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Die Komödien
ОглавлениеSeine entschiedene Stellungnahme für die Unantastbarkeit des Regenten und die hierarchische Struktur der Gesellschaft lässt sich auf andere Weise auch in der vor 1650 begonnenen, aber erst 1658 erschienenen Absurda Comica. Oder Herr Peter Squentz. Schimpff-Spiel, dem beliebtesten Lustspiel des deutschen Barock, erkennen. Gryphius bearbeitete hier einen Stoff,72 der durch die englischen Komödianten auf den Kontinent gekommen war, die ihrerseits auf Shakespeares A Midsummer-Night’s Dream (um 1595) zurückgriffen. Bei Gryphius konzentriert sich das Geschehen auf die Vorbereitung und Aufführung der Geschichte von Pyramus und Thisbe durch eine Gruppe kleinstädtischer Handwerker unter ihrem überheblichen Sprecher Peter Squentz vor einem König und seiner Gesellschaft, die in die Rolle von Zuschauern versetzt werden und sich über die dilettantische Darstellung der Spieler lustig machen. Das Theater der Handwerker, das von der königlichen Gesellschaft auf dem Theater verlacht wird, soll auch den Spott der Betrachter dieses Lustspiels evozieren. Zielscheibe des Spottes ist nicht nur das unzulängliche Spiel der kleinen Bürger, sondern auch deren nicht-höfisches, tölpelhaft-unflätiges und zugleich anmaßendes (d.h. die eigene ‚Unangemessenheit‘ gar nicht wahrnehmendes) Benehmen. Es ist von literatursoziologischem Interesse, dass die Handwerker damit die Rolle übernehmen, die in der spätmittelalterlichen Literatur und im Fastnachtspiel des 16. Jahrhunderts (vgl. P. N., 2012 a, IV) zumeist den Bauern vorbehalten war.73 So wie der Bauer seinerzeit außerhalb des Bereichs der mittelalterlichen Stadtkultur stand, so steht bei Gryphius der kleinbürgerliche Städter außerhalb der Hofkultur. Seine Lächerlichkeit erweist sich in seinem Versagen, den Erwartungen des Hofes (vor allem der von Rhetorik bestimmten Kavalierssprache und den Regeln der Etikette) gerecht zu werden. Ebenso verächtlich erscheint den höfischen Betrachtern im Spiel (und mit Sicherheit auch den ‚gebildeten‘ Betrachtern im Zuschauerraum) der Unverstand in künstlerischen Fragen. Pickelhäring spielt den Pyramus, der Narr den Helden, und alle zusammen führen eine „fröliche Tragoedi“ auf. Der Klassizist Gryphius, dem die Vermischung der Gattungen ein Gräuel war, nutzte dabei die Gelegenheit, auch den Meistersang und das Fastnachtspiel, auf die er die Laienspieler sich berufen lässt, durch zahlreiche Anspielungen zu verunglimpfen, auch dies ein Zeichen dafür, wie entschieden der höfisch orientierte Künstler sich von der volkstümlichen Literatur des 16. Jahrhunderts abzugrenzen suchte. Nicht zuletzt die Wahl des Stoffes von Pyramus und Thisbe für das Theater im Theater fügt sich in die Reihe der parodistischen Abwertungen des Kunstverstands und des Geschmacks der ‚vorgeführten‘ Laienspieler ein: Der von ihnen ernst genommene Liebestod der antiken Protagonisten konnte für den Barockdichter nichts anderes sein als „die alberne Geschichte einer blinden und übereilten Leidenschaft, das Gegenbild beispielhafter Haltung, die in der Herrschaft des Menschen über sich selbst und seine Leidenschaften besteht.“74 Der im Spiel als Zuschauer sich amüsierende König bezahlt am Ende die Schauspieler auch nicht für ihre Aufführung, sondern für die Zahl der Schnitzer, die sie sich dabei geleistet haben – deutlicher lässt sich Verachtung nicht zeigen, auch und gerade wenn sie mit der gnadenhaften Verzeihung des verfehlten Ehrgeizes der Untertanen einhergeht. Auch in Fragen poetischer Qualität, wird so gezeigt, ist der König die kompetente Instanz. Dass Gryphius mit dieser Schmeichelei, die dem Herrscher Autorität auch in geistiger Hinsicht zusprach, zugleich der Bedeutung der Kunst am Hofe das Wort redete, versteht sich dabei von selbst.
Auf andere Weise als Peter Squentz und seine schauspielernden Handwerker wirken die ‚komischen Helden‘ des zwischen 1647 und 1650 entstandenen, aber erst 1663 erschienenen Horribilicribifax. Teutsch. Wehlende Liebhaber als Gegenbilder zur höfischen Gesellschaft. In diesem an die Tradition der Commedia dell’arte anknüpfenden Scherzspiel nimmt Gryphius (wie vor ihm schon Heinrich Julius von Braunschweig) das Motiv des Plautinischen ‚miles gloriosus‘ auf und stellt mit Horribilicribifax von Donnerkeil auf Wüsthausen und Daradiridatumtarides und Windbrecher von Tausend Mord, Erbherr in und zu Windloch, zwei Soldaten vor, die sich allein schon durch ihre Großsprecherei als betrügerische Aufschneider demaskieren. Ihnen stehen in dem allerlei Liebeshändel entfaltenden Stück mit dem Statthalter Cleander und mit Palladius, dem akademisch gebildeten und dadurch adelsgleichen Bürger, wahre Kavaliere gegenüber, die nicht wie die beiden Soldaten an „jungfern fleisch“ und Mitgift denken, sondern Liebe als Herzensangelegenheit betrachten. Die vielen vorgeführten Turbulenzen enden schließlich in einem Hochzeitsreigen, der verschiedene Paare nach ihren moralischen Verdiensten zusammenführt, wobei diese Verdienste auch zu einer sozialen Neuordnung führen. Während die beiden Maulhelden zu einfachen Korporälen degradiert und damit gesellschaftlich vernichtet werden, steigen ihre Gegenspieler zu einflussreichen Hofleuten auf, deren Vorbildlichkeit sich nicht zuletzt in ihrem Sprachgebrauch erweist. Ihr elegantes, an den Regeln höfischer Rhetorik geschultes Deutsch steht maßstabsetzend dem mit italienischen und französischen Brocken durchsetzten Kauderwelsch der Soldaten gegenüber. Horribilicribifax und Daradiridatumtarides sollen vor allem auch deswegen verlacht werden, weil sie ihre Sprache nicht beherrschen, sondern von ihr beherrscht werden und in einem wahren Sprachrausch (dabei durchaus sprachschöpferisch) ständig reden, ohne etwas zu sagen.75 Auch hierin erweist sich ihre Disziplinlosigkeit, der Gryphius die ‚sinnreichen‘, sorgfältig formulierten Aussagen der Höflinge entgegenhält. Dass er am Ende des Dreißigjährigen Krieges mit den falschen Kriegshelden, die sich im endlich erreichten Frieden immer noch martialisch aufführen, den Krieg insgesamt als eine „Verirrung des menschlichen Geistes“ bloßstellen wollte, ist eine einleuchtende Interpretation.76