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Rhetorik und Poetik

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Dass sich das Dichten im 17. Jahrhundert so stark an die ‚Gelegenheit‘ band, lag im Wesen einer Kunstauffassung, die auf die Wirkung der Texte entschiedenes Gewicht legte. Sprachkunst im Barock war intentionale Kunst, hatte öffentlichen Charakter, und das Dichten galt als erlernbar. Die dichterischen Worte entsprangen nicht dem ‚Erlebnis‘, sondern dem ‚Kunstverstand‘ des Autors, der sich um die angemessene, d.h. sachgerechte und zugleich wirkungsvolle Bewältigung seines Gegenstands bzw. Themas bemühte. Die Regeln, die er befolgte, standen über der natürlichen Begabung, dem ‚ingenium‘, das schon insofern relativ gering eingeschätzt wurde, als die durch die Bibel und die antiken Autoren vermittelten Wahrheiten in ihrem Kern als unverbrüchlich galten und die dichterische Arbeit im Wesentlichen der stets neu vorzunehmenden Aneignung dieser Wahrheiten galt. Insofern war es auch nicht anstößig, auf alte und bewährte Vorlagen zurückzugreifen und sie zu variieren – dies lag ganz in der Tradition des Dichtungsverständnisses der Humanisten, über das (in P. N., 2012 a, V) ausführlich gesprochen worden ist. Den Kunstverstand zu schulen, war Aufgabe der Rhetorik und Poetik, wobei die Poetiken des 17. Jahrhunderts sich in ihrer Konzeption weitgehend an die Rhetoriken anlehnten. Die Poetiken befassten sich vornehmlich mit der Gattungslehre und der Frage, welche Themen und Gegenstände für welche Gattungen geeignet seien, mit dem effektvollen Aufbau dichterischer Rede und mit Stilproblemen, besonders ausführlich auch mit der Reim- und Verslehre.

Das mehr oder weniger strikte Befolgen der in ihnen aufgestellten Regeln erlaubt es, auf einige wichtige allgemeine (deswegen aber nicht für alle Autoren in gleicher Weise gültige) Stilmerkmale barocker Lyrik hinzuweisen. Besonders auffällig ist die Kunst der Amplifikation, der Ausweitung der Aussage über das hinaus, was zu ihrem unmittelbaren Verständnis nötig ist. Sie tritt deutlich etwa in der Häufung von Wortvariationen und Vergleichsketten in Erscheinung und kann über die bloße Ausschmückung hinaus den Sinn der differenzierten Betrachtung eines Gegenstands oder Themas erfüllen. Gerade in ihr spiegelt sich die Suche nach den vielfältigen, der menschlichen Erkenntnis oft verstellten Bezügen der Schöpfungsordnung Gottes, denen nachzuspüren und die zu vermitteln einer der wichtigsten Antriebe der Dichter dieses Zeitalters gewesen ist. Derselbe Antrieb führt zu der – im Zusammenhang mit dem Theater schon besprochenen – reichen Verwendung von Allegorien, die den Versuch erkennen lassen, sich dem Sinn der niemals ganz zu durchschauenden Erscheinungen der Wirklichkeit und den Sinnbezügen der von Gott in vollkommener Harmonie geschaffenen Welt anzunähern. Das Gefühl, mit begrifflichen Fixierungen dabei schnell an Grenzen zu stoßen, die um der Erkenntnis willen eigentlich überschritten werden müssten, förderte offenbar auch das Bemühen um ungewohnte Wortfügungen, um – häufig Konkretum und Abstraktum verknüpfende – Metaphern oder um Oxymora, die Gegensätzliches miteinander verbinden. Dem Bedürfnis, das Widersprüchliche zusammenzufügen, kam auf der Versebene der zweiteilige Alexandriner entgegen, in den sich wie in keinen anderen Vers die Gedankenfigur der Antithese einbetten ließ. Und auf der Gedichtebene erwiesen sich für das antithetische Denken vor allem das Sonett, aber auch die pindarische Ode wegen ihrer festen Strophengliederungen als ideale Formen.

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