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Die Märtyrerdramen
ОглавлениеDem Modell des ‚Märtyrerdramas‘ folgte Gryphius – auch hier von den Jesuiten beeinflusst – in seinen Trauerspielen Catharina von Georgien. Oder bewehrete Beständigkeit (geschrieben zwischen 1647 und 1650, erschienen 1657) und Ermordete Majestät Oder Carolus Stuardus König von Gross Britannien (geschrieben 1649/50, veröffentlicht 1657 und 1663 in zwei voneinander abweichenden Fassungen). In der Catharina von Georgien griff er auf die Ermordung dieser christlichen Königin durch Abas, den Schah von Persien, im Jahre 1624 zurück. Doch auch dieses Stück will kein Geschichtsdrama sein, ebenso wenig wie der Leo Arminius, sondern Lehrstück; der einleitende ‚Prolog der Ewigkeit‘ fordert die Zuschauer direkt auf, dem Vorbild der Heldin nachzuleben. Die dramatische Handlung, die sich auf den letzten Lebenstag Catharinas beschränkt, konfrontiert den sie leidenschaftlich liebenden, ihr die Ehe und die Krone Persiens antragenden Schah und die von ihm als Geisel festgehaltene, ihn abweisende Christin, die ihrem ermordeten Mann und ihrem Glauben treu bleiben will. Dabei erscheint Abas als der von Affekten besessene Tyrann, der sich – ein aggressiver Exponent der ‚vanitas mundi‘ – in unerfülltem Liebesverlangen zermartert und die Geliebte doch foltern lässt, wobei Gryphius mit dem Kunstgriff arbeitet, dem metaphorischen Kerker des Liebesjochs, in dem Abas sich befindet, den wirklichen Kerker Catharinas, dem falschen Martyrium der Leidenschaft das wahre Martyrium der Standhaften gegenüberzustellen.68 Catharinas Beständigkeit bildet nicht einfach das stoische Apathie-Ideal, die Tugend der ‚constantia‘ ab (obwohl Gryphius mit stoischem Gedankengut bestens vertraut war – nicht zuletzt durch den niederländischen Neustoizisten Justus Lipsius, den er aus Leiden kannte);69 Catharina ist von Angst vor dem Foltertod erfüllt. Erst als sie die Nachricht von der Errettung ihres Sohnes erhält, erfolgt der Umschwung, der sie in der irdischen Vernichtung das Handeln Gottes an ihr erkennen lässt. Ihre Bereitschaft zum Martyrium ist nicht heroisch, keine Bewährung vor sich selbst, sondern erwächst – dies ist der Grundimpuls aller Konsolationsliteratur – aus der Erfahrung der Zuwendung Gottes zu ihr, die ihr die bewusste Annahme des Leidens, die Anteilnahme an der Passion Christi ermöglicht. In der Gewissheit, schon als Märtyrerin an der Ewigkeit teilzunehmen, überwindet sie die ‚Weltangst‘, gewinnt sie die radikale christliche Freiheit gegenüber der ‚Eitelkeit der Welt‘, die zu Beginn des Dramas schon die allegorische Figur der Ewigkeit (in einer Paraphrase eines schon früher entstandenen Lissaer Sonnetts) äußert (V. 27ff.):
Was dieser baut bricht jener Morgen ein/
Wo itzt Paläste stehn
Wird künfftig nichts als Gras und Wiese seyn
Auff der ein Schäfers Kind wird nach der Herde gehn/
Euch selbst/den grosse Schlösser noch zu enge
Wird/wenn ihr bald von hier entweichen werdet müssen
Ein enges Hauß ein schmaler Sarg beschlissen.
Ein Sarg der recht entdeckt wie kurtz des Menschen Länge.
