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Theatralik; ‚theatrum emblematicum‘

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Worin sich die englischen und die sie imitierenden deutschen Wandertruppen, die Oper und das sich an den Höfen im 17. Jahrhundert ausbreitende Jesuitentheater (vgl. u.) trafen, findet am besten in dem Begriff des Theatralischen seine Bezeichnung. Mit ihr ist der Drang zur Versinnlichung gemeint, der sich vordergründig aus der Kompensation der sprachlichen Defizite der Komödianten durch übersteigerte Mimik und Gestik (lautes Weinen, Brüllen, Zittern usw.), aber auch aus dem (insbesondere in der Oper und im Jesuitentheater erkennbaren) Spaß an der Nutzung der neuen technischen Möglichkeiten der Bühne (Versenkungen, Flugvorrichtungen, Wasserspiele usw.) erklärt. All diese Versuche, durch theatralische Effekte die Emotionen des Publikums aufzurühren, und all die Versuche auch, die Zuschauer durch prächtige Kostüme und Ausstattungen zu beeindrucken, fügen sich stimmig in das Programm des höfischen Festes, weisen über ihre Unterhaltungsfunktion aber häufig auch hinaus. Insbesondere Alewyn hat daran erinnert,42 dass das Theater des Barockzeitalters nicht nur ein extrem sinnliches, sondern auch ein extrem geistiges Theater war, das gleichnishaft die verbreitete ‚Einsicht‘ vermittelte, die ganze Welt sei nichts als ein Theater, nichts als eine Bühne, auf der die Menschen als Schauspieler agieren, von Gott, dem Regisseur, der zugleich auch Zuschauer ist, gelenkt. Für diese – von Calderón de la Barca in seinem allegorisch-religiösen Schauspiel El gran teatro del mundo (wahrscheinlich 1645) am klarsten in Szene gesetzte – Vorstellung, die zugleich auch die Faszination, die vom Theatralischen ausging, tiefer begründet, finden sich zahllose Belege43 – und zwar keineswegs nur in der dramatischen Literatur (man denke an die Tradition der satirischen Narrenrevue des späten Mittelalters und des 16. Jahrhunderts (vgl. P. N., 2012 a, IV), an die Sichtweise des pikarischen Romans (vgl. u.) oder an die unzähligen Gedichte (etwa von Czepko, Gryphius, Rist, Logau), die das ‚Spiel des Lebens‘ thematisieren, so dass wir beispielsweise die Metapher vom ‚Trauerspiel des Lebens‘ noch heute als gängige Redewendung gebrauchen.) Wenn das Leben von so vielen als Theater und der Mensch als Schauspieler empfunden wurde, der seine ‚Rolle‘ unter den anderen Menschen und vor ihnen zu spielen hat, und wenn umgekehrt das Theater ein Abbild der Welt geben wollte, so ist es ganz verständlich, dass auf der Bühne auch die ganze Welt erscheinen musste. Dies ist nicht nur der Grund, dass in so vielen Stücken so viele Menschen zwischen den Kulissen agierten, sondern gibt auch der Komödie bzw. den komischen Einlagen in den ernsten ‚Haupt- und Staatsaktionen‘ ihren Stellenwert. „Die Welt ist eine Spielbuene/da immer ein Traur- und Freudgemischtes Schauspiel vorgestellet wird“, schreibt der Poetiker Birken in einer Vorrede.44 So erschienen auf dem Theater alle Stände und alle Lebenssituationen; und es erschienen – wie schon im Zusammenhang mit der Oper gesagt – nicht nur Menschen, sondern auch Götter und Dämonen, Engel und Teufel. Während das Theater Shakespeares und das humanistische Schultheater sich mit der Bühnenfläche, also gleichsam mit der Horizontalen begnügten und damit zu erkennen gegeben hatten, dass sie über die menschliche Ebene nicht hinausstrebten, brachte das Theater des Barock mit seinem ganzen technischen Apparat zur Anschauung, dass es auch Himmel und Hölle, also den „ganzen Durchmesser der christlichen Welt“45 (wie im Drama Calderóns oder im Jesuitentheater), bzw. die heidnische Götter- und Unterwelt (wie in der die klassische Mythologie benutzenden Oper oder im Singspiel) umspannte. Der Mensch erschien gleichsam eingebettet in ein Spannungsfeld, dessen Pole über ihm (im Jenseits) und unter ihm (im Unterirdischen) lagen, wobei die göttlichen und die dämonischen Figuren, die diese Pole repräsentierten, auf der Bühne, in der Sphäre des Sinnlichen, erscheinen konnten. Dies hatte dramaturgische Konsequenzen, auf die noch einzugehen sein wird.

Die Vergegenwärtigung der Vorstellung von der vertikalen Strukturierung der Welt auf dem Theater fand ihre Entsprechung auch in anderen Erscheinungsformen des höfischen Festes, am deutlichsten während des Feuerwerks, das den Himmel in das Festprogramm einzubeziehen suchte. In welchem Maße das gesellschaftliche Leben des gesamten Hofes im absolutistischen Staat mit seinen vielen Rangabstufungen, die in Frankreich bis zum ‚Sonnen‘-König führten, von vertikalen Denkformen bestimmt war, ist ausführlich bereits gezeigt worden. Das Theater verdichtete nur wie in einem Brennpunkt, als was sich die höfische Gesellschaft verstand, als Bühne, auf der die Einzelnen wie Schauspieler ihre hierarchisch geordneten ‚Rollen‘ spielten und sie auszufüllen versuchten. Nicht nur waren Schloss und Garten, Parks und Teiche von vornherein wie eine große Szenerie angelegt, jedes – vom Glanz des die göttliche Machtvollkommenheit abbildenden Fürsten beschienene – Mitglied des Hofes sah sich auf einem Schauplatz agierend, auf den aller Augen gerichtet waren – mit all dem rhetorischen Aufwand, von dem schon die Rede war. Auch die Theatralik der Umgangsformen, die an Kostümierungen erinnernde Kleidung der Hofgesellschaft lassen sich nicht zuletzt von dem Selbstverständnis der ihr Angehörenden her erklären, ‚Schauspieler‘, Rollenträger zu sein. In Lohensteins Widmungsgedicht zur Sophonisbe heißt es: „Kein Leben aber stellt mehr Spiel und Schauplatz dar/Als derer/die den Hof fürs Element erkohren“. Diese Verse verdeutlichen zugleich, dass die Hofgesellschaft die ‚Scheinhaftigkeit‘ des Lebens nur in besonderer Weise repräsentierte. Die Vorstellung, am großen ‚Welttheater‘ teilzunehmen und das eigene Leben als Rolle darin zu verstehen, war im Barockzeitalter allgegenwärtig – im Hofleben gelangte sie gleichsam zu ihrer vollkommenen Anschauung. Hinter ihr – auf diesen Zusammenhang ist oft hingewiesen worden – steht die allgemeine Erfahrung der Vergänglichkeit des Lebens, eine Erfahrung, die gerade im 17. Jahrhundert unverwechselbare historische Ursachen hat. Die Kämpfe des Dreißigjährigen Krieges und die Seuchen, die in den unzählige Flüchtlinge beherbergenden Städten ausbrachen, allen voran die Pest, dezimierten die Bevölkerung (von ca. 16 Millionen auf ca. 10 Millionen Menschen). Die Angst, tödlich zu erkranken, im Krieg umzukommen, zu verarmen, und die Verzweiflung über den Tod oder das Elend Angehöriger prägten das Lebensgefühl der meisten Menschen auf dem Land und in den Städten und, sicherlich abgeschwächt, wohl auch das Lebensgefühl der Hofgesellschaft. Der Glanz der höfischen Feste und die mit ihren Arrangements einhergehende Betriebsamkeit waren insofern und nicht zuletzt auch grandiose Ablenkungen und ermöglichten den Beteiligten und den Zuschauern die zeitweilige Verdrängung ihrer seelischen Belastungen. Aber das Gefühl, Spielball des Zufalls zu sein, mit dem plötzlichen Tod rechnen zu müssen, ging deswegen nicht verloren und führte in der Literatur zum Wiederaufgreifen und zur Erneuerung von Traditionen und Themen, die schon im Mittelalter lebendig waren: Dass Fortuna auf ihrem Rad die Welt regiere, also kein Ding Bestand habe, dass wer heute noch hoch stehe, morgen stürzen könne, dass angesichts des Todes aller Glanz der Welt nur Trug, aller Ehrgeiz vergeblich sei – diese ‚Memento mori‘- und ‚Vanitas mundi‘-Motive wurden, verbunden mit unterschiedlichen Überlegungen, wie der Mensch auf die Vergänglichkeit des Lebens und die Vergeblichkeit seiner Anstrengungen reagieren könne und solle, in den Dichtungen dieses Zeitalters immer aufs Neue wiederholt.46

Kein Medium war besser dafür geeignet, den „Illusionscharakter des Welttreibens“, das „Transitorische des menschlichen Rollenspiels“, die Grunderfahrung der ‚vanitas‘47 ins Bild zu setzen, als das Theater. Denn die Bühne selbst spielt mit dem Schein – durch die Verkürzung der Kulissen, die eine weite Perspektive eröffnet; durch die Bühnenbilder, die Mauern, Bäume, Säulen vortäuschen und nichts sind als Pappe und Papier; durch die Schauspieler, die sich Schminke, Masken und Kostüme anlegen, um in Rollen zu schlüpfen und um sich zu verstellen, und doch nichts sind als sie selbst. Der Illusionscharakter wurde potenziert, wenn Theater im Theater, wenn auf der Bühne Einlagen gespielt wurden, bei denen einige der Schauspieler zu Zuschauern des Spiels der anderen Schauspieler wurden, und die wirklichen Zuschauer die Spieler als Spieler und als Zuschauer sahen. Die Umkehrung des Theaters im Theater war der Blick hinter die Kulissen, der die Desillusionierung bewirkte, der Blick des Hanswurst, der den Vorhang zu früh hob, der vor die Rampe trat und den Zuschauern seine frechen, ‚aus der Rolle fallenden‘ Kommentare gab. So war jeder Zuschauer gespalten in einen, der sich der Illusion ergab, und einen, der sich ihrer bewusst blieb, wobei die Gewichte sich hierbei nicht nur individuell unterschiedlich verteilten, sondern auch ständig verschoben. Wo die Illusionen und Täuschungen so gewollt waren und durch solche Übertreibungen hergestellt wurden wie auf dem Theater und wo sie gleichzeitig auch immer als solche durchsichtig blieben, dürfte sich auch die ‚Enttäuschung‘ des Publikums nach dem Spiel in Grenzen gehalten haben; war sie doch im Ansatz schon im Spiel vorweggenommen. So eingeübt aber mag sich in den Betrachtern der Gedanke vertieft haben, selbst nur Schauspieler und Rollenträger im Großen Welttheater zu sein, abhängig von Gott, dem unsichtbaren Regisseur und Beobachter der von ihm inszenierten Wirklichkeit.

Das Gefühl, in transzendenten Bezügen zu stehen, wurde im Betrachter der gespielten Stücke nicht zuletzt durch deren emblematische Struktur und durch die ständige Verwendung von Emblemen unterstützt. Albrecht Schöne, der das Verhältnis von Emblematik und Drama des Barock am eingehendsten untersucht hat, spricht deshalb von ‚theatrum emblematicum‘ und mit dem Blick auf das 17. Jahrhundert insgesamt sogar von einem ‚emblematischen Zeitalter‘.48 Man kann dies nachvollziehen, wenn man an die vielen emblematischen Bücher und Verzeichnisse denkt, die seit dem 16. Jahrhundert im Umlauf waren (allen voran das 1531 in Augsburg gedruckte lateinische Emblematicum liber des Andrea Alciati), und wenn man das Emblem als Spiegel einer bestimmten, das 17. Jahrhundert noch stark beherrschenden Möglichkeit der Welterfassung ansieht, die alles „Seiende als ein über sich selbst Hinausweisendes, dabei auf eindeutige und formulierbare Weise Bedeutendes“49 versteht. In ihr kehrten im 17. Jahrhundert noch einmal die typologische Exegese und das allegorische Verfahren der mittelalterlichen Theologie wieder (vgl. dazu P. N., 2012 a, I), die sich darum bemüht hatten, die heilsgeschichtliche Bedeutung der von Gott geschaffenen Dinge aufzudecken, und die sich im 16. Jahrhundert – in Verbindung mit neuplatonisch-pansophistischen Bestrebungen – in dem Versuch fortgesetzt hatten, Natur, Geschichte, Kunst als einen Kosmos von Signaturen, die ganze Welt als ‚mundus symbolicus‘ zu begreifen.50 Von dieser Tradition des mittelalterlichen Symboldenkens und des pansophischen Suchens nach allesdurchwaltenden Ordnungen des Seins zehrte die Emblematik. Die äußere Form des Emblems ist durch die Verbindung von Bild und Text in einem dreiteiligen Aufbau bestimmt. Die ‚pictura‘ zeigt bildlich eine Figur oder eine Szene des Lebens, eine Tätigkeit, einen Vorgang o.ä.; über der ‚pictura‘ steht in der Regel die ‚inscriptio‘, eine kurze Überschrift; unter der ‚pictura‘ erscheint die ‚subscriptio‘, die das im Bild Dargestellte – mehr oder weniger ausführlich – erklärt und daraus eine Schlussfolgerung zieht, z.B. eine Lebensregel aufstellt, wobei an dieser auslegenden Leistung auch die ‚inscriptio‘ teilnehmen kann. Die doppelte Funktion des Darstellens und Deutens, die das Emblem übernimmt, beruht auf der genannten Voraussetzung, dass das Abgebildete eine verweisende Kraft besitzt. Aber im Unterschied zum Symbol, in dem das Zeichen und das von ihm Bezeichnete zusammenfallen, bedarf das Emblem immer eines Textes, der den Sinn erst aufschließt. Während im Symbol der Sinn ‚unaussprechlich‘ bleibt und ein weiter Bedeutungsspielraum sich öffnet, wird im Emblem, das eine Spielart der Allegorie ist, eine außerhalb des Dargestellten liegende Bedeutung fixiert und der Sinn des Bildes auf etwas Eindeutiges beschränkt.51 Das Spiel mit Emblemen, das die gesamte Literatur des Barock durchzog, war im Theater besonders augenfällig und stand hier auch in einer langen Tradition. Überall in Europa kannte man seit dem späten Mittelalter Umzüge oder Umgänge, die gleichsam eine Art Drama präsentierten (und auch heute sind derartige Züge an Festtagen regional durchaus noch üblich): Bilder oder Figuren wurden durch die Straßen gekarrt und durch Inschriften auf Schildern erklärt; Schausteller posierten in stummen Darstellungen, die durch Spruchbänder oder auch durch einen Sprecher gedeutet wurden. Besonders häufig sah man derartige ‚tableaux vivants‘ bei Triumphzügen, bei denen biblische oder historische Szenen nachgestellt wurden, die man den in Städte einziehenden Fürsten als Huldigung darbot und auslegte. An derartige Bräuche knüpfte das Barocktheater an, wenn es seine Bühne, sein Schaugerüst, und einzelne Kulissen mit allegorischen Figuren schmückte und als ‚pictura‘ erscheinen ließ. Vor allem aber waren die gespielten Stücke von Sentenzen durchzogen, die das Gezeigte zusammenfassten und deuteten. In den Rollentext der dramatischen Figuren, in die dramatische ‚pictura‘ also wurden Lehr- und Denksprüche eingelagert, die sich als ‚subscriptio‘, zum Teil auch als ‚inscriptio‘, absetzten und die Zuschauer auf das Grundsätzliche und Allgemeine des gezeigten Besonderen hinwiesen.52 Die emblematische Struktur der barocken Stücke trat am deutlichsten hervor, wenn sie – wie etwa die Trauerspiele von Gryphius oder Lohenstein – in so genannte Abhandlungen und Reyen unterteilt waren. In den Abhandlungen vollzog sich das dramatische Geschehen, wurde das dramatische Konzept ‚abgehandelt‘, während die Reyen (vgl. mhd. reie, reige, nhd. Reigen = Tanz) oder auch die ‚Reyen der Höflinge‘ als Chorgesänge oder allegorische Zwischenspiele die Betrachter zur Reflexion des in den Abhandlungen Gesehenen bewegen wollten. Die Reyen standen dabei auf einer anderen (höheren) Ebene als der des dramatischen Vorgangs. Analog zur deutenden ‚subscriptio‘ des Emblems suchten sie – auf die eine oder andere Weise – den Abhandlungen Sinn zu unterlegen. Versteht man die emblematische Struktur als Grundprinzip des barocken Dramas, so erschließt sich zugleich, dass in ihm weder die individualisierende Charakterisierung noch die Handlungsdynamik, sondern vielmehr die Schaustellung beispielhafter Figuren und Vorgänge und die Erläuterung ihrer exemplarischen Bedeutung im Vordergrund standen. Gerade die Trauerspiele verstanden sich weitgehend als Erkenntnisinstrumente und Orientierungshilfen und setzten ihre teilweise drastischen Unterhaltungseffekte für die wirksame Vermittlung von gewussten Sinnzusammenhängen, von Verhaltensregulativen, aber auch von Unsicherheitsvorstellungen und Wunschbildern ein. Mit Hilfe des emblematischen Formprinzips entwirklichten, entmächtigten sie gleichsam die Realität, machten auf der Schaubühne ein Bildnis von ihr, um durch dieses Bildnis das einzelne historische Geschehen in seiner allgemeinen Bedeutung zu erschließen und daran auch das Immer-Wiederkehrende vor Augen zu führen, ja die Geschichte selbst als Trauerspiel erscheinen zu lassen.

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