erste ständige Theater Deutschlands, das Ottonium, errichtet wurde, vor allem aber Herzog Heinrich Julius von Braunschweig, an dessen Wolfenbütteler Hof mehrmals ein Teil der berühmten Theatertruppe Robert Browns unter Thomas Sackville gastierte, der dem Herzog bei der Abfassung seiner Dramen wahrscheinlich behilflich war. Wie Moritz von Hessen behandelte Heinrich Julius von Braunschweig gerne biblische Themen, insbesondere das Ehebruch-Motiv, wobei er besonders auf die rigorose Bestrafung der Schuldigen achtete (Von der Susanna, 1593); mehr noch interessierten ihn politische Stoffe, die ihm ermöglichten, seine Neigung zur Schwarz-Weiß-Malerei voll zu entfalten und nicht nur die Gräueltaten von Bösewichtern, sondern auch ihr schreckliches Ende vorzuführen. Seine von Shakespeares Jugendwerk Titus Andronicus abhängige Tragödie Von einem ungeratenen Sohn dürfte das blutrünstigste Drama der deutschen Literaturgeschichte sein.41 Hier imitiert er ungehemmt den Naturalismus und die Pathetik, die den Englischen Komödianten schon deswegen nahe lagen, als sie ihr Problem, sich sprachlich verständlich zu machen, durch übertriebene Mimik und Gestik zu überbrücken gewohnt waren. Zu den sinnlichen Reizen ihrer Spiele – sie waren oft auch glänzende Tänzer, Fechter und Artisten – gehörte nicht nur die Drastik der Vergegenwärtigung emotionaler Bewegungen, die gleichsam die Verständigung unterhalb der sprachlichen Ebene erleichterte, sondern gehörten etwa auch sehr realistisch gestaltete, auch den fürstlichen Gönner Heinrich Julius offenbar faszinierende, Folter- und Mordszenen, wie sie auch in der Oper gern gesehen wurden. Herrenlose Gliedmaßen türmten sich dann auf dem Boden, Blut sprudelte, das Hirn von Menschen wurde zu Pasteten verarbeitet u.a.m. Neben solchen ‚Hauptaktionen‘, die bald auch, sofern die Handlung in höfischen Gesellschaftskreisen angesiedelt war, ‚Staatsaktionen‘ hießen (‚Haupt- und Staatsaktion‘ verfestigte sich schließlich zu einem Begriff) standen in den Theateraufführungen der Englischen Komödianten, um die Gunst des Publikums zu gewinnen, immer auch lustige Einlagen, deren Mittelpunkt die ‚komische Figur‘ war, die meist sogar vom Prinzipal der Truppe gespielt wurde, weil sie nicht nur das größte schauspielerische Geschick erforderte, sondern auch den größten Beifall erntete (die bekanntesten dieser in der Nachfolge des Narren stehenden Figuren wurden Sackvilles Johannes Bouset, Spencers Hans von Stockfisch und Reynolds Pickelhäring). Die Funktionen der ‚komischen Figur‘ waren vielfältig und theatergeschichtlich von nachhaltiger Wirkung – man denke an Gottscheds Polemik (vgl. II) und Lessings Reaktion auf ihn oder auch an ihre hintergründigen Ausprägungen bei Johann Nestroy. Häufig in der Stellung eines Dieners oder Boten, konnte sie relativ unmotiviert auf der Bühne erscheinen und einerseits altbewährte Techniken der Komik ins Spiel bringen (das Missverstehen, Wörtlichnehmen, Stören, Stolpern usw.), andererseits (oft vorlaut) kommentierend neben die Handlung treten und den Zuschauern in direkter Ansprache Erklärungshilfen geben. Ein Pickelhäring, Jean Potage oder Hanswurst war zugleich aber auch – wie die Namen schon andeuten – ein Fresssack oder Säufer, ein vitaler Protzer, der die Gewalt des Sinnlichen ins Spiel brachte. Es hing von der Begabung und vor allem von der Improvisationskunst der die komische Figur darstellenden Schauspieler (und natürlich auch von den Bedürfnissen des Publikums) ab, inwieweit sie sich mit ihren Einlagen in den Vordergrund schob. Heinrich Julius von Braunschweig war von den Fähigkeiten Thomas Sackvilles als Komiker immerhin so überzeugt, dass er ihm in seinem Vincentius Ladislaus (1594), in dem die Großmannssucht eines reisenden Fechtmeisters, eines Maulhelden vom Typus des ‚miles gloriosus‘, des ‚capitano‘, der von Höflingen verspottet wird, weil er sich dem heraufkommenden höfischen Kulturideal und der Etikette nicht fügen will, eine Paraderolle auf den Leib schrieb. Dennoch war ein solches Stück, das die komische Figur so ganz in den Mittelpunkt rückte, trotz seines Erfolgs eher eine Ausnahme. Die komische Figur begleitete in der Regel die ‚Haupt- und Staatsaktionen‘ und unterbrach diese gelegentlich, wurde aber – zumal am Hofe – nicht in der Hauptrolle gewünscht. Dies hätte der repräsentativen Bedeutung widersprochen, die im Rahmen höfischer Festlichkeit neben der Oper auch das Theaterspiel erhalten sollte.

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