Der christliche Gehalt und der konsolatorische Ausgang des Dramas dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es ebenso wie der Carolus Stuardus politische Relevanz besaß. Gryphius war der Auffassung, dass allein die unantastbare Ordnungsmacht des monarchischen Absolutismus politischer Anarchie Einhalt gebieten könne; tragische Situationen sah er immer dann entstehen, wenn die von ihm als notwendig erkannte Staatsform nicht angemessen repräsentiert wurde oder wenn politische Interessen die Ordnungsmacht des Staates in ihr Gegenteil verkehrten. Während in seiner Catharina von Georgien die politisch engagierte, für die Freiheit und Unabhängigkeit ihres Volkes eintretende Königin Catharina der machiavellistischen Politik eines anderen – als ‚fabricator mali‘ auftretenden – Herrschers zum Opfer fällt, aber im Untergang durch die Bewahrung der ‚constantia‘ ihren politischen Wertvorstellungen den größten Nachdruck verleihen kann, wird im Carolus Stuardus, der darin dem Leo Arminius ähnlich ist, das Empordrängen politischer Machtgier aus der Mitte der Untertanen gezeigt, das gerade denjenigen Monarchen ins Verderben führt, der sein Amt vernunftgeleitet führen und Menschlichkeit bewahren will.
Wie sehr Gryphius den Carolus Stuardus als politisches Drama verstand, zeigt allein sein Widmungsgedicht an den Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, in dem dieser zur Parteinahme für das englische Königshaus aufgefordert wird, zur direkten politischen und militärischen Aktion. Der Sturz der Monarchie in England durch Oliver Cromwell und die Hinrichtung Karls I. im Januar 1649 bewegte die Zeitgenossen in ganz Europa wie kaum ein anderes politisches Ereignis, und Gryphius griff mit seinem Trauerspiel unmittelbar in die Diskussion darüber ein. Sein Stück zeigt (in seiner ersten Fassung) zunächst den inmitten seiner Edelleute auf seine Hinrichtung wartenden und Abschied nehmenden Karl: „Brich an gewündtschtes Licht/wir sind deß Lebens sat//Und schaun den König an/der selbst ein Creutz betrat//. Verhast von seinem Volck/verlacht von seinen Scharen …“ (1,227–229). Gespräche zwischen dem kompromissbereiten Cromwell und dem unduldsamen Fairfex, dann zwischen ausländischen Diplomaten füllen die nächsten Abhandlungen, bis Karl am Ende im Bewusstsein seiner Unschuld als Märtyrer den Richtplatz betritt und getötet wird. Die spätere Fassung weist erhebliche Veränderungen auf. Dabei ist weniger eine scheiternde Gegenverschwörung von Bedeutung, die in das Drama eingefügt wird und einen Rollentausch zwischen Cromwell und Fairfex notwendig macht, als vielmehr die Ausarbeitung der symbolischen Parallelität von Karl und Christus. Offensichtlich griff Gryphius auf inzwischen erschienene Quellen zurück, die belegen, dass auch der historische Karl sein Schicksal in der Passionsgeschichte Christi vorgebildet sah.70 So lässt Gryphius nun – um nur auf einige Analogien hinzuweisen – einen englischen Grafen berichten, dass Carolus auf dem Weg zum Parlament von einem Soldaten angespien worden sei und dass der Bischof am Hinrichtungsmorgen die Kreuzigungsgeschichte des Evangelisten Matthäus vorgelesen habe; Fairfex wird nun so gestaltet, dass er Pilatus ähnelt, während die Verschwörer den Hohepriestern vergleichbar sind; neu einführt wird die Judasfigur Poleh, der sich wegen seines Verrats selbst verflucht und zugleich eine – in der 5. Abhandlung als Theater auf dem Theater präsentierte – Vorstellung entwickelt, die nicht nur die Hinrichtung der Königsmörder, sondern auch den Wiederaufstieg des Hauses Stuart prophezeit. – Es greift sicher zu kurz, in diesen und anderen, hier nicht erwähnten Anspielungen auf die biblische Geschichte nur den Versuch zu sehen, durch das Prinzip der Nachbildung den Leidensweg Karls zu unterstreichen; vielmehr bediente sich Gryphius, indem er Karl als Figura Christi herausstellte, eines Modells politischer Typologie, das die Herrschaft des englischen Königs auf die eschatologische Königsherrschaft Christi bezog,71 und schloss sich damit dem in der zeitgenössischen Auseinandersetzung häufig vorgetragenen und – weil es die königliche Herrschaft aus höchster Instanz legitimierte – als besonders gewichtig empfundenen Argument der Royalisten gegen die puritanisch-interdependistische Theorie von der Volkssouveränität an (vgl. u.).