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Die Hofgesellschaft und die Ämter in ihr
ОглавлениеMit der Distanzierung des Herrschers wuchs die Bedeutung der Frage, wer überhaupt in seine Nähe gelangen durfte. Zur Hofgesellschaft gehörten auch im 17. Jahrhundert noch die Inhaber der traditionellen Hofämter, der Obersthofmeister, der Oberstkämmerer, Obersthofmarschall, der Oberststallmeister, die jeweils ganze Stäbe von Personal um sich versammelten, die für die Abwicklung des täglichen Lebens am Hofe zuständig waren. Eine andere Gruppe bildeten die Inhaber der so genannten Ehrenämter, die Kammerherren, Truchsessen, Jagdjunker, Pagen usw., die den Herrscher persönlich bedienten. In ihrer Nähe standen all die Künstler und Architekten, die Festlichkeiten arrangierten und für Unterhaltung am Hofe sorgten. Mitglieder der Hofgesellschaft waren schließlich auch die hohen Verwaltungsbeamten, die sich als persönliche Diener ihres Landesherren verstanden – in mittleren und kleinen Territorien wurden Hof- und Verwaltungsfunktionen zum Teil in Personalunion ausgeübt. Einlass in die Hofgesellschaft fanden auch die vielen Diplomaten, Gesandten, Bevollmächtigten usw., deren Zahl in Deutschland nach dem Westfälischen Frieden, der den Territorien mit der Souveränität auch die Bündnisfähigkeit (und damit das Recht zur Außenpolitik) zusprach, sprunghaft anstieg. So war der Hof keineswegs nur der Raum der Festlichkeit, sondern auch das Zentrum der Information und der geeignete Ort der Einflussnahme und Bestechung. Mit der Zahl der zu vergebenden Ämter und Positionen wuchs auch das Monopol des Herrschers, sie zu besetzen. Was traditionell dem Adel von Geblüt zugekommen war, blieb am absolutistischen Hof nicht länger selbstverständlich. Der Fürst allein entschied, wer ihn umgab, wessen Rang erhöht wurde, wer Sinekuren oder Pensionen erhielt. Auf diese Weise wurde das Recht der Abstammung unterlaufen. Soziales Prestige erwuchs allein aus dem Wohlwollen des Fürsten, war abgeleitet von seiner Gnade. Der Günstling wurde zur typischen ‚Sozialfigur‘ des Hofes.9 Als soziales System war der Hof von andauernden Positionskämpfen geprägt, in denen Adlige unter sich sowie Adlige und Bürgerliche um Einfluss, d.h. genauer um die ‚Ehre‘ versprechende Nähe zum Thron rangen. Für den Adel setzte mit der Übernahme von Ämtern am Hof die Entwicklung ein, in deren Verlauf sich seine Lebenshaltung grundlegend änderte: Sein gesellschaftlicher Status, der sich zuvor aus sich selbst definiert hatte, wurde abhängig von fremdbestimmten Aufgaben, von ‚Leistungen‘, die er dem Herrscher erwies, und zugleich von der Willfährigkeit, mit der er sich diesem unterwarf und ihm zur Verfügung stand.10 Man mag hierin den wichtigsten Grund dafür sehen, dass er sein Überleben als Stand bis ins 20. Jahrhundert hinein sichern konnte. Obwohl Adlige in den wichtigen Stellungen am absolutistischen Hof dominierten – allein schon deswegen, weil auch der Herrscher dem Adel zugehörte und diesem prinzipiell nicht feindselig gegenüberstand –, konnten auch Bürgerliche, zumal die für die Verwaltung unentbehrlichen Akademiker und die für kulturelle Attraktionen sorgenden Künstler, gesellschaftlich aufsteigen und vom Fürsten nobilitiert werden. Wohlkalkuliert wurden Rangreglements veröffentlicht und Titel verliehen, die ihren Trägern schmeichelten und diese zugleich gefügig machten. Die Beschwichtigung des von der politischen Macht verdrängten Adels gelang vor allem deswegen, weil ihm der Ausbau der Höfe zu politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Zentren genügend Möglichkeiten einer standesbewussten Lebensführung bot. Mit anderen Worten: Die Umwandlung der einflussreichen Aristokratie in einen auf Unabhängigkeit, politische Gleichstellung und Mitentscheidung verzichtenden Hofadel war an die Strukturveränderung des Hofes selbst, an seine Erweiterung zur Residenz gebunden. Einerseits bot die Residenz genügend wichtige (zum großen Teil in die Residenzstadt verlagerte) Regierungs- und Verwaltungsaufgaben, und andererseits garantierten die zu ihr gehörenden, von der bürgerlichen Welt deutlich getrennten Schloss- und Gartenanlagen des Fürsten, in die (über die Besichtigung hinausgehenden) Einlass in der Regel nur die Hofgesellschafterhielt, das Maß an Exklusivität, das für die Selbstbestätigung der Adligen bedeutsam war. Auf diese Weise unterwarf der sich in der Figur des Herrschers repräsentierende ‚absolute Staat‘ die einzige Kraft, die ihn, bis in das 18. Jahrhundert hinein, hätte gefährden können.