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Petrarkistische Lyrik; Zesen und die ‚Pegnitzschäfer‘
ОглавлениеDer andere große Zweig barocker Lyrik lässt sich mit dem Begriff des Petrarkismus verbinden, der eine Vielzahl von Motiven und Formeln zusammenfasst, die den Liebesdichtungen des italienischen Humanisten Petrarca entnommen und zu einer Art erotischem System ausgebildet worden waren, das über einige Jahrhunderte hinweg im Kreise der Humanisten europäische Geltung besaß. Zum Motivkreis petrarkistischer Lyrik gehörten u.a. der Frauenpreis, die Bewunderung der Attribute körperlicher Schönheit, der sich in der Anbetung der Dame sehn süchtig Verzehrende, die Liebesklage, also Motive, die auch den mittelalterlichen Minnesang (vgl. zu ihm ausführlich P. N., 2012 a, III) bestimmten. Der Bearbeitung dieser Motive diente ein differenzierter sprachlicher Formelschatz, dessen Übertragung ins Deutsche für viele der humanistisch gebildeten Lyriker des Barock eine reizvolle, auch gesellschaftliche Anerkennung bewirkende Beschäftigung war. Auch diese Liebeslyrik also war ‚Gebrauchslyrik‘, diente der Unterhaltung der ‚guten Gesellschaft‘, und es wäre ganz verfehlt, in ihr eine unmittelbare Abbildung der Liebeserlebnisse ihrer Verfasser zu sehen.
Unter den deutschen Barockdichtern, die sich der petrarkistischen Tradition zuwandten (was in keinem Fall ausschließt, dass sie sich auch anderen Themenkreisen widmeten), ragt zunächst der als Autor neulateinischer Lyrik angesehene, an Opitz geschulte Paul Fleming hervor, dessen deutschsprachige Liebesgedichte erst posthum veröffentlicht wurden (D. Paul Flemings Poetischer Gedichten …, 1641; Teütsche Poemata, 1642). Sie bereichern das Spektrum petrarkistischer Motive nicht nur (in Erinnerung an antike Autoren, vor allem an Catull) um das der erotischen Begegnung und des partnerschaftlichen Glücks (nicht ohne Grund hat Goethe sich Flemings später erinnert), sondern auch um das der Treue. Mit diesen beiden Motiven aber berührte Fleming auch schon die Grenzen petrarkistischer Konvention und stellte, so gut er ihre Regeln beherrschte, deren Verbindlichkeit in Frage. So sieht man in ihm auch denjenigen Liebeslyriker des 17. Jahrhunderts vor Johann Christian Günther, bei dem – jedenfalls in einem Teil seiner späten Oden – die ‚Verinnerlichung‘ konventionell gebrauchter Motive am ehesten spürbar wird.124
Thematisch weniger originell als Fleming, dafür ständig formale Neuerungen ins Spiel bringend, dichtete als freier Schriftsteller (d.h. nie ein Amt ausübende, gleichwohl 1653 geadelte) Philipp von Zesen, der wie ein Bindeglied zwischen den Opitzianern und den manieristischen Liebeslyrikern späterer Jahrzehnte wirkt. Seiner Zeit war er nicht zuletzt als Gründer der ‚Teutschgesinneten Genossenschaft‘ bekannt, einer Hamburger Sprachgesellschaft, in der man unermüdlich für ‚Sprachreinigung‘, d.h. für die Eindeutschungen von Fremdwörtern eintrat. (Zesen selbst verdanken wir beispielsweise Wörter wie Anschrift (für Adresse), Vertrag (für Kontrakt), Augenblick (für Moment).)125 Als Verfasser einer sich für die Verwendung des Daktylus im Deutschen einsetzenden, einflussreichen Poetik schon genannt, bemühte er sich in seinen vielen Liedern nicht nur um rhythmische Bereicherungen, sondern durch die Verwendung von Alliterationen, Assonanzen und Binnenreimen auch um die Nachahmung musikalischer Klangwirkungen:
Wie tantzen die Lantzen/wie eylen die Pfeile/
Wie blitzen die Augen der beyden allhier!
Sie funckeln im dunckeln bey nächtlicher weile/
Wie sonsten die Sterne von ferne voll Zier …126
Sein Meien-lied („Der Römischen Keiserlichen/…/der Allerdurchleuchtigsten Eleonoren/… am ersten Mäi-tage des 1653 jahres/aus alleruntertähnigster Schuldigkeit gewidmet durch F. Von Zesen.“127) weist in seiner Musikalität schon auf Clemens Brentano voraus – und ist im Übrigen ein Musterbeispiel panegyrischer Lyrik und rhetorischen Dichtungsverständnisses:
Glimmert ihr Sterne/
schimmert von ferne/
blinkert nicht trübe/
flinkert zu liebe
dieser erfreulichen lieblichen zeit.
Lachet ihr himmel/
machet getümmel/
regnet uns seegen/
segnet den regen/
der uns in freude verwandelt das leid.
Schwitzet und tauet/
blitzet/und schauet
höhen und felder/
seen und wälder
alle mit gnaden an; Kröhnet das jahr.
Erde/sei fröhlich/
werde nun ehlich.
Singet im schatten/
springet zum gatten/
singet/ihr vogel/und machet ein paar.
Gehet ihr winde/
wehet gelinde;
springet ihr änger;
singet ihr sänger/
singet der Keiserin einen gesang;
zieret die Zeiten/
rühret die Seiten/
zwinget sie eher/
bringet sie höher/
daß sich erhöbe der lieblichste klang.
Schallet ihr tähler;
hallet ihr säler.
schwenket die lichter;
denket/ihr Dichter/
wie ihr der irdischen Göttin gefallt;
spitzet die kielen/
sitzet zu spielen/
treibet die geister/
schreibet/ihr meister/
daß es der Nach-welt zum wunder erschallt.
Unsere Sonne/
unsere wonne
unsere Göttin/
unsere Göttin/
unsere gnädigst-gebietende Frau
sollen wir letzen/
wollen wier setzen
eben von ferne
neben die Sterne/
wo sich befindet der himlische bau.
Da sol Sie schimmern/
da sol Sie glimmern/
ewiglich blühen/
ewiglich sprühen
blitzlende strahlen/durch Tugend entzündt;
welche Sie höret
welche Sie ehret/
ja sie so liebet/
ja sie so übet/
daß Sie das hertze des Keisers gewinnt.
Jugend vergehet/
Tugend bestehet;
nimmermehr stirbet/
nimmer verdirbet
unserer Keiserin götlicher glantz.
Schwindet die höhle
bleibet die seele;
schwindet das kennen/
bleibet das nennen/
welches erlanget den ewigen krantz.
Durch klangliche Effekte, wie sie von diesem Gedicht ausgehen, wollte Zesen zugleich auf die reichen Möglichkeiten der deutschen Sprache aufmerksam machen. Die Freude am Klang der Verse verbindet ihn mit David Schirmer, vor allem aber mit Georg Philipp Harsdörffer, Johann Klaj und Sigmund von Birken, den führenden Köpfen des ‚Löblichen Hirten- und Blumen-Ordens an der Pegnitz‘, einer Dichtergesellschaft,128 die sich vornehmlich mit ‚Schäferdichtung‘ (vgl. u.) befasste. Auch diesen so genannten ‚Nürnbergern‘ oder ‚Pegnitzschäfern‘ ging es mit ihrer Vorliebe für Lautmalereien und rhythmische Beweglichkeit nicht zuletzt um ästhetische Sensibilisierung. Die Poetik des Nürnberger Patriziers Harsdörffer (Poetischer Trichter …, 1647–53) macht deutlich, dass sie die Erweiterung der Ausdrucksmöglichkeiten der deutschen Sprache zugleich als eine patriotische Zielsetzung verstanden